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       # taz.de -- Die Wahrheit: Zwitschern vor lauter Lebensfreude
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (174): Schwalben treffen
       > sich gern und quatschen – wohl über ihre Reisen nach Süden.
       
   IMG Bild: Lecker Gebäck: Junge Rauchschwalben beim Essenfassen mit Mutti oder Vati
       
       Während die Mauersegler schon auf dem Weg nach Afrika sind, bleiben die
       Schwalben noch bis September oder Oktober hier. Beide leben von
       Fluginsekten, so dass es vielleicht nicht ganz aus der Luft gegriffen ist,
       wenn ich vermute, dass sie auf ihre langen Flügen hin und zurück den
       Windströmungen folgen, von denen allerlei Insekten und Spinnen mitgerissen
       werden. Dieses „Luftplankton“ ist ihre Wegzehrung.
       
       Schwalben machen unterwegs Rast, während Mauersegler nonstop fliegen. Die
       Berliner Schauspielerin „Fräulein Brehms Tierleben“ folgte Schwalben durch
       die Sahara. Dabei bemerkte sie, dass jene während eines Sandsturms hinter
       leeren Ölfässern Schutz suchten.
       
       Ich fand, dass die Rauchschwalben, die gern in Ställen ihre schalenförmigen
       Lehmnester anbringen, zwar keine Angst vor menschlicher Nähe haben, aber
       anscheinend auch keinerlei Notiz von den Menschen nehmen, die im Stall ein
       und ausgehen. Noch mehr gilt dies für die Mehlschwalben, die an den Ställen
       brüten, wo sie kugelförmige Nester bauen. Beide Arten sind hier vollauf mit
       ihrer Brut beschäftigt, sie brüten ein bis drei Mal im Jahr. Die
       amerikanische Fahlstirnschwalbe macht es sich einfacher: Sie schiebt den
       Nachbarn gern ihre Eier zum Bebrüten unter.
       
       Unsere Schwalben werden erst im Spätsommer gelassener und versammeln sich
       dann oft auf Stromleitungen, um sich zu unterhalten, wahrscheinlich über
       ihren baldigen kollektiven Abflug. „Sie kommunizieren ununterbrochen in
       einer großen Bandbreite an Lauten miteinander“, heißt es auf Wikipedia.
       Dies gilt auch für die Ufer- und Felsenschwalben, die ebenfalls in
       Mitteleuropa brüten.
       
       ## Schwalben, direkt neben dem eigenen Kopf
       
       Im Naturpark Schlei haben die Naturschützer eine Hütte als Infozentrum.
       Unter dessen überhängendem Dach brüten dicht an dicht Rauchschwalben. Als
       ich davor im Gras saß und mich an einen Holzzaun lehnte, kamen plötzlich
       Stücker drei Jungschwalben angeflogen und setzten sich direkt neben meinen
       Kopf.
       
       Ihre Flugübungen hatten sie wohl ermüdet. Die Eltern hatten aber
       aufgepasst, denn schon kamen sie an und fütterten die drei, die eine ganze
       lange Weile auf dem Zaun sitzen blieben, bis sie ihre Flugübungen dann mit
       vollem Magen fortsetzten.
       
       Ein Freund von mir besitzt ein altes Bauernhaus, der Nabu brachte ihm dort
       kostenlos eine Reihe vorgefertigter Nester für Rauch- und Mehlschwalben an,
       die auch sofort genutzt wurden. Die den Schwalben offerierten Fertignester
       ersparen ihnen viel Arbeit. Am Wannseehafen von Alt-Kladow haben sie ihre
       Nester unter die eisernen Bootsstege gebaut. Das erspart ihnen auch Arbeit,
       denn über dem Wasser gibt es viele Insekten.
       
       Am Berliner Schiffbauerdamm haben einige Hauseigentümer im Windfang Bretter
       angebracht, auf dem die Schwalben ihre Nester bauten. Da sie ihren Kot und
       den ihrer Jungen aus dem Nest fallen lassen, hat man Zeitungspapier
       darunter ausgelegt. Nach einigen Jahren wurde dies den Hauseigentümern
       jedoch zu viel und sie bauten die Bretter ab. Die Schwalben brüten seitdem
       wieder auf den Stahlstreben unter der S-Bahn-Brücke.
       
       Auf der Autobahnraststätte Linumer Bruch gibt es zwei Restaurants in einem
       Flachgebäude. Unter dessen Dach brüten viele Schwalben. Den
       McDonald’s-Mitarbeitern war die Reinigung des Bodens unter den Nestern aber
       wohl zu mühsam, sie verunmöglichten irgendwann den Nestbau an ihrer Hälfte
       der Raststätte.
       
