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       # taz.de -- Hongkong-Thriller „Limbo“ auf DVD: Abfall und Regen
       
       > In „Limbo“ zeigt Soi Cheang ein heruntergekommenes Hongkong voller Elend
       > in Schwarz-Weiß. Inmitten des Morasts treibt ein Mörder sein Unwesen.
       
   IMG Bild: Im Regen von Hongkong verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse
       
       Es werden linke Hände gefunden. Hände ohne Körper, brutal, mit einem nicht
       sehr scharfen Instrument abgetrennt. Es werden auch Körper gefunden, ohne
       linke Hände. Leichen in Gassen und Winkeln,die vollgemüllt sind. Die
       Polizei ist ratlos, durchwühlt die Tüten mit Müll, kämpft sich durch
       Hinterhöfe, Verbindungswege, bewegt sich im Dunkeln, in dem lichtscheue
       Gestalten zwielichtige Geschäfte treiben, in dem eine junge Frau ohne linke
       Hand Drogen vertickt.
       
       [1][Das ist das Hongkong, das Soi Cheang hier präsentiert:] stinkend,
       brutal, heruntergekommen, verwinkelt, voller Elend und Abfall und Regen,
       endlosem Regen, der losbricht, der nicht mehr aufhört. Regen als Element,
       in dem alles, auch der Unterschied zwischen Gut und Böse verschwimmt.
       
       Cheang präsentiert [2][dieses Hongkong] in Schwarz-Weiß. Es ist ein softes
       Schwarz-Weiß. Es modelliert keine harten Kontraste, sondern erschafft eine
       Ton-in-Ton-Welt, in der Lichter aus den Hochhäusern scheinen wie Augen aus
       Körpern oder vielleicht doch eher wie ausgebleichte Knochen in fauligem
       Fleisch. Immer wieder sind zwischen die Bilder aus den engen Gassen und
       unübersichtlichen Wegen Totalen von diesem Häuser-Hongkong geschnitten,
       keine Stillleben, denn still ist es nicht; es rattern Züge als Hochbahn
       vorüber, es ist Gewusel von Wesen im Regen. Eher ist es eine Stadt als
       Untotenleben, die der Film in grandios stilisierten Bildern atmosphärisch
       beschwört.
       
       In dieser Stadt, in diesen Bildern sind der erfahrene Cop Cham Lau (Ka-Tung
       Lam) und sein junger Kollege Will Ren (Mason Lee), der die meiste Zeit
       schreckliche Zahnschmerzen hat, unterwegs. Das Polizeirevier ist wie alles
       andere auch ein unübersichtliches Chaos aus Bergen von Akten und Zeug, das
       in zu engen Räumen herumliegt. Aus dieser Höhle bewegen sich die beiden ins
       höhlenartige Freie, durch die Straßen der Stadt, auf der Suche nach dem
       Mörder. Dem Mann, der den Frauen die linken Hände abhackt.
       
       Zwischen Leben und Tod 
       
       Lau hat dabei selbst einen Schicksalsschlag zu verkraften: Nach einem
       Autounfall liegt seine Tochter im Koma, künstlich beatmet, von Geräten
       umgeben. Nacht für Nacht legt er sich in das daneben stehende Bett, selbst
       Bewohner des Limbo zwischen Leben und Tod, das dem Film den Titel gibt, als
       das der Film das Leben in Hongkong zeigt.
       
       Eine junge Frau war es, die die Tochter auf der Straße einst überfuhr. Sie
       kam ins Gefängnis dafür. Sie ist wieder raus, und als Cham Lau ihr zufällig
       wiederbegegnet, rastet er aus, treibt sie in einer Verfolgungsjagd, sie
       rennend, er im Auto, vor sich her, schlägt sie und benimmt sich wie ein
       blutrünstiges Tier. Kollege Will kann mit Mühe und Not das Schlimmste
       verhindern, aber dann verliert dieser seinen Revolver, was ihn seinen Job
       kosten könnte – ein Drama, das zum Verhängniszusammenhang, auf den sich
       alles zuspitzen wird, einiges beiträgt.
       
       Es ist die Sorte Film, der diese drei, die Cops und die junge Frau,
       schicksalhaft aneinander fesselt, als instabile Gemeinschaft, treppauf,
       treppab. Sie wird vom Killer geschnappt und in sein Reich verschleppt, das
       ein Messie-Königtum ist, voller Müll und Armen und Händen, aus Fleisch und
       aus Plastik, mit Leichen und mit Gestank und der Foto-Erinnerung an die
       Menschen, die den Mörder, das Untier, einst liebten.
       
       Aber wer einmal Untier geworden ist, kehrt nicht mehr unter die Menschen
       zurück. Und wer fast schon nicht mehr unter den Lebenden weilt, ist umso
       schwerer zu töten.
       
       Das Finale ist darum endlos, brutal, blutig, der Regen spült das schwarze
       Blut auf das Pflaster, der Schrecken scheint kein Ende zu finden, und dann
       trifft die falsche Kugel aus der falschen Waffe den Falschen. Es ist
       bitter. Und sehr konsequent.
       
       19 Jul 2023
       
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   DIR Ekkehard Knörer
       
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