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       # taz.de -- Klimabewegung versus Anti-AKW-Aktivisten: Bisschen weniger Block, bitte
       
       > Die Klimabewegung könnte viel von der einstigen Anti-AKW-Bewegung lernen.
       > Die sah, der Sache wegen, über viele politische Differenzen hinweg.
       
   IMG Bild: 2010 in Gorleben: Atomkraftgegner:innen protestieren gegen die Weitererkundung des Salzstocks als atomares Endlager
       
       Was auch immer man vom Atomausstieg hält – eines ist klar: Die
       Anti-Atom-Bewegung war im Sinne ihres Ziels erfolgreich. Spät zwar, aber
       immerhin. Womit sich die Frage stellt: Was können andere Bewegungen –
       speziell Klimaaktivisten – von diesem Erfolg lernen?
       
       Vor allem dieses: Die Anti-Atom-Bewegung war für Akteure aller
       gesellschaftlichen Strömungen offen. Sie agierte milieuübergreifend, sie
       grenzte niemanden aus. Sie war im besten Sinn divers, nämlich im Sinne
       einer weltanschaulichen Vielfalt.
       
       So kämpften Menschen zusammen, die in anderen politischen Fragen oft
       meilenweit auseinanderlagen – konservative Winzer vom Kaiserstuhl und linke
       Studenten zum Beispiel. Weil die Akteure souverän genug waren, den Charme
       des pluralistischen Widerstands anzuerkennen, rückten ideologische
       Differenzen in den Hintergrund. Ausschlaggebend war allein das gemeinsame
       Ziel. „Man hat nicht gefragt: woher kommst du?“ – das ist ein Satz, den man
       immer wieder hört, wenn die Widerständler von einst zurückblicken.
       
       ## Ungestüme Offenheit
       
       Verglichen damit kommt die Klimabewegung kleingeistig daher. Sie verprellt
       und verstößt potenzielle Mitstreiter, die nicht ins ideologische Raster
       passen. Symbolhaft zeigt sich das am Beispiel Boris Palmer. Beim
       Klimaschutz sind Palmers Verdienste offenkundig, seine Positionen
       engagiert. Dennoch gilt er vielen in der Bewegung, wie er einmal sagte, als
       „nicht satisfaktionsfähig“, weil er in anderen politischen Fragen nicht auf
       Linie ist.
       
       Die Anti-Atom-Kämpfer von einst waren hingegen stoisch genug, jeden
       Querkopf einzubinden, solange er ihren Widerstand mittrug. Diese ungestüme
       Offenheit machte die Bewegung stark und letztlich erfolgreich – gemäß dem
       Motto: Die Welt ist bunt, und das ist gut so. Die Klimabewegung hingegen
       erscheint als monolithischer Block. Sie werfen die bittere Frage auf: Wie
       will eine gesellschaftliche Bewegung, die sich vor allem auf
       Talkshow-kompatible Phrasen und blindwütige Aktionen stützt, erfolgreich
       sein?
       
       Was dann nahtlos zum zweiten Problem der Klimabewegung führt: Ihr fehlt das
       Konstruktive. Während aus der Anti-Atom-Bewegung heraus Firmen entstanden,
       um die Energiewende voranzubringen (viele davon gibt es noch heute),
       während mancher AKW-Gegner eine einschlägige Ausbildung machte, gehen
       Klimabewegte heute mitunter den konträren Weg und brechen ihre Ausbildung
       ab. Sie wollen Vollzeitprotestierer werden. Schon allein dieser Unterschied
       sagt einiges über die verschiedenen Mentalitäten.
       
       ## Zu paternalistisch
       
       Nun wäre es ungerecht, die einzelnen Akteure der Klimabewegung nur
       persönlich für diese Entwicklung anzuklagen. Vielmehr ist jede Bewegung
       auch ein Kind ihrer Zeit und reflektiert damit die Befindlichkeiten der
       aktuellen Gesellschaft – und diese ist heute eben reichlich paternalistisch
       geprägt. Einzig und allein in einer Gesellschaft, die Eigenverantwortung
       immer weniger einfordert, konnte der Ansatz „Staat, jetzt mach mal
       gefälligst“ zum Leitbild einer Bürgerbewegung werden.
       
