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       # taz.de -- Entgleisungen der Woche: Rhetorische Peniskanonen
       
       > Diskursiv wurde scharf geschossen. Manche wurden sogar handgreiflich
       > diese Woche. Zeit für einen Streik.
       
   IMG Bild: Einfach mal abkühlen
       
       Erst wollte ich heute eigentlich streiken. Aus [1][Solidarität mit den
       Drehbuchautoren in Hollywood]. Ich fühle mit ihnen, nicht nur weil sie –
       wie ich, wie wir alle hier – verdammt noch mal viel mehr Kohle verdient
       haben, als sie bekommen. Die Drehbuchautorinnen aber natürlich ganz
       besonders, sie sind die letzten, die uns auf diesem abgefuckten, von
       Mansplainern, Klimaleugnern und anderen [2][Peniskanonen] geebneten
       highway to hell ein wenig Ablenkung und Erheiterung verschaffen.
       
       Also schreibe ich Ihnen heute doch was, auch wenn ich mich frage, ob Arbeit
       in dieser dem Untergang geweihten Welt überhaupt noch sinnvoll ist.
       Vielleicht nicht mit so vielen Cliffhangern wie bei den Genossen aus
       Hollywood, dafür aber auch keine mehrteiligen Epen. Ich hatte, anders als
       die schreibende Hollywood-Hautevolee, bayerische Grundschullehrer, die
       meine ausufernden Aufsätze grässlich fanden. Seitdem fasse ich mich kurz.
       
       Die Serie, die ich diese Woche gebinget habe, war sowieso keine
       Hollywoodproduktion, sondern eine aus dem Hause Realitydrama: die
       Klebeaktionen der Letzten Generation und die mediale Schmonzette darüber
       – Stichwort: Urlaubsbeginn versaut! Verstehen Sie mich nicht falsch, ich
       gönne uns allen Urlaub. Ich gönne den Kindern der jetzt Empörten aber auch
       eine Zukunft auf diesem Planeten außerhalb kühler Erdlöcher.
       
       ## Schuld an der Verrohung
       
       Schwer zu guckender Höhepunkt des Dramoletts: [3][der völlig enthemmte
       Lastwagenfahrer, der zwei Aktivist:innen erst brutal von der Straße
       zerrt und dann einfach losfährt], obwohl sie wieder auf der Straße sitzen.
       Ob er das sehen konnte oder nicht, ob man das versuchten Mord oder
       fahrlässige Körperverletzung nennen soll, kann ich nicht beurteilen, ich
       bin kein Jurist. Immerhin musste er seinen Führerschein abgeben.
       Hoffentlich für immer.
       
       Was ich weiß: An einer derartigen Verrohung hat nicht nur die böse
       Springer-Presse Schuld, sondern auch die Bundesregierung, die ihre sich
       selbst gesteckten Klimaziele nicht nur von innen heraus torpediert, sondern
       es auch nicht schafft, diesen friedlichen Protest mit seinen zum Weinen
       geringen Forderungen (Tempolimit, 9-Euro-Ticket, ein Gesellschaftsrat)
       einzuhegen. Die dumme Rede davon, dass man alle mitnehmen müsse, könnte sie
       sich sparen, wenn sie einfach ihre eigenen Vorhaben umsetzen würde, statt
       zuzulassen, dass die, die sie daran erinnern, kriminalisiert werden; oder
       [4][entmenschlicht wie vom FDP-Bundestagsabgeordneten Frank
       Müller-Rosentritt], der im Bezug auf die Letzte Generation von „totalitärem
       Abschaum“ twitterte.
       
       Die Empörten könnte die Politik abholen, indem sie ihre Vorhaben kraft
       ihrer rhetorisch geschulten Superpower als sinnvoll, ja notwendig erklärte
       und außerdem Geld in sozialen Ausgleich pumpte. Herrgott, bei Corona ging
       es doch auch.
       
       ## Alle mal abkühlen
       
       Doch statt die erhitzten Gemüter zu kühlen, was ihr Job wäre, feuert die
       Politik – zumindest die in Berlin (schon klar, andere Koalition, sogar ohne
       FDP) – einen neuen Knaller ab: Schließung einiger Freibäder nach
       Gewaltvorfällen. So nimmt man garantiert niemanden mit. Klar, eine
       [5][kleine Gruppe Nervensägen darf den friedlichen Rest nicht in
       Mitleidenschaft ziehen]. (Wenn Sie hier Vergleiche zur Letzten Generation
       ziehen, denken Sie bitte noch mal nach.) Aber das bisschen Abkühlung steht
       allen zu.
       
       Sonst brennen uns allen bald die Sicherungen durch wie dem Israeli, der
       [6][Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik wegen ihrer
       Aussagen in einem Interview mit Tilo Jung] in Tel Aviv verbal attackiert
       hat.
       
       Zugleich muss man sich auch sehr wundern, wieso eine Wissenschaftlerin,
       Nahostexpertin gar, nicht merkt, dass sie hier eine der bekanntesten
       antisemitischen Wahnvorstellungen reproduziert, die von der „jüdischen
       Weltverschwörung“, wenn sie sagt, die israelische Regierung könne in der
       Nahostpolitik auf Deutschland „Druck ausüben“, weil „wir sie zum
       Schiedsrichter gemacht haben darüber, ob wir sinnvoll mit unserer
       Vergangenheit umgehen“. Bei solchem Quatsch streikt mein Gehirn tatsächlich
       spontan.
       
       15 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Historischer-Doppelstreik-in-Hollywood/!5947310
   DIR [2] /Vor-den-Rammstein-Konzerten-in-Berlin/!5946906
   DIR [3] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Klimaaktivist-in-Stralsund-angefahren-Gericht-prueft-Fuehrerscheinentzug,letztegeneration374.html
   DIR [4] https://twitter.com/theliberalfrank/status/1679425035054850049
   DIR [5] /Sommerbaeder-und-Gewalt/!5943791
   DIR [6] https://www.youtube.com/watch?v=333rt6aUVnE
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ariane Lemme
       
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