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       # taz.de -- Bericht der Berliner Enteignungskommission: Der Politik Zukunft abringen
       
       > Enteignen ist möglich, das hat der Senat nun schwarz auf weiß. Die Frage
       > ist: Will die Politik dicke Bretter bohren oder den Bohrer verstecken?
       
   IMG Bild: Not amused: Christian Gaebler (links) und Kai Wegner (rechts)
       
       Politik ist eine Sache der zwei Geschwindigkeiten. Während die
       Verantwortlichen in Regierung und Parlament auf die Wählerinnen und Wähler
       schielen und dabei selten über den Horizont einer Legislaturperiode
       hinausblicken, treiben andere ihre Ideen mit stoischer Geduld und
       unbeirrtem Elan voran. Manche nennen das auch dicke Bretter bohren.
       
       Es sind diese dicken Bretter, an die sich, einmal gebohrt, nachfolgende
       Generationen erinnern. Zum Beispiel an den [1][Dauerwaldvertrag], ein
       Jahrhundertwerk, das Naturschützer dem preußischen Fiskus mitten im Ersten
       Weltkrieg 1915 abgerungen haben. Ohne diesen Vertrag gäbe es heute keinen
       Grunewald mehr, er wäre an Terraingesellschaften verkauft, die ihn wiederum
       für den Bau von Villen parzelliert hätten. Die Zivilgesellschaft hat der
       Politik ein Stück Zukunft abgerungen.
       
       Denjenigen, deren Spazierwege während des Ringens um eine Lösung immer
       kleiner geworden waren, hat der Vertrag nicht unmittelbar geholfen, auch
       das gehört zur Wahrheit. Eine große Lösung, das ist die andere, ist immer
       kleiner als erwünscht, und zu spät kommt sie auch noch.
       
       Eine große Lösung, das wäre auch ein Vergesellschaftungsgesetz in Berlin.
       Am Mittwoch hat die Expertenkommission, die der Senat eingesetzt hatte, ihr
       abschließendes Gutachten vorgestellt. Das Ergebnis ist verblüffend
       deutlich. Enteignungen nach Paragraf 15 des Grundgesetzes sind nicht nur
       zulässig, sie könnten auch ein wichtiges Instrument im Ringen um
       Daseinsvorsorge werden. Ein Gamechanger also wie der Mietendeckel, nur,
       dass bei diesem die Rechnung ohne den Wirt (die Gerichte) gemacht wurde,
       während nun der Wirt von vorneherein am Tisch sitzen soll.
       
       ## Senat spielt auf Zeit
       
       Für all jene, deren Mieten seit Jahren durch die Decke gehen, ist das eine
       abstrakte gute Nachricht. Sie werden von einem Vergesellschaftungsgesetz,
       wenn überhaupt, erst in Jahren profitieren. Nicht ausgeschlossen auch, dass
       es da schon zu spät ist. Denn die Politik, dieser andere Player mit der
       anderen Geschwindigkeit, spielt auf Zeit. Erst soll nun ein Rahmengesetz
       auf den Weg gebracht werden. Dieses soll auch erst zwei Jahre nach seiner
       Verabschiedung Gültigkeit erlangen, damit zuvor das Verfassungsgericht
       seine Verfassungsmäßigkeit prüfen kann.
       
       Dennoch könnte mit dem Gutachten, das die Expertenkommission nun vorgelegt
       hat, Geschichte geschrieben werden. Steht am Ende der stoischen Geduld und
       des unbeirrten Elans tatsächlich ein Vergesellschaftungsgesetz, wäre auch
       in der Mietenpolitik der Politik ein Stück Zukunft abgerungen worden.
       
       Politiker wie der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) oder Berlins
       Bausenator Christian Gaebler (SPD) stünden dann die wie ein paar
       lernunwillige Lehrlinge auf dem Bau. Nachfolgende Generationen werden dann
       vielleicht urteilen: Anstatt Bretter zu bohren hatten sie gehofft, es
       helfe, die Bohrer zu verstecken.
       
       1 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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