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       # taz.de -- Nach Tod von zwei Kälbern: Bauern nehmen Nabu auf die Hörner
       
       > Der Naturschutzbund kämpft in Ostfriesland um seinen Ruf und eine
       > ordentliche Abwicklung seiner Weideprojekte. Er sieht sich als Opfer
       > einer Kampagne.
       
   IMG Bild: Charakteristische Hörner, ähnlich wie beim Auerochsen: In Coldam und im Thedingaer Vorwerk lässt der Nabu Heckrinder weiden
       
       Leer taz | Viel Wirbel gab es um [1][das Weideprojekt des Naturschutzbundes
       (Nabu) bei Leer] in den vergangenen Monaten, seit Ende Mai hagelte es
       praktisch im Wochentakt neue Vorwürfe. Nun geht der Nabu in die Offensive,
       mit einer großen Pressekonferenz und einem Weidebesuch versucht er seine
       Version der Geschichte zu erzählen.
       
       „Wir haben von Anfang an versucht, transparent aufzuklären“, sagt der
       Landesvorsitzende Holger Buschmann. Allerdings habe man viele Dinge eben
       auch selbst erst einmal rekonstruieren und intern aufklären müssen.
       
       Es begann mit zwei toten Heckrindkälbern, die nach einem verunglückten
       Zusammentreiben verletzt wurden und eingeschläfert werden mussten.
       Videoaufnahmen eines im Morast liegenden geschwächten Kälbchens sorgten für
       Empörung. Der Friesische Verband für Naturschutz, ein Zusammenschluss aus
       Jägern und konventionellen Landwirten, verbreitete sie via Bild und
       Facebook. Wie und wann sie zustande kamen und warum der Filmende offenbar
       nichts unternahm, um dem Tier zu helfen, bleibt unklar.
       
       Es blieb nicht bei diesen Bildern und nicht bei diesen Vorwürfen – und
       damit begann das, was der Nabu-Vorsitzende Holger Buschmann mittlerweile
       als „Rufmordkampagne“ bezeichnet. Die ganze Herde sei in einem
       katastrophalen Zustand, hieß es. Die Flächen seien für diese Art der
       Haltung vollkommen ungeeignet.
       
       ## Heimlich Proben genommen
       
       Das ist aus Laiensicht an diesem sonnigen Dienstag schwer nachzuvollziehen.
       Die Tiere verfolgen wachsam, aber ohne Anzeichen von Panik, wie man auf
       einem kleinen roten Trecker auf sie zu rumpelt. Ihr Fell glänzt in der
       Sonne, es sind keine Rippen unter dem Fell oder eingefallene Flanken
       auszumachen.
       
       Mittlerweile gibt es allerdings auch mindestens zwei Kontrollgänge täglich
       auf der Weide, fest angestellte Tierbetreuer kümmern sich um die Tiere und
       füttern Kraftfutter zu, wie vom Veterinäramt verlangt. Auch der
       Versorgungsplatz, auf dem sich das Drama ereignete, wurde geräumt und
       gesäubert, wie von der Behörde vorgeschrieben.
       
       Darum entspann sich allerdings gleich das nächste Drama: Der
       zusammengeschobene Misthaufen konnte nicht schnell genug entsorgt werden.
       Weil das Veterinäramt ihn unnötigerweise als „tierisches Nebenprodukt der
       Kategorie 2“ eingestuft hatte, sagt der Nabu – weil keine Blutuntersuchung
       durchgeführt werden konnte und daher der Seuchenstatus nicht klar war.
       Allerdings gab es auch keinen Verdacht auf Seuchen. Weil sich Kies und
       Folien darin befanden und der Mist deshalb nicht auf dem üblichen Wege
       entsorgt werden konnte, sagt der Landkreis. Es ist nicht der einzige Punkt,
       an dem sich die Darstellungen widersprechen.
       
       Und mittendrin: Der [2][Friesische Verband für Naturschutz], der heimlich
       Proben entnahm, um dem Nabu nachzuweisen, dass er mit dem Sickerwasser
       Boden und Gewässer verunreinigt hat. Die Beprobung muss die zuständige
       Untere Gewässerbehörde nun allerdings noch einmal wiederholen – weil ja
       vollkommen unklar ist, wo und wie genau sie genommen wurden. Der lokale
       Umweltverband scheint das Projekt jedenfalls genau zu beobachten: Auch der
       Besuch der taz wird aufmerksam registriert.
       
       ## Nabu wehrt sich mit Klagen
       
       Für den Nabu entwickelt sich das Ganze zum perfekten Sturm: Man hat nicht
       nur mit ungebetenen Besuchern und Beobachtern zu kämpfen, auch der
       Landkreis scheint entschlossen, das Projekt abzuwickeln.
       
       Das will auch der Nabu mittlerweile. „Man kann solche Projekte nicht gegen
       so einen Widerstand realisieren“, sagt Buschmann, „das geht nur, wenn man
       mit dem Veterinäramt gut zusammenarbeiten kann.“ Doch mit dem Veterinäramt
       hier redet man mittlerweile nur noch über Anwälte. „Wir haben uns bemüht,
       alle Auflagen so schnell wie möglich umzusetzen. Wenn das nicht ging, haben
       wir unser Vorgehen genau begründet, aber von der anderen Seite kam nichts
       außer einer Zwangsgeldverfügung.“ Die Vorgaben und Fristen seien zeitweise
       vollkommen unrealistisch gewesen. Bescheide seien kaum eingetroffen, aber
       schon über die Presse kommuniziert worden. Einsichten in Akten und
       Obduktionsberichte seien verweigert worden.
       
       Der Nabu wehrt sich mit Klagen. Dabei geht es auch darum, wie dieses
       Projekt denn nun abgewickelt werden soll. Zuletzt hatte der Landkreis
       angedeutet, die Flächen schon bis Ende September tierfrei haben zu wollen.
       „Es ist unmöglich, das tierschutzgerecht zu bewerkstelligen“, sagt
       Buschmann. Eine so wilde Herde kann man nicht einfach mal eben in einen
       Anhänger treiben. Eine Massenschlachtung auf der Weide kommt aber genauso
       wenig in Frage. Man müsste die Tiere nach und nach einzeln entnehmen und in
       andere Projekte bringen oder töten.
       
       ## Folgen für ähnliche Projekte
       
       Für den Nabu ist das auch deshalb schmerzhaft, weil man hier über 20 Jahre
       lang investiert hat. Und Buschmann ist [3][von dem Konzept] nach wie vor
       überzeugt: Die Vielfalt der offenen Landschaft, die Vielzahl an Pflanzen,
       Insekten, Vögeln und Fledermäusen, denen sie Heimat bietet, im Vergleich zu
       den monotonen Weideflächen ringsherum; die Entwicklungen der Herden, die
       hier – anders als im Stall – in komplexen sozialen Strukturen leben können
       – all das wird verloren gehen.
       
       Und möglicherweise wird sich das auch auf andere Weideprojekte auswirken.
       Schon lange kämpfen die darum, dass man bei ihnen nicht die gleichen
       Auflagen macht wie in der konventionellen Tierhaltung. Denn Ohrmarken
       setzen, Blutabnehmen oder Hufeschneiden sind bei einer wilden Herde eben
       mit sehr viel mehr Stress verbunden als im Stall. Doch die Landwirte pochen
       auf Gleichbehandlung, nicht nur in Ostfriesland.
       
       25 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Veterinaeramt-beendet-Weideprojekt/!5934847
   DIR [2] http://fvnj.eu/
   DIR [3] https://www.nabu-station-ostfriesland.de/themenschwerpunkte/weideprojekte/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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