       Dem Erfolg dienlich ist diese passive Haltung nicht. Hingegen gab es in der
       Anti-Atombewegung Macher. Aktivisten gründeten das Öko-Institut, weil sie
       Wissenschaft abseits der Atomlobby betreiben wollten. Andere bauten
       [1][Solarkollektoren], noch andere gründeten gleich einen eigenen
       Stromversorger, wie die Bürger von Schönau nach der Katastrophe von
       Tschernobyl. Die Schwarzwälder wollten keinen Atomstrom mehr und kauften
       deswegen kurzerhand das örtliche Stromnetz (was insofern zwingend war, weil
       vor der Marktliberalisierung der Inhaber des Netzes noch entscheiden
       konnte, welchen Strom er verkaufte).
       
       Auch dieses Beispiel zeigt, dass eine Bewegung Erfolge nur erzielen kann,
       wenn es ihr gelingt, Menschen jeder politischen Couleur einzubinden. Das
       nämlich war auch in Schönau nötig, wo zwei Bürgerentscheide zu bestehen
       waren. Doch das Arbeiten an Mehrheiten ist aufwendig; sich spektakulär
       festzukleben und anschließend mit Floskeln die Abendprogramme zu füllen ist
       einfacher – auf Dauer aber auch weniger wirkungsvoll.
       
       ## Der Gipfel der Kreativität
       
       Gleichwohl, um nicht unfair zu sein: Die Anti-Atom-Bewegung hatte noch die
       Chance, all das zu schaffen, was sie am Ende tatsächlich schuf. Die
       Klimabewegung hat diese Chance nicht mehr, weil sie in einer Zeit lebt, in
       der es längst alles gibt. Ein Öko-Institut muss heute niemand mehr gründen,
       nachdem inzwischen – von Staat und Stiftungen alimentiert – [2][NGOs] das
       Land zu allen erdenklichen Themen mit ihrer Weltsicht fluten. Auch
       Solarkollektoren muss heute niemand mehr im Keller bauen, Ökostromversorger
       niemand mehr gründen.
       
       Womit sich die entscheidende Frage stellt: Was bleibt einer Generation an
       Eigeninitiative, wenn schon alles da ist, was die Energiewende braucht?
       Bleiben da wirklich nur noch bizarre Klebeaktionen als der vermeintliche
       Gipfel der Kreativität?
       
       Um konstruktiv zu enden: Will die Klimabewegung ebenso erfolgreich werden,
       wie es die Anti-Atom-Bewegung war, sollte sie zwei Dinge tun. Erstens sich
       wieder an jenen Satz erinnern, der einst das Mantra der Umweltbewegung war:
       „Global denken, lokal handeln“. Vor Ort gibt es wahrlich genug zu tun. Ob
       man Städte verkehrsberuhigt, ob man gegen weitere Flächenversiegelung
       kämpft und Häuser energetisch auf den neuesten Stand bringt oder ob man
       sich gegen Flugreisen engagiert – lokal sind noch konkrete Erfolge jenseits
       der ermüdenden Klimaschutzrhetorik möglich. In der Summe können sie viel
       bewirken.
       
       Aber für solche Erfolge – und das ist dann Punkt zwei – muss man eben
       Unterstützer finden. Das allerdings werden die Klimaaktivisten nicht
       schaffen, wenn sie in der Öffentlichkeit weiterhin als Sektierer
       daherkommen. Sie müssen jeden mitnehmen, der Klimaschutz will und sich
       dabei zur Verfassung bekennt. Was der Betreffende ansonsten politisch
       denkt, sollte für die Zusammenarbeit dann egal sein.
       
       24 Jul 2023
       
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   DIR Bernward Janzing
       
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