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       # taz.de -- Kochen als Kunstperformance: Wenn ich eine Banane wäre
       
       > In Kunstausstellungen geht es derzeit viel um Essen und Kochen. Nahrung
       > erzählt davon, wie Menschen, Dinge und Geschmäcker an einen Tisch
       > gelangen.
       
   IMG Bild: Bearbeiten von Margarine im Kochvideo „Cooking with the erotic“ von Ilana Yacine Harris-Babou, 2016
       
       Mit jedem Tropfen Wasser, das sich vom Eis in der Sommerhitze löste und
       über das gelbe Rund perlte, drang Schönheit und Unbehagen hervor. Wie ein
       Relief hatte Künstler Caique Tizzi tropische Bananen für das Sommerfest im
       Berliner Brücke-Museum in Wasser gefroren.
       
       Ein essbares Kunstwerk, dessen gelbe Frucht auch Sinnbild für den globalen
       Handel, die Pestizide, die schlechten Bedingungen auf den Plantagen ist.
       Caique Tizzi tourt mit seinen Essperformances gerade auf Kunstmessen und
       Kulturevents. Tisch, Teller und Gericht, sie sind bei ihm auch ein
       wunderschönes, langsam wegkonsumierbares Varnitas-Stillleben.
       
       Essen scheint gerade überall zu sein in der Kunst. In Bregenz startet nun
       ein Sommerprogramm mit dem Titel „Das große Fressen“, und Künstlerin Dafna
       Maimon baute dafür einen gigantischen Verdauungstrakt auf. Man kann sich
       dann hineinbegeben in seine rot-braunen Windungen, sich hindurchwühlen wie
       ein zerkautes und zersetztes Stück – sagen wir mal – Banane.
       
       Soeben eröffnete auch die Retrospektive der feministischen
       [1][Konzeptkünstlerin Martha Rosler] in der Frankfurter Schirn. Ikonisch
       ist darin die Videoarbeit „Semiotics of the Kitchen“ von 1975. Mit Schürze
       steht Martha Rosler in einer Küche wie damals die populäre Fernsehköchin
       Julia Child. Trocken benennt sie die Kochutensilien – den Topf, den
       mechanischen Rührbesen –, um dann über die knapp 7 Minuten des Videos mit
       zunehmend anschwellender Aggression der an den Herd gefesselten Hausfrau
       ihre Funktion vorzuführen.
       
       Was wir essen, wie wir essen, wer es zubereitet, das ist politisch. Und es
       erzählt viel davon, wie die Menschen, Dinge und Geschmäcker überhaupt an
       einen Tisch gelangen.
       
       ## Die Gabel der Prinzessin
       
       [2][Norbert Elias,] der große Soziologe der Tafelsitten, berichtet 1939 in
       „Über den Prozess der Zivilisation“ von der Anektdote einer griechischen
       Prinzessin, die im 11. Jahrhundert bei ihrer Vermählung mit einem
       venezianischen Dogen wegen einer Gabel einen Skandal verursachte. Sie habe
       diese beim Hochzeitsmahl verwandt. Für die Venezianer sei es jedoch
       anmaßend gewesen, „Gottes Gaben“ nicht mit bloßen Händen zu sich zu nehmen.
       
       Das Ereignis deutet Elias als Initialzündung, die Gabel der aus dem fernen
       Byzanz kommenden Prinzessin sollte später unter europäischen Adligen zum
       Distinktionsmerkmal bei Tisch werden, war noch im 17. Jahrhundert ein
       Luxusartikel, bis sie sich dann in vielen Teilen der Welt als
       Alltagsgegenstand ausbreitete.
       
       Dass die Dinge des Essens migrieren können, führte auch der
       Performancekünstler Rikrit Tiravanija vor. Er, 1961 in Argentinien geboren,
       in Thailand aufgewachsen und heute zwischen Berlin, New York und Bangkok
       hin und her reisend, mischte einst mit seinen „food pieces“ den
       Kunstbetrieb auf. In der Gallery 303 in New York installierte er 1992 eine
       Küche, kochte und servierte dort Thaicurry in zwei Versionen. Scharf war
       die thailändische, mild diejenige, wie sie in den New Yorker Restaurants
       serviert wurde.
       
