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       # taz.de -- Perspektiven für Geduldete in Bayern: Ohne Pass keine Chance
       
       > Der Chancenaufenthalt soll geduldeten Migranten eigentlich neue
       > Perspektiven geben. In Bayern ist die Sache jedoch nicht so einfach.
       
   IMG Bild: Lage nach sechs Monaten Chancenaufenthaltsrecht in Bayern: keineswegs zufriedenstellend
       
       München taz | Gassimou Mbaye ist so ein Fall: Eigentlich wäre der gut
       integrierte Senegalese ein typischer Kandidat für das
       Chancenaufenthaltsrecht, doch er hat die Rechnung ohne die bayerischen
       Behörden gemacht. Vor zehn Jahren kam Mbaye, der in Wirklichkeit anders
       heißt, nach Deutschland. Asyl erhielt er nicht, aber er wurde nach einem
       erfolglosen Klageverfahren geduldet.
       
       Welches Glück, dachte er sich, als der Bundestag das
       [1][Chancenaufenthaltsrecht] verabschiedete – endlich eine Perspektive,
       legal hier zu bleiben, zu arbeiten. Eine Chance. Denn darum ging es ja in
       der zu Jahresbeginn [2][in Kraft getretenen Gesetzesänderung], und Mbaye
       erfüllte alle Voraussetzungen. Noch im Januar beantragte er bei der
       Zentralen Ausländerbehörde Oberbayern einen Aufenthaltstitel nach Paragraf
       104c des Aufenthaltsgesetzes.
       
       Es folgten Monate der Stille. Statt einer Nachricht der Ausländerbehörde
       erhielt er im Mai einen Brief der Polizei: Wegen Passlosigkeit werde ein
       Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet. Zwei Wochen später traf dann die
       Antwort der Ausländerbehörde ein: Wegen des Ermittlungsverfahrens werde
       sein Antrag ausgesetzt.
       
       Die Geschichte von Mbaye ist exemplarisch für das, was der Bayerische
       Flüchtlingsrat und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein bei
       einer Befragung von Betroffenen, Helferinnen und Anwälten erfahren haben.
       Die Organisationen haben bilanziert, wie es nach sechs Monaten
       Chancenaufenthalt mit der Umsetzung in Bayern aussieht: keineswegs
       zufriedenstellend.
       
       Dabei klingt das reine Zahlenverhältnis nicht so schlecht: Zum Stichtag 18.
       April standen 2.347 positiv beschiedenen Anträgen nur 658 abgelehnte
       gegenüber. Nur: Bei insgesamt 9.800 Anträgen bleiben viele Fälle wie der
       von Mbaye. Man habe den Eindruck, so Antonella Giamattei vom
       Anwältinnenverein, dass die Behörden bewusst versuchten, die Schwachstellen
       des Gesetzes auszunutzen, um das Ziel des Chancenaufenthalts zu
       unterwandern. So würde häufig nach der Antragstellung Anzeige erstattet.
       Werde ein Flüchtling zu 90 oder mehr Tagessätzen verurteilt, erfülle er
       dann nicht mehr die Voraussetzungen für einen [3][Chancenaufenthalt].
       
       ## Abstruse Begründungen
       
       Wer seinen Pass abgegeben habe, erhalte keine Duldung mehr und somit auch
       keinen Chancenaufenthalt. Es gebe weitere abstruse Versuche, Antragstellern
       den Chancenaufenthalt zu verwehren. So wollte man einer Person den
       Chancenaufenthalt verwehren, weil sie bei einer Busreise eingeschlafen und
       im Ausland wieder aufgewacht war. Nach ein paar Stunden war sie wieder in
       Deutschland. Aber: Der Voraufenthalt sei daher unzulässigerweise
       unterbrochen worden.
       
       In anderen Fällen würden Antragsteller abgeschreckt, indem sie aufgefordert
       würden, den Pass oder Sprachzertifikate mit zur Behörde zu bringen, obwohl
       beides keine Voraussetzungen für den Antrag seien. Oder ihnen werde
       fälschlicherweise zu verstehen gegeben, dass ihr Antrag keine Chance habe
       und sie ihn zurückziehen sollten.
       
       Die Organisationen fordern Nachbesserungen: So sollten nicht nur
       „Geduldete“, sondern alle „vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer“ das
       Chancenaufenthaltsrecht bekommen können.
       
       27 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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