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       # taz.de -- Iran kontrolliert wieder Kleidungszwang: Sitte patrouilliert auf der Straße
       
       > Monatelang sah man Irans Sittenpolizei nicht auf der Straße. Doch nun
       > agiert die Moralpolizei wieder wie vorher – und ihre berüchtigten Vans
       > sind zurück.
       
   IMG Bild: Gegen die Regeln: eine Frau ohne Kopftuch am Sonntag in Teheran, Iran am 16. Juli
       
       Berlin taz | Er reibt sich über die Stirn, als könne er nicht glauben, dass
       er darüber reden muss. „Ihr habt schon wieder angefangen“, sagt
       [1][Mohammad Sadeghi in einem Live-Video], das er am Samstag auf seinem
       Instagram-Kanal veröffentlichte. Der junge Schauspieler fragt, warum er
       seinen Tag mit einem Video beginnen muss, auf dem zu sehen ist, wie eine
       Frau eine andere Frau mit Gewalt in einen Van zerrt – in einen der
       berüchtigten Vans der sogenannten Sittenpolizei in Iran.
       
       Sadeghi spricht von jener Polizei, die im September 2022 die 22-jährige
       Jina Mahsa Amini ermordete, weil sie die Regeln der Islamischen Republik,
       wie sich Frauen zu kleiden haben, nicht eingehalten haben soll. Einige
       Monate nach [2][Beginn der Massenproteste], die der Mord auslöste, [3][sah
       man die Polizisten und Polizistinnen der „Sittenpolizei“ – Gascht-e Erschad
       – nicht auf den Straßen des Landes]. Zu groß war die Sorge des Regimes,
       dass die landesweiten Proteste weiter angeheizt werden könnten.
       
       Doch seit vergangenem Wochenende sind die Moralpolizistinnen und
       -polizisten wieder großflächig im Land unterwegs. Saeed Montazerolmahdi,
       Sprecher der Polizei, [4][verkündete] laut staatlicher Nachrichtenagentur
       Tasnim, dass Patrouillen im ganzen Land eingesetzt würden, um „unpassende
       Kleidung zu bekämpfen“. Die Aufregung bei den Menschen in Iran ist groß.
       Schon kursieren in den sozialen Medien erste Videos, die die Sittenpolizei
       bei ihrer gewaltsamen Arbeit zeigen: Frauen, die in Vans gezerrt werden.
       Was sie dort erwartet: „Umerziehung“, Gewalt und Misshandlung.
       
       Am Sonntagabend gab es bereits Widerstand auf den Straßen. In Rascht im
       Norden des Landes kamen Menschen drei Frauen zu Hilfe, die von der
       Sittenpolizei verschleppt werden sollten, [5][berichtete BBC Persia].
       Regimekräfte griffen die Menschenansammlung an. Auch in Teheran wurde die
       Präsenz der Basidsch-Milizen verstärkt. „Sie haben den Menschen den Krieg
       erklärt“, schreibt ein Aktivist laut BBC.
       
       ## Desinformation durch die Regierung
       
       Das iranische Regime hat bereits auf den vermutlich nicht erwarteten
       Widerstand reagiert: Es ließ am Montag über Tasnim erklären, dass es in den
       letzten 24 Stunden viele „Fragen“ zur Sittenpolizei gegeben habe. Es sei
       „wichtig, klarzumachen“, dass die Vans nicht auf die Straßen zurückkehren
       würden, „unter keinen Umständen“. Wer also in Zukunft Videos sehe, die
       diese Vans zeigen, so seien diese „fabriziert oder Archivmaterial“.
       
       In den vergangenen Jahren waren es eben diese Erlebnisse von Frauen, die
       von der Sittenpolizei gewaltsam in Vans verschleppt wurden, die Wut bei den
       Menschen ausgelöst und schließlich auch zu den monatelangen Protesten im
       Herbst und Winter 2022 geführt haben.
       
       Aus diesem Grund startet das Regime nun eine Desinformationskampagne. Die
       Polizei würde die Frauen nur „verbal“ auf Verstöße ansprechen. Videos und
       Berichte aus Iran zeigen aber eindeutig: Die sogenannte Sittenpolizei
       agiert wieder genauso, wie sie es vor dem Mord an Jina Mahsa Amini getan
       hat.
       
       Die Bemühungen des Regimes, die Gemüter wieder zu beruhigen, zeigen, dass
       die Angst vor einem Wiederaufflammen der Proteste groß ist. Seit Monaten
       versuchen die Führer der Islamischen Republik, die Frauen wieder unter den
       Schleier zu zwingen. Erfolglos: Landesweit tragen viele Frauen weder das
       Kopftuch noch verhüllen sie ihren Körper.
       
       Mit diesem Widerstand stellen sie für die Machthaber eine ständige
       Bedrohung dar. Kameratechnik, Gesichtserkennung, Drohungen, das Schließen
       von Geschäften – nichts hat bislang gewirkt. Jetzt wird die Sittenpolizei
       wieder auf die Frauen losgelassen.
       
       Der junge Schauspieler Mohammad Sadeghi wurde noch während oder kurz nach
       der Veröffentlichung seines Instagram-Videos, in dem er die Sittenpolizei
       kritisierte, festgenommen. Seine Festsetzung [6][streamte] er ebenfalls
       live: Auf dem Video hört man lautes Klopfen und Rufe an seiner Tür, er
       versucht zu fliehen. Nun ist er inhaftiert. Das iranische Regime duldet
       niemanden, der im Staat der Lügen die Wahrheit sagt.
       
       17 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/IranIntl_En/status/1680626146319253507
   DIR [2] /Proteste-in-Iran/!t5884344
   DIR [3] /Reformkosmetik-in-Iran/!5899993
taz.de:70 /!5944942:86: line too long