       Der Betreiber daneben hat nun noch mehr Nester unter dem Dach seines
       Restaurants. Da das Entfernen von leeren Schwalbennestern eine
       Ordnungswidrigkeit darstellt und das Entfernen von Nestern mit Eiern oder
       Jungvögeln eine Straftat ist, war McDonald’s Sauberkeitsaktion
       wahrscheinlich illegal.
       
       Der Nabu berichtet über die Mehl- und Rauchschwalben: „Ihre Zahl geht in
       den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zurück – wegen fehlender Nistplätze,
       Insektensterben, mangels Nistmaterial und dem Klimawandel, der ihre
       Zugroute über die Wüste unsicherer und länger macht.“
       
       Der Hamburger Bird-Watcher Gerhard Brodowski schreibt auf seinem Blog: „Die
       Mehlschwalben bauen nicht nur ihre herkömmlichen Schwalbennester, sie
       nutzen auch Löcher in Wänden, die sie bis auf eine kleine Öffnung
       zukleistern. Schwalben sind immer auf der Suche nach neuen
       Nistmöglichkeiten. Mehlschwalben untersuchen die Nester der Uferschwalben.“
       Umgekehrt untersuchen die Mauersegler, die es noch eiliger haben, um ihre
       Jungen hier groß zu ziehen, die Nester von Schwalben und Spatzen und nehmen
       sie gegebenenfalls in Beschlag.
       
       ## Ungenügen der Artforschung
       
       Die Literatur über Schwalben ist nicht besonders üppig, dafür gibt es aber
       eine wunderbare Ausnahme: „Die Salzberger Schwalbengeschichten“ (1942) von
       Else Thomé. Die Malerin protokollierte darin die Aktivitäten mehrerer
       Generationen von Rauchschwalben, die in ihrem Atelier brüteten, nachdem ihr
       Mann, der sich damals an der Front befand, sie gebeten hatte, ihm mehr über
       die Schwalben zu berichten.
       
       Bei einem solchen Mitleben und Miterleben, in diesem Fall über sechs Jahre,
       lernt man die verschiedenen Charaktere dieser Vögel, ihre unterschiedlichen
       Verhaltensweisen und Einfälle kennen. Wenn man will, gleichzeitig auch noch
       das Ungenügen der Artforschung.
       
       Bei den meisten Forschungen über Tiere wird das Objekt zudem mehr oder
       weniger belästigt. Die „Wahrheitsfindung“ ist oft eine Art „peinliche
       Befragung“. Nur selten ist es einmal umgekehrt. So erforschte der Dichter
       Ernst Toller in der Haft Schwalben: 1919 hatte man ihn wegen seiner
       Beteiligung an der Münchner Räterepublik zu fünf Jahren Zuchthaus
       verurteilt. In seiner Zelle brütete ein Schwalbenpärchen, über das er 1924
       ein „Schwalbenbuch“ veröffentlichte.
       
       Ähnlich sah die ornithologische Beschäftigung von Rosa Luxemburg aus. Man
       hatte sie 1916 im Breslauer Gefängnis inhaftiert, weil sie gegen den Krieg
       agitiert hatte. Von ihrem Zellenfenster aus beobachtete sie ein
       Blaumeisenpärchen. In Briefen an Sophie Liebknecht berichtete sie darüber.
       Die Briefe wurden später in der DDR veröffentlicht.
       
       Diese beiden inhaftierten „Ornis“ richteten sich an der Lebensfreude der
       frei lebenden Vögel auf. Toller kam in seinem Buch jedoch allzu schnell von
       den Schwalben auf das Glück der ganzen Menschheit zu sprechen, Rosa
       Luxemburg gestand hingegen ihrer Freundin, dass sie eigentlich lieber
       Biologin als Politikerin sein würde. Aber die Zeiten seien nicht danach.
       Umgekehrt meinte der Biologe gewordene Schweizer Sozialist Adolf Portmann:
       „Ich weiß, dass man im Grunde politisch sein muß.“
       
       Er wusste aber auch, dass man ein Tier als „handelndes Subjekt, das ein
       Innenleben hat“, begreifen muss, will man mehr über sein Dasein wissen.
       Portmann schrieb dies im Vorwort eines Buches der englischen Musikerin
       Clare Kipps: „Clarence und Timmy“ (2023). Dabei handelt es sich um zwei
       Spatzen, die von klein auf viele Jahre mit der Autorin lebten und dabei
       einige musikalische Fähigkeiten entwickelten, die den in Schwärmen lebenden
       Spatzen abgehen.
       
       31 Jul 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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