URI: 
       # taz.de -- Klimaaktivismus in der Türkei: Das Lützerath der Ägäis wird geräumt
       
       > AktivistInnen wollten im Akbelen-Wald die Ausweitung des türkischen
       > Kohlebaus verhindern. Nun rollten Polizei und Rodungstruppen an.
       
   IMG Bild: Die türkische Polizei soll die Rodung des Akbelen-Waldes durchsetzen, Tränengaseinsatz am 29. Juli
       
       Istanbul taz | Der Morgen graut, als der Überfall auf das Widerstandscamp
       beginnt. Ein Polizei-Großaufgebot rückt an, um das Camp zu umzingeln und
       gleichzeitig Hunderten ArbeiterInnen Deckung zu geben, die im Akkord gegen
       den Wald von Akbelen vorrücken. Über Telefonketten mobilisierte
       UnterstützerInnen wurden bereits Kilometer vor dem Camp aufgehalten. Auch
       die Handyverbindung zwischen den AktivistInnen im Camp und ihren
       MitstreiterInnen ist durch elektronisches Störfeuer unterbrochen. Die
       Abholzung kann beginnen.
       
       Es geht nicht nur um den Wald an sich. Das Widerstandscamp in Akbelen wurde
       vor gut zwei Jahren gegründet, um [1][die Ausweitung des Braunkohleabbaus]
       in den Hügeln entlang der Ägäisküste zu verhindern. Vier Dörfer, der Wald
       von Akbelen und jahrhundertealte Olivenhaine sollen verschwinden, damit
       sich die riesigen Abräumbagger der oberirdischen Kohlegruben weiter in die
       Landschaft fressen können.
       
       Als Erstes widersetzten sich die Olivenbäuerinnen und -bauern den Plänen
       des Braunkohlekonzerns YK Enerji, einer Tochter der Limak Holding, eines
       der fünf Großkonzerne, denen die engsten Kontakte zu [2][Präsident Recep
       Tayyip Erdoğan] nachgesagt werden. Die Sprecherin der DörflerInnen, Necla
       Işık, wurde türkeiweit bekannt, als sie sich dem Konzern entgegenstellte.
       AktivistInnen aus der Provinzhauptstadt Mugla, der nächstgroßen Stadt Milas
       und aus dem bekannten Küstenort Bodrum unterstützten die DörflerInnen mit
       juristischer Expertise und sorgten für eine gute Öffentlichkeitsarbeit.
       
       Als im Sommer 2021 Großbrände an der Ägäisküste Tausende Hektar Wald
       vernichteten und YK Enerji das Chaos nutzen wollte, um auch den Wald von
       Akbelen schnell abholzen zu lassen, gründete sich das Widerstandscamp.
       „Seit Juni 2021“, erzählt Nihat Gençosman, einer der AktivistInnen aus
       Milas, „war unser Camp immer besetzt.“ Seitdem entwickelte sich das
       Widerstandslager von Akbelen zum bekanntesten Hotspot des Umweltschutzes in
       der ganzen Türkei.
       
       ## Auch die kemalistische CHP unterstützt die Proteste
       
       Die Opposition, nicht nur die Grünen und Linken, sondern auch die
       kemalistisch-sozialdemokratische CHP, unterstützte die AktivistInnen.
       Besonders wichtig für die UmweltschützerInnen war und ist die Solidarität
       der von der CHP regierten Kommunen in Mugla, Milas und Bodrum. Sie
       spendeten Sachleistungen und stellten in den letzten Tagen sogar kommunale
       Busse zur Verfügung, die UnterstützerInnen des Widerstandscamps nach
       Akbelen transportierten.
       
       So ist es kein Wunder, dass die Rodung des Waldes jetzt, zwei Monate nach
       der Wiederwahl Erdoğans zum Präsidenten, losging. „Erdoğan hat offenbar
       Druck von der Limak Holding bekommen“, mutmaßt nicht nur Nihat.
       UmweltaktivistInnen und die Opposition sollen nicht länger den Ausbau des
       Braunkohlereviers verhindern. „Das war auch eine Machtdemonstration“,
       glaubt Nihat.
       
       ## AktivistInnen wurden weggesperrt
       
       Das Ganze war generalstabsmäßig vorbereitet. Nicht nur überraschte man die
       Camper im Schlaf, auch die Straßen nach Akbelen wurden gesperrt und einige
       wichtige Leute der Bewegung, wie der Umweltanwalt İsmail Hakkı Atal,
       vorsorglich in U-Haft genommen. Die Leute kamen zwar nach einer Nacht
       wieder frei, dafür wurden dann immer wieder andere festgenommen.
       
       Der Braunkohle-Tagebau an der Ägäisküste, nur wenige Kilometer von den
       bekannten Touristenzentren in Bodrum und Marmaris entfernt, zerstört eine
       uralte Kulturlandschaft, die seit 2.500 Jahren vom Olivenanbau geprägt ist.
       Dazu kommt, dass die drei Kraftwerke in der Region, die die Braunkohle
       verfeuern, uralte Dreckschleudern sind, die vor ihrer Stilllegung
       privatisiert wurden und nun ihre Betriebsgenehmigung von der AKP-Regierung
       noch einmal verlängert bekommen haben.
       
       Dabei hat die Region ein großes Potenzial für Wind- und Sonnenenergie, das
       teilweise auch genutzt wird. Aber die Regierung will aus Profitgründen und
       weil die Abhängigkeit von Energieimporten reduziert werden soll, auf die
       Braunkohle nicht verzichten.
       
       So ist Akbelen zu einem nationalen Symbol für die Auseinandersetzung um die
       türkische Energiepolitik geworden. Am Freitag letzter Woche bekamen die
       AktivistInnen sogar Besuch von [3][Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu],
       dem nur knapp gescheiterten Gegenkandidat Erdoğans bei den
       Präsidentschaftswahlen.
       
       „Trotz der bereits fortgeschrittenen Rodung des rund 740 Hektar großen
       Akbelen