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       # taz.de -- Putsch in Niger: Die Machtprobe
       
       > Nigers Militär verkündet den Sturz von Präsident Bazoum, die Lage im Land
       > bleibt aber unklar. International wird die Freilassung Bazoums gefordert.
       
   IMG Bild: Keine Putschstimmung: In der nigrischen Hauptstadt Niamey blieb es ruhig Foto: Sam Mednick/ap
       
       COTONOU taz | Noch ist wenig klar und alles im Fluss, sagt ein Anwohner in
       Nigers Hauptstadt Niamey knapp. Man müsse erst einmal abwarten, wie sich
       die kommenden Tage entwickeln. Der Staatsstreich gegen Nigers gewählten
       63-jährigen Präsidenten Mohamed Bazoum bleibt am Donnerstag eine
       Machtprobe. [1][Nachdem seine eigene Garde ihn am Mittwochfrüh festgesetzt
       hatte], war am späten Mittwochabend eine Gruppe hochrangiger
       Militärangehöriger im Fernsehen aufgetreten und Oberstmajor Amadou
       Abdramane verkündete die Absetzung des Präsidenten, die Auflösung der
       verfassungsgemäßen Institutionen, die Schließung aller Grenzen und die
       Machtübernahme durch einen Nationalrat zur Rettung des Vaterlandes (CNSP).
       
       Aber anders als [2][bei ähnlichen Putschen in Nachbarländern] in den
       vergangenen Jahren willigte der Präsident nicht in seinen Sturz ein. Am
       Donnerstagmorgen hieß es stattdessen einigermaßen kryptisch auf Bazoums
       Twitter-Konto: „Die hart erkämpften Errungenschaften werden gerettet. Alle
       Nigrer, die Demokratie und Freiheit lieben, werden dafür sorgen.“
       
       Dabei hatte Putschistensprecher Abdramane deutliche Worte gefunden: „Wir
       haben beschlossen, das Regime zu beenden.“ Begründet wurde das mit der
       schlechten wirtschaftlichen Lage sowie der schlechten Regierungsführung.
       Während zunächst unklar war, ob diese Putschisten tatsächlich das Militär
       hinter sich haben, klärte am Donnerstag morgen ein von Generalstabschef
       General Abdou Sidikou Issa unterzeichnetes Schreiben die Lage: Das Militär
       habe beschlossen, sich der Erklärung der Putschisten anzuschließen. Damit
       soll eine Spaltung innerhalb der Armee verhindert werden. Militärische
       Interventionen von außerhalb können zu ungeahnten Konsequenzen und Chaos
       führen.
       
       Diese Botschaft dürfte sich vor allem an die Regionalorganisation Ecowas
       (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) richten, die sich als Wächterin
       der Demokratie in der Region begreift. Noch vor der Fernsehübertragung der
       Putschisten [3][erklärte Nigerias Präsident Bola Tinubu], seit Anfang Juli
       [4][Ecowas-Vorsitzender]: „Nigeria steht fest an Nigers Seite. Wir werden
       unseren Standpunkt zur Verteidigung und Wahrung der verfassungsmäßigen
       Ordnung nicht aufgeben oder zurückschrecken.“ Was das genau bedeutete, war
       allerdings unklar.
       
       ## Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft soll vermitteln
       
       Es heißt, dass aktuell eine Ecowas-Delegation [5][unter Benins Präsident
       Patrice Talon] in Niamey vermittelt. Denn mit dem Putsch ist Niger bereits
       das vierte Land Westafrikas seit August 2020, wo das Militär eine gewählte
       Regierung abgesetzt hat. Das schwächt die stark in der Kritik stehende
       Ecowas weiter. In Nigeria gibt es seit Langem Unverständnis für
       Staatsstreiche.
       
       Die Entwicklung in Niger sei auch für Europa und die USA ein Schock, sagt
       Ulf Laessing, Leiter des Regionalprogramms Sahel der CDU-nahen
       Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Mali. Niger sollte zum
       Stabilitätsanker werden, was eine Illusion gewesen sei. Grund dafür ist die
       Entwicklung im Nachbarland Mali, wo seit dem ersten Putsch von vor knapp
       drei Jahren das Militär herrscht. Es hat Mali aus der Westbindung
       herausgelöst – erst musste Frankreichs Antiterrortruppe gehen, jetzt auch
       die UN-Mali-Mission Minusma, an der Deutschland beteiligt ist. Als im
       vergangenen Jahr immer deutlicher wurde, dass Absprachen bezüglich der
       deutschen Minusma-Aktivitäten zunehmend schwierig wurden, wurde Niger zum
       Schwerpunktland der deutschen Zusammenarbeit erklärt.
       
       Die wachsende Präsenz ausländischer Streitkräfte hat in Nigers Bevölkerung
       zunehmend für Kritik gesorgt, die auch durch Fake News in sozialen Medien
       geschürt wird. Bereits im vergangenen Jahr gab es Demonstrationen gegen
       Frankreich. Mitunter wurde befürchtet, dass die ausländische Militärpräsenz
       Anschläge terroristischer Gruppierungen noch verstärken kann.
       „Möglicherweise haben die Militärprogramme auch Begehrlichkeiten bei
       anderen Truppenteilen geweckt“, so Laessing.
       
       Auf Twitter werden am Donnerstagnachmittag Bilder von spontanen
       Demonstrationen veröffentlicht. Es heißt, dass die Teilnehmenden den Putsch
       begrüßen. Am Vormittag selbst war es in Niamey allerdings ruhig. Heftige
       Regenfälle hatten die Stadt vorübergehend lahmgelegt.
       
       ## Selbst Russland fordert Freilassung
       
       Die Vereinten Nationen haben den Putsch ebenso scharf verurteilt wie
       Menschenrechtsorganisationen. Die internationale Sprachregelung scheint zu
       sein, dass man die Freilassung von „Präsident Bazoum“ fordert – damit
       erkennt man ihn weiter als legitimen Staatschef an. Selbst Russland, wo in
       Sankt Petersburg derzeit der zweite [6][Russland-Afrika-Gipfel]
       stattfindet, hat diese Forderung erhoben und die „zügige Freilassung“
       Bazoums gefordert. Beide Seiten sollen „von der Anwendung von Gewalt
       absehen und alle strittigen Fragen durch einen friedlichen und
       konstruktiven Dialog lösen“.
       
       27 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Moeglicher-Putschversuch-in-Niger/!5946433
   DIR [2] /Staatsstreich-in-Mali/!5702846
   DIR [3] https://twitter.com/officialABAT/status/1684239126978080768?s=20
   DIR [4] /Nigeria-uebernimmt-Ecowas-Vorsitz/!5946050
   DIR [5] /Benins-Praesident-vor-der-Wiederwahl/!5758992
   DIR [6] /Putin-laedt-zum-Russland-Afrika-Forum/!5946428
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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