# taz.de -- Vorwürfe gegen Italien bei EU-Kommission: Seenotrettung schwer gemacht
> Mehrere Organisationen haben sich bei der EU-Kommission beschwert. Ein
> Dekret Italiens behindere sie dabei, Menschen aus dem Mittelmeer zu
> retten.
IMG Bild: Rettungsorganisationen klagen: Mit einem Dekret behindere Italien die Rettung von Menschen in Seenot
Berlin taz | Die EU-Kommission soll prüfen, ob ein Dekret der italienischen
Regierung gegen Seenotretter rechtmäßig ist. Fünf NGOs haben am Donnerstag
eine entsprechende Beschwerde bei der Kommission eingereicht, weil das
Dekret ihrer Ansicht nach nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Sollte die
Kommission dem folgen, könnte sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen
Italien einleiten.
Das Dekret vom [1][Dezember 2022 ist nach dem italienischen Innenminister
Matteo Piantedosi] benannt. Es verpflichtet Rettungsschiffe, nach einer
Rettungsaktion direkt einen vorgegebenen Hafen anzusteuern und keinem
weiteren Notruf zu folgen. Zudem verbietet es Schiffen, Gerettete auf ein
anderes Schiff steigen zu lassen. Bei Zuwiderhandlung drohen Geldbußen von
bis zu 50.000 Euro und eine Festsetzung oder – im Wiederholungsfall –
Beschlagnahmung des Schiffes. Eine Reihe von Schiffen war seither auf
Grundlage des Dekrets festgesetzt worden. Gleichzeitig ertranken 1.895
Menschen im ersten Halbjahr 2023.
Die Organisationen SOS Humanity, [2][Ärzte ohne Grenzen (MSF),] Oxfam
Italia, Association for Juridical Studies on Immigration (ASGI) und
Emergency machen nun gegenüber der Kommission geltend, dass das Dekret mit
dem EU-Recht und mit völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Seenotrettung
unvereinbar sei. „Die Europäische Kommission sollte die Grundrechte aller
Menschen in Europa wahren und schützen“, sagte Giulia Capitani von Oxfam
Italia. Stattdessen seien es zivile Such- und Rettungsorganisationen, die
Menschen in Not auf See retten.
Doch durch das Dekret würden deren Schiffe reihenweise in weit entfernte
Häfen zur Ausschiffung von Überlebenden geschickt, was ihre Fahrzeit
erheblich verlängert und ihre Präsenz in der Such- und Rettungszone
einschränkt.
## Rettungsbedarf ist hoch
„Jeder Tag, den wir nicht in der Such- und Rettungszone verbringen, sei es
wegen Festsetzungen oder auf dem Weg zu einem entfernten Hafen, gefährdet
Menschenleben“, sagt MSF-Einsatzleiter Djoen Besselink. Den Preis „werden
die Menschen zahlen, die über das Mittelmeer fliehen.“
Erst am Dienstag war das [3][Rettungsschiff Ocean Viking in Italien]
festgesetzt worden – wenige Tage nachdem es die libysche Küstenwache
beschossen hatte. Bei einer sogenannten Hafenstaatkontrolle im Hafen von
Civitavecchia legten die Behörden es an die Kette.
Am Donnerstag beschloss das EU-Parlament eine Resolution, in der es zu
Maßnahmen zur Rettung von Menschen auf See aufruft. Die Abgeordneten
forderten eine eigene EU-Rettungsmission, ein „Ende der Kriminalisierung
von nichtstaatlichen Akteuren für Such- und Rettungsaktionen“ und eine
EU-Finanzierung privater Rettungs-NGOs.
Der Rettungsbedarf ist weiterhin hoch. In der Nacht auf Samstag rettete
beispielsweise das Segelschiff „Nadir“ 91 Menschen aus dem Mittelmeer. Sie
konnten am Samstagvormittag in Lampedusa an Land gehen. Doch die Besatzung
der „Nadir“ traf noch auf unzählige Seenotfälle, bei denen sie nicht helfen
konnte.
16 Jul 2023
## LINKS
DIR [1] /Italien-erlaesst-Dekret-zur-Seenotrettung/!5897423
DIR [2] /Aerzte-ohne-Grenzen-ueber-Seenotrettung/!5608255
DIR [3] /Seenotrettungsschiff-Ocean-Viking/!5803562
## AUTOREN
DIR Christian Jakob
## TAGS
DIR Schwerpunkt Flucht
DIR EU-Kommission
DIR Italien
DIR Seenotrettung
DIR GNS
DIR Seenotrettung
DIR Schwerpunkt Flucht
DIR Schwerpunkt Flucht
DIR Schwerpunkt Flucht
DIR Asylrecht
DIR Kolumne Hamburger, aber halal
DIR Griechenland
DIR Schwerpunkt Flucht
DIR Giorgia Meloni
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Kriminalisierung von Seenotrettung: Zweifel sind nicht angebracht
Das Innenministerium bestreitet, dass es Seenotretter:innen
kriminalisiere. In anderen Ländern Europas ist das längst Alltag.
DIR Flucht über das Mittelmeer: „Ocean Viking“ rettet 68 Migranten
Das Schiff der Hilfsorganisation SOS Méditerranée rettet 68 Migranten. Seit
Jahresanfang sind mehr als 2.000 Menschen auf dem Mittelmeer gestorben.
DIR Fluchtroute im Mittelmeer: Fast 200 Menschen gerettet
Seenotretter:innen der „Sea-Eye 4“ haben mehrere Dutzend Menschen
gerettet. Die Zahl der fliehenden Menschen über das Mittelmeer steigt
stetig.
DIR Pro-Asyl-Juristin über neue EU-Verordnung: „Ein ständiger Ausnahmezustand“
Die EU-Staaten haben sich auf einen harten Kurs in der Asylpolitik
geeinigt. Nun könnte es noch schlimmer kommen, befürchtet Wiebke Judith von
Pro Asyl.
DIR Asylrecht des Einzelnen infrage gestellt: CDU dreht frei
Der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, kritisiert
das Individualrecht auf Asyl. Aus seiner Partei kommt viel Zuspruch.
DIR Europas Umgang mit Menschenrechten: Der verlorene Kompass
Ich bin nach Europa geflohen, weil Europa für Menschenrechte steht. Aber
das stimmt nicht mehr, denn Europa lässt Geflüchtete an seinen Grenzen
sterben.
DIR Flüchtlingsboote vor Westafrika: Weiter rund 200 Menschen vermisst
Mindestens 300 Menschen brachen vom Senegal aus auf, um die Kanaren zu
erreichen. 86 sind bisher gefunden. Dutzende andere bleiben vermisst.
DIR Griechenland nach der Bootskatastrophe: Einig mit Meloni, Zwist mit Frontex
Griechenland prescht mit migrationsfeindlicher Politik vor. Frontex macht
dem Land nun schwere Vorwürfe im Fall der Bootskatastrophe vor zwei Wochen.
DIR Italiens Migrationspolitik: Radikal gegen Flüchtlinge
Italiens rechte Regierung will Wahlkampfversprechen halten: Retter*innen
im Mittelmeer werden behindert, die Anerkennung von Geflüchteten erschwert.