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       # taz.de -- Nach Ende des Getreidedeals: Mopeds fliegen auf Odessa zu
       
       > Nach dem Ende des Getreidedeals hat Russland die Hafenstadt Odessa
       > angegriffen. Mit knatternden iranischen Drohnen, die „Mopeds“ genannt
       > werden.
       
   IMG Bild: Bis Montag konnten Getreideschiffe noch ungehindert den Hafen von Odessa verlassen
       
       Nachts, wenn bei den führenden ukrainischen Internetportalen Funkstille
       herrscht, ist bei Telegram Hochbetrieb. Hier erfährt man fast in Realtime,
       was passiert und, was noch wichtiger ist, was passieren wird. „Mopeds
       fliegen Richtung Odessa. Es wird ein bisschen laut werden. – Achtung, auch
       Richtung Charkiw gesichtet“, meldet der in Mykolajew angesiedelte
       Telegram-Kanal Nikolajewski Wanjok. Mopeds, das wissen inzwischen alle in
       der Ukraine, sind die iranischen Drohnen, die sich wie Mopeds anhören, wenn
       sie angreifen.
       
       Wenig später meldet der Kanal eine Entwarnung: „Odessa, ihr könnt jetzt
       pissen und schlafen gehen. Der Angriff ist abgewehrt.“ Doch das war zu
       früh. Kurz darauf meldet der Kanal: „Odessa, vier Raketen kommen vom Meer.
       Ihr habt noch Zeit für den Weg zum Schutzraum.“ Und dann um 4 Uhr schon
       leicht panisch: „Odessa, Tschernomorsk, ab in die Bunker! Es wird laut
       werden.“ Wenige Minuten wieder die Entwarnung: „Odessa, alles fit? Jetzt
       ist nur noch Charkiw in Gefahr – durch Mopeds. Alle anderen können schlafen
       und ins Kissen weinen. Euch allen vielen Dank, vor allem aber Danke an die
       Flugabwehr.“ Wieder ist eine Nacht vorbei, wieder verabschiedet sich der
       namentlich nicht genannte Moderator eines Telegram-Kanals von seinen
       LeserInnen.
       
       Am Dienstagmorgen berichtet die ukrainische Luftwaffe auf Telegram von
       russischen Angriffen auf die Südukraine mit sechs Kalibr-Marschflugkörpern
       und 36 Shahed-Angriffsdrohnen. Die Kalibr-Raketen wurden angeblich von
       einem russischen Schiff gestartet, die Shahed-Raketen aus dem Gebiet des
       Truppenübungsplatzes Chauda auf der Krim. Alle sechs „Kalibr“ habe man
       zerstört, genauso wie 31 Shahed-136/131-Drohnen und eine Aufklärungsdrohne,
       so das ukrainische Militär.
       
       ## Nachts waren Stadt und Hafen in Odessa Ziel
       
       Auffallend an den nächtlichen Angriffen ist, dass Odessa und sein Hafen
       Ziel war. Dabei habe es sich um einen „massiven Vergeltungsschlag“
       gehandelt, teilt das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Alle Ziele
       seien getroffen worden. Am Montag hatte Russland die Ukraine für einen
       [1][Angriff auf die Krim-Brücke] verantwortlich gemacht. Weiter heißt es
       aus Russland, man habe Odessa mit „Präzisionswaffen“ angegriffen, weil dort
       unbemannte Boote für den Angriff auf die Krim-Brücke vorbereitet worden
       seien.
       
       Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es einen Zusammenhang gibt
       zwischen den starken Angriffen auf Odessa in der Nacht und dem [2][Ende des
       Getreidedeals] am Montagabend, bei dem [3][der Hafen von Odessa eine
       zentrale Rolle] spielt. Im Frühjahr 2022 hatte Russland den Schiffsverkehr
       der Ukraine zum Erliegen gebracht, was zu weltweiten Lebensmittelengpässen
       geführt hatte. Im Juli 2022 einigten sich die beiden Länder unter
       Vermittlung der Türkei auf einen sicheren Getreideexport aus ukrainischen
       Häfen. Am Montag kündigte Russland den Deal auf.
       
       Die Ukraine will sich mit einem Ende des Getreidedeals nicht abfinden,
       plant auch ohne russische Mitwirkung, Getreide weiter über seine
       Schwarzmeerhäfen zu exportieren, sagte Präsident Wolodimir Selenski in
       seiner abendlichen Videoansprache. Man habe schon zuvor kein Abkommen mit
       Russland geschlossen. Wohl aber mit der Türkei und den UN. Er habe in einem
       offiziellen Schreiben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und
       UN-Generalsekretär António Guterres vorgeschlagen, die
       Schwarzmeer-Getreide-Initiative oder ein Äquivalent in einem trilateralen
       Format fortzusetzen.
       
       Russland bezeichnet einen Export von Getreide aus ukrainischen
       Schwarzmeerhäfen ohne Sicherheitsgarantien der Führung in Moskau als
       riskant. Denn die Ukraine nutze diese Gewässer für militärische
       Aktivitäten, erklärt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Er reagierte damit auf
       Vorschläge, dass die Türkei Frachter mit ukrainischem Getreide schützen
       könnte.
       
       Der in Odessa lebende Blogger [4][Wjatscheslaw Asarow] glaubt nicht, dass
       Russland auf Getreideschiffe schießen würde. Das würde international zu
       viel Unmut auslösen. Gleichzeitig schließt er auf seinem Telegram-Kanal
       nicht aus, dass die Russen die Getreideterminals in den Häfen von Odessa
       zerstören. Für Odessa, so Asarow, sei es nun wichtig, ausreichend
       Luftabwehrsysteme einsatzbereit zu haben.
       
       18 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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