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       # taz.de -- Debatte um einen Rembrandt im Starkregen: Folie, Eimer und Saugmatte
       
       > Die Fotografie eines verpackten Rembrandt-Gemäldes in der Berliner
       > Gemäldegalerie sorgt für anhaltende Debatten. Lecken Berlins
       > Museumsdächer?
       
   IMG Bild: Und daneben tropfte Regenwasser in einen Eimer
       
       Ein Gemälde vor einer grauen Wand, verhüllt von transparenter Plastikfolie.
       An der rechten Kante klebt ein Fitzel Krepptape an der Folie, damit sie am
       Rahmen haften bleibt. In der Bildmitte unten, vor dem Gemälde und einer
       Bodenleiste, steht ein Eimer auf einer Saugmatte.
       
       Die beiden Figuren auf dem Gemälde sind durch die Lichtspiegelung auf der
       Folie nur schemenhaft erkennbar: rechts eine Frau mit Haube, links der
       Umriss eines Mannes mit Hut.
       
       Die Fotografie des berühmten Kunstwerks wirkt inszeniert. Entstanden ist
       sie am 23. Juni 2023, als [1][der US-Musiker David Grubbs] an einem
       Regentag die Berliner Gemäldegalerie besuchte und Rembrandts „Der
       Mennonitenprediger Cornelis Claesz Anslo und seine Frau Aeltje Gerritsdr
       Schouten“ (1641) im Raum X, nur notdürftig geschützt, fand.
       
       [2][Das Werk ist einer von insgesamt 20 Rembrandts] im Besitz der Berliner
       Gemäldegalerie, die weltweit eine der bedeutendsten Sammlungen mit 1.200
       Werken der europäischen Malerei des 13. bis 18. Jahrhunderts beherbergt.
       
       ## Ungläubig auf das Gemälde starren
       
       Durch das Dach drang am 23. Juni Wasser in die Ausstellung. An der Wand
       daneben war deshalb [3][ein kleinerer Rembrandt] bereits abgehängt worden.
       Grubbs’ Fotografie, die er zuerst auf seinen Insta- und Twitter-Accounts
       hochlud, ist seither um die Welt gegangen.
       
       Zuerst reagierten am 26. Juni US-Kunstmagazine und veröffentlichten Texte
       mit der Fotografie. „Zum Zeitpunkt, an dem ich fotografierte, waren nur
       wenige Besucher:innen anwesend, alle schauten ungläubig auf das
       Gemälde“, schilderte Grubbs dem US-Magazin artnet seinen ersten Eindruck.
       „Auf der Folie war zu sehen, wie Regenwasser in Fäden daran hinunterglitt.“
       Grubbs hörte deutlich, wie Regen in den Eimer tropfte.
       
       Das Museum hatte artnet auf Nachfrage mitgeteilt, dass der Rembrandt durch
       die Folie unbeschädigt vom Regen geblieben sei, mithilfe eines Hebekrans
       abgehängt worden und wohlbehalten im Depot sei. Mit Verzögerung wurde die
       Begebenheit auch hierzulande zum Thema. Zunächst berichteten die Berliner
       Lokalzeitungen anhand des Fotos über „Wasser in der Gemäldegalerie“
       (Tagesspiegel) und „Superpeinlich? Gemäldegalerie … erntet Spott“ (Berliner
       Zeitung).
       
       Am Mittwoch machte der Deutschlandfunk-Redakteur Stefan Koldehoff in einem
       Beitrag das ganz große Fass auf: Wegen des Klimawandels und dadurch
       inhärenter Extremwetterlagen wie Starkregen gebe es für Berliner Museen
       immer gravierendere Probleme, die Gebäudeinstandhaltung durchzuführen.
       Aktuell würden gleich mehrere Museumsdächer lecken. „Das Foto eines
       Touristen“ habe die Debatte ins Rollen gebracht.
       
       „Eine Pfeife ist hier stets eine Pfeife.“ Gilt diese Bemerkung, die der
       französische Philosoph Roland Barthes einst in seinem Essay „Die helle
       Kammer“ postulierte und darauf hinwies, dass Fotografien etwas
       Tautologisches anhafte, im Zeitalter von Eventkultur und
       Social-Media-Sofortismus auch für Meisterwerke der bildenden Kunst? Vor
       lauter Fetischisierung ist ein unverstellter Blick auf diese gar nicht mehr
       möglich. Who the fuck is Rembrandt?
       
       Das Punctum von Grubbs’ Fotografie des verpackten Gemäldes sind Folie,
       Eimer und Saugmatte. Die Querlinien auf der Folie muten an, als wären
       Kondensstreifen von Düsenjets vor Rembrandts Prediger gemalt, wir können
       daher nicht sehen, wie er seiner Frau das Evangelium verkündet. Vielleicht
       ist Grubbs’ Fotografie selbst zum Kunstwerk geworden. Es könnte ebenso gut
       Konzeptualismus sein oder als Fotorealismus Institutionskritik leisten.
       
       14 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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