# taz.de -- Staatliche Drogenpolitik: Gegen die Verdrängung
> Zu viel Repression, zu wenig Hilfe: Bremer Sozialarbeiter*innen
> kritisieren am Gedenktag für Drogengebrauchende den staatlichen Kurs.
IMG Bild: Bremer Aktivist*innen fordern ein Ende der Prohibition und mehr sichere Räume für Drogengebrauchende
HAMBURG taz | „Drogentod ist Staatsversagen“: Das ist das Motto, wenn am
Freitag mehrere Einrichtungen und Organisationen in Bremen den Gedenktag
für [1][verstorbene Drogengebrauchende] begehen. Der erinnert an den 21.
Juli 1994: Damals starb im nordrhein-westfälischen Gladbeck der junge
Drogengebrauchende Ingo Marten. Seine Mutter setzte sich erfolgreich für
eine Gedenkstätte ein und rief mit anderen den Gedenktag ins Leben; seit
1998 gibt es ihn bundesweit.
In Bremen nun organisieren eine Demonstration mit zwei Kundgebungen unter
anderem [2][die Organisation JES] – das steht für „Junkies, Ehemalige und
Substituierte“. Einer davon ist Lenny, der seit 20 Jahren substituiert
wird. Mehr als 20 seiner Freund*innen seien an den Folgen des Konsums
gestorben.
Lenny weiß aber auch, wie gefährlich gerade der Verfolgungsdruck sein kann:
„Ich brauchte damals jeden Tag 50 D-Mark, um meine Sucht zu befriedigen.
Ich musste dann stehlen gehen, einbrechen und so weiter, oder halt auch
dealen. Und dann wird man irgendwann erwischt und landet im Knast.“
„Die Mehrheit der Gebraucher sogenannter harter Drogen verstirbt nicht an
dem Stoff selbst“, erklärt die JES-Bundesorganisation. Vielmehr seien
„[3][Verunreinigungen], Überdosierungen, äußere Umstände des Konsums,
[4][staatliche Repression und mangelnde Hilfsangebote]“ Gründe dafür, dass
Menschen der Sucht nicht entkommen – und „schlimmstenfalls ihr Leben
lassen“.
Nicht für alle Gebrauchenden ist Abstinenz das wichtigste Ziel: „Ich lebe
jetzt schon seit 30 Jahren mit Drogen und hab das alles überlebt“, sagt
Lenny. Wichtige Bedürfnisse seien etwa „der Wunsch nach Obdach,
Substitution, niedrigschwelliger medizinischer Versorgung,
Krankenversicherung, einem legalen Aufenthaltsstatus, sauberer Kleidung,
einem Ort zum Runterkommen“: So steht es in einem Positionspapier [5][der
Gruppe „Fix it“]. Nichts davon „kann durch das Bremer Drogenhilfesystem
ausreichend erfüllt werden“.
„Fix it“, das sind Sozialarbeiter*innen aus der Drogenhilfe, die
anonym bleiben wollen. [6][Sie kritisieren Prohibition] und überhaupt
„verfehlte Drogenpolitik“. Sie verurteilen auch die Vertreibung Betroffener
etwa vom Bremer Hauptbahnhof: Inwieweit, fragt „Fix it“, reichen
„subjektive Gefühle“ als Grund, „eine ganze Personengruppe von einem
öffentlichen Ort auszuschließen“?
Die Sozialarbeiter*innen prangern auch an, dass das „Recht auf
Rausch“ im öffentlichen Raum sehr ungleich verteilt ist. Dieses werde
nämlich nur denen zugestanden, die „noch ein Mindestmaß an
gesellschaftlichen Normen erfüllen“, etwa alkoholisierten Fußballfans, oder
Volksfest-Besucher*innen. Dabei ergebe für Menschen, [7][die ihren
Lebensmittelpunkt in der Drogenszene] haben, ihr Konsum „in vielerlei
Hinsicht viel Sinn“. Denn „wenn Lebensgeschichten von Gewalterfahrungen und
Ausschluss geprägt sind, scheint die Selbstmedikation durch Drogenkonsum
sehr logisch“.
Die Armut und Verwahrlosung in der Drogengebrauchende oft leben seien zudem
„Problemlagen, die von einer Gesellschaft produziert werden“, die durch
ihre kapitalistische Ordnung „Unangepasstheit und psychische Erkrankungen
stigmatisiert und ausgrenzt“. 2021 gab es in Bremen 25 Drogentote, 2022
waren es 29. [8][Zuvor waren die Zahlen leicht rückläufig] – entgegen dem
Bundestrend.
21 Jul 2023
## LINKS
DIR [1] /Drogentote/!t5043795
DIR [2] https://www.jes-bundesverband.de/
DIR [3] /Streit-der-Woche/!5105030
DIR [4] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/drogen-portugal-sieht-liberale-drogenpolitik-als-erfolg-an
DIR [5] https://www.instagram.com/drogentod_ist_staatsversagen/
DIR [6] /Streit-der-Woche/!5105030
DIR [7] /Drogenpolitik-in-Bremen/!5910941
DIR [8] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/zahl-drogentote-bremen-gesunken-100.html
## AUTOREN
DIR Franziska Betz
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