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       # taz.de -- Putsch in Niger: Der „Stabilitätsanker“ löst sich
       
       > Kein Land in der Sahelzone beherbergt so viele ausländische
       > Eingreiftruppen und wird so gern von deutschen Ministern besucht wie
       > Niger. Und jetzt?
       
   IMG Bild: Nigrische Soldaten verlassen das Camp der Bundeswehr in Tillia
       
       taz | Kaum eine Armee der Welt wächst so schnell wie die der Republik
       Niger. Von gut 5.000 Soldaten vor zehn Jahren stieg die Truppenstärke der
       Forces Armées Nigériennes (FAN) bis zur Amtsübernahme des jetzt gestürzten
       Präsidenten Mohamed Bazoum 2021 auf 11.000, vergangenes Jahr waren es
       30.000. Bis 2025 soll Niger 50.000 Soldaten unter Waffen haben, bis 2030
       100.000.
       
       Unter Präsident Bazoum ist Nigers Verteidigungshaushalt entsprechend
       gewachsen, nach mehreren Jahren Stagnation: Von umgerechnet 171 Millionen
       Euro im von Bazoum geerbten Staatshaushalt für 2021 auf 230 Millionen im
       Jahr 2022 und 307 Millionen im laufenden Jahr 2023. [1][Gleichzeitig
       ergießt sich ausländische Militärhilfe in das Land,] dem eine
       Schlüsselrolle im Kampf gegen grenzüberschreitend agierende Terrorgruppen
       zugeschrieben wird.
       
       Die USA und Frankreich rüsten Niger auf, zu anderen wichtigen
       Rüstungslieferanten gehören China und Algerien. Deutschland genehmigte
       dieses Jahr Exporte umgerüsteter Hubschrauber zur Grenzüberwachung samt
       Überwachungstechnik. Ägypten überließ Niger vor drei Wochen Spähpanzer und
       Artillerie und große Mengen Waffen und Munition zum Antiterrorkampf. Zum
       gleichen Zweck hatte wenige Tage zuvor die Europäische Union verkündet,
       Niger werde das erste Land in Afrika, für das die EU „letale Militärhilfe“
       finanzieren werde, etwa moderne Ausrüstung für Kampfhubschrauber. Auf 100
       Millionen Euro beziffert die EU ihre gesamte Hilfe für Nigers
       Sicherheitssektor; die der USA ist ähnlich hoch. Bis zu 1.100 US-Soldaten
       sollen präsent sein, US-Spezialkräfte leiten aus ihrer Basis bei
       [2][Agadez] in Nigers Saharawüste Drohneneinsätze gegen islamistische
       Terroristen.
       
       Nigers islamistische Terrorgruppen agieren aber nicht bloß wie in Mali in
       fernen Wüsten und Savannen, sondern auch im Umland der Hauptstadt.
       Intensive Kämpfe gab es zuletzt nahe der Grenze zur [3][Burkina Faso]:
       Nigrische und französische Kräfte nahmen Anfang Juli zwei wichtige Führer
       des „Islamischen Staates in der Großen Sahara“ (ISGS) fest, der
       grenzüberschreitend sowohl gegen Regierungstruppen als auch gegen
       rivalisierende Islamisten kämpft.
       
       ## Von deutschen Soldaten ausgebildete Putschisten?
       
       Der Flughafen der Hauptstadt Niamey ist ein Drehkreuz für die Logistik
       ausländischer Truppen in der gesamten Sahelzone. Als Frankreich 2022 seine
       4.500 Mann starke Anti-Terror-Eingreiftruppe „Barkhane“ aus Mali abzog,
       weil die dortigen Militärherrscher sie nicht mehr haben wollten, ging sie
       nach Niamey. „Barkhane“ ist jetzt abgewickelt, aber 1.500 französische
       Soldaten sind in Niger geblieben.
       
       Ebenfalls nach Niger zog vergangenes Jahr die EU-Ausbildungsmission für
       Malis Armee. Sie geht nun in der EU-Partnerschaftsmission „EUMPM Niger“
       auf, die „Kapazitätsaufbau“ für Nigers Streitkräfte betreiben soll. Das
       ersetzt auch die Bundeswehr-Ausbildungsmission „Gazelle“ für Nigers
       Spezialkräfte. Unklar war am Donnerstag, ob am Putsch deutsch ausgebildete
       Spezialkräfte beteiligt sind.
       
       Am Flughafen Niamey befindet sich auch der Luftwaffenstützpunkt der
       Bundeswehr, über den der Bundeswehrabzug aus der UN-Mission in Mali läuft:
       Deutsche Transportflugzeuge aus Niamey holen in Gao, wo das
       Bundeswehrkontingent in Mali steht, regelmäßig Material und Personal ab.
       Das geht jetzt nicht mehr, denn am Mittwoch sperrte Niger seinen Luftraum
       bis 4. August. Es würden jetzt Alternativen zu Niamey geprüft, heißt es in
       der Bundesregierung.
       
       Der Putsch zwingt also dazu, die immer engere deutsch-nigrische Kooperation
       zu überdenken. [4][Angela Merkel besuchte Niger] öfter als jedes andere
       Land in Afrika. [5][Olaf Scholz war als Bundeskanzler auch schon in Niger],
       ebenso Annalena Baerbock, Christine Lambrecht, Boris Pistorius und Svenja
       Schulze. Deutschland hat Niger zum Stabilitätsanker in der Sahelzone
       erklärt. All das dürfte in Frage stehen, wenn sich in Niger dauerhaft ein
       Militärregime analog zu denen in Mali und Burkina Faso etablieren sollte,
       vielleicht sogar verbündet mit Russland.
       
       ## Schon zuvor gab es Putschversuche
       
       Nach dem Putsch schlug Nigers neue Militärjunta am Donnerstag einen
       schärferen Ton gegenüber Frankreich ein und kritisierte, dass trotz
       Sperrung des Luftraums eine französische Militärmaschine in Niamey gelandet
       war. Ein Dauerstreitpunkt ist außerdem Nigers Uran. Die von Frankreich
       kontrollierten Uranminen in Nigers Wüste powern die französische
       Atomindustrie, es gibt darüber in Niger viel Unmut. Nigers Uran ist aber
       auch für Russland interessant.
       
       Zwischen dem gestürzten Präsidenten Bazoum und Teilen des Militärs knistert
       es schon länger. Nur zwei Tage vor Bazoums Amtseinführung 2021 scheiterte
       in Niamey ein Putschversuch einer Luftwaffeneinheit. Der Anführer, Kapitän
       Sani Gourouza, floh nach Benin. Er wurde ausgeliefert, und von Dezember
       2022 bis Februar 2023 stand er mit etwa 60 Mitverschwörern, darunter ein
       ehemaliger Armeechef, in Niamey vor Gericht. Die fünf höchstrangigen wurden
       am 24. Februar zu Haftstrafen bis zu 26 Jahren verurteilt. Möglicherweise
       waren diese Urteile fatal für Präsident Bazoum. Nigers rasant wachsende
       Armee lässt sich nicht mehr gern in die Schranken weisen.
       
       27 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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