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       # taz.de -- Rassismus am Arbeitsplatz: TÜV prüft und findet nichts
       
       > Ein Mitarbeiter klagt in Bremen gegen seine Kündigung beim TÜV und wirft
       > dem Arbeitgeber Rassismus vor. Solche Fälle kommen oft nicht zur Anklage.
       
   IMG Bild: Beten darf kein Grund für eine Kündigung sein – auch nicht in der Probezeit
       
       Bremen taz | Die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Bremen endete schnell.
       Nach 20 Minuten war sie schon wieder vorbei – ohne Einigung. Der TÜV Nord
       hatte einen Mitarbeiter während der Probezeit entlassen. Dieser erhob
       [1][Diskriminierungsvorwürfe] und klagte gegen seinen ehemaligen
       Arbeitgeber. Bei einem Gütetermin wurde am Donnerstag darüber verhandelt.
       
       Für Kündigungen innerhalb der Probezeit gelten juristisch sehr niedrige
       Hürden. Es ist möglich, Mitarbeiter*innen grundlos zu kündigen, oder
       weil man sich einfach persönlich nicht mit ihnen versteht. Wenn die
       Kündigung allerdings aus diskriminierenden Gründen erfolgt, ist sie nicht
       rechtens.
       
       In diesem Fall ist der Kläger ein muslimischer Mann of Colour, der seinen
       Glauben aktiv ausübt. Laut Klageschrift soll ein Vorgesetzter ihm unter
       anderem gesagt haben, dass es ihm nicht gefalle, wenn der Mann im
       Außendienst bete. Auch die Worte „Beim TÜV gibt es so was nicht und wird es
       auch nicht geben“ im Bezug auf Gebet und Fasten sollen gefallen sein. Der
       Kläger hatte die Kündigung angefochten und eine Entschädigung gefordert.
       
       Der Anwalt des TÜV Nord erschien nur per Videoschalte zum Termin. Er nannte
       andere Gründe für die Kündigung. Der Kläger, der beim TÜV eine
       sechsmonatige Ausbildung zum Prüfingenieur absolviert hatte, habe eine
       „mangelnde Leistung“ und „völlig unzureichende Fachkenntnisse“ gehabt.
       
       ## Das Unternehmen habe intern ermittelt
       
       Der Klägeranwalt widersprach: Sein Mandant sei nie über die
       Leistungsbeurteilung informiert worden, obwohl das in einer Ausbildung
       üblich sei. Stattdessen sei der Kläger „von heute auf morgen“ freigestellt
       und ihm sei danach gekündigt worden.
       
       Zu den Diskriminierungsvorwürfen sagte der TÜV-Anwalt, der TÜV nehme diese
       ernst. Das Unternehmen habe einen internen Prozess angestoßen, die
       hauseigene Antidiskriminierungsbeauftragte habe verschiedene
       Mitarbeiter*innen befragt, darunter auch welche mit „ähnlichem
       Hintergrund“ wie der des Klägers. Ergebnis: Es liege kein Verstoß gegen das
       Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vor.
       
       „Wir sind froh, dass so ein Fall überhaupt zur Anklage kommt“, sagt Julia
       Seekamp von der Beratungsstelle Antidiskriminierung in der Arbeitswelt
       (ADA). „Oft sind solche Fälle gar nicht justiziabel, weil es keine Beweise
       gibt.“ ADA berät rund 40 Menschen pro Jahr in Fällen von Diskriminierung am
       Arbeitsplatz. Der häufigste Grund, aus dem Menschen zu ADA kommen,
       [2][seien rassistische Erfahrungen]. „Danach folgen Diskriminierungen
       aufgrund des Geschlechts und aufgrund einer Behinderung“, sagt Seekamp.
       
       Die Erfahrungen von ADA decken sich mit den bundesweiten Zahlen zur
       Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Erst Mitte Juli hatte
       Ferda Ataman, die unabhängige Antidiskriminierungsbeauftrage des Bundes,
       ein Papier zur Novellierung des Gesetzes vorgelegt, das es seit 2006 gibt.
       In den 17 Jahren, in denen das Gesetz in Kraft ist, habe es nur 700
       Gerichtsverfahren dazu gegeben. An dieser geringen Zahl lasse sich ablesen,
       „dass Menschen sehr, sehr selten diesen Weg beschreiten, weil die Hürden
       sehr, sehr hoch“ seien, sagte Ataman dem Tagesspiegel.
       
       Eine dieser Hürden ist die kurze Frist von nur zwei Monaten, innerhalb
       derer Ansprüche wegen einer Diskriminierung geltend machen müssen.
       [3][Ataman fordert vom Bund, diese Frist auf zwölf Monate zu verlängern].
       Auch die hohen Kosten eines Verfahrens sind oft ein Problem, gerade wenn
       die Diskriminierung in der Arbeitswelt stattgefunden hat. Bei
       arbeitsrechtlichen Verfahren müssen – anders als bei zivilrechtlichen
       Verfahren – beide Parteien die Verfahrenskosten selbst bezahlen, auch wenn
       sie gewinnen.
       
       ## Klagen lohnt sich meistens nicht
       
       Das ist vor allem bei prekärer Beschäftigung ein Problem. Oft ist der
       Streitwert von drei Brutto-Monatsgehältern so gering, dass es sich für
       Anwält*innen gar nicht lohnt, die Fälle anzunehmen, oder die
       Kläger*innen mehr Kosten haben, als sie bei Erfolg zurückbekommen
       würden.
       
       „Bei uns landen meist nur die Fälle vor Gericht, bei denen die Personen die
       nötigen finanziellen Ressourcen, beispielsweise durch eine
       Gewerkschaftsmitgliedschaft oder eine Rechtsschutzversicherung, haben“,
       sagt Seekamp.Um dieses Problem zu lösen, fordert Ataman ein
       Verbandsklagerecht, dass es Fachverbänden und auch der
       Antidiskriminierungsstelle selbst erlauben würde zu klagen, sodass die
       Betroffenen nicht allein dastehen. Auch eine Beschwerdemöglichkeit
       gegenüber Diskriminierung durch den Staat soll es, wenn es nach Ataman
       geht, in einer Neufassung des Gleichbehandlungsgesetzes geben.
       
       Im Falle einer Diskriminierung am Arbeitsplatz ist der Beklagte
       verpflichtet zu beweisen, dass es keine Benachteiligung gab, wenn der*die
       Kläger*in nachweisen kann, dass eine Diskriminierung wahrscheinlich ist.
       Im Bremer Fall hat der TÜV Nord nun einen Monat Zeit, schriftlich auf die
       Klage zu reagieren und zu beweisen, dass es keine Diskriminierung gab. Die
       nächste Verhandlung wurde für Anfang Oktober angesetzt.
       
       27 Jul 2023
       
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       ## AUTOREN
       
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