       Tiravanija machte das Kunstpublikum zum direkten Konsumenten, paarte
       Happening mit Institutionskritik. Der prominente Kunstkritiker Jerry Saltz
       machte dazu noch eine weitere Beobachtung: „Americans had to eat with
       strangers“. Sinnlich, durch den Gaumen schuf Tiravanija einen sozialen
       Raum, Bekanntes konnte darin geschmeidig auf Unbekanntes stoßen.
       
       ## Biesenbach und das Thaicurry
       
       Der Museumsdirektor [3][Klaus Biesenbach] sähe gern Tiravanijas
       Thaicurry-Küche als Street-Food-Stand am zukünftigen Museum der Moderne in
       Berlin, wie er im Frühjahr einmal bei einer Pressekonferenz am Rande
       bemerkte. Wenn es denn gelänge, um den gerade entstehenden Neubau von Büro
       Herzog & de Meuron herum einen Park anzulegen.
       
       Das Kochen ist ohnehin längst raus aus den Kunstinstitutionen und auf die
       Straße gelangt. Davon berichtet gerade die Ausstellung „Cooking as
       Performance“ in Köln. Von ihr aus ziehen etwa Künstlerin Paula Erstmann und
       Kuratorin Lisa Klosterkötter mit einer mobilen Küche durch die Straßen,
       spüren an einer klassischen Konditorei oder einer srilankische Garküche
       ihre kulinarische Historie auf.
       
       Aber was tun, wenn die Straßen leer sind, wie während der Pandemie? Dann
       werden die sozialen Medien zum öffentlichen Raum, dann kocht man über
       Videos gemeinsam. Die Kölner Schau in dem Kunstverein „Temporary Gallery“
       hat zahlreiche solcher Filme aus dem Netz zusammengestellt. Wie der
       rätselhafte Hollywood-Regisseur David Lynch Quinoa in zähen 20 Minuten auf
       körnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zum Blähen bringt.
       
       Atemberaubend sind die 43 Tiktok-Sekunden aus einem US-amerikanischen
       Gefängnis, in denen ein Insasse eine Pringles-Dose mit Aludeckel über ein
       simples Elektrokabel erhitzt, unter die Metallfläche seines Zellenbetts
       schiebt und sie kurzerhand zur Herdplatte umwandelt. Seine Burritos brät er
       so goldig braun. Performance, Kunst, Öffentlichkeit und Privatheit, soziale
       Realität – sie überschneiden sich alle hier.
       
       ## Griff in die Gemüseschüssel
       
       Rezepte teilen, heißt auch, seine persönliche Geschichte teilen, seine
       Identität öffentlich zu verhandeln. Eine heutige Identität, die so hybrid
       zwischen verschiedenen Ländern und Social-Media-Profilen wandeln kann. Das
       führt in Köln auch das Video von einer der vielen Kochsessions vor, die
       Künstler Hiwa K. vor einigen Jahren mit Studierenden an der Kunsthochschule
       Mainz veranstaltete.
       
       Hiwa K. kommt aus dem Irak, war zu dem Zeitpunkt schon lang in Deutschland.
       Per Skype schaltete er seine Mutter aus dem irakischen Sulaimaniyya für
       die Sessions dazu. Sie wies das Kochteam auf Kurdisch an. Hiwa K.
       übersetzte, wenn sie um noch ein halbes Glas Olivenöl und um einen weiteren
       kräftigen Griff in die Gemüseschüssel bat. Und je mehr Form das Gericht
       annahm, umso aufgelöster wirkte der Künstler zwischen den Realitäten seines
       Lebens, zwischen der Mainzer Küchengesellschaft und der von der schlechten
       Internetverbindung verrauschten Mutter aus der Heimat.
       
       „Die Distanz zu ihr war so groß, dass ich trotz meiner Sehnsucht, sie zu
       sehen, ziemlich unsicher war, wie es mit dieser digitalen Mama weitergehen
       sollte, ist sie es oder nicht?“, schrieb Hiwa K dazu.
       
       14 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Sophie Jung
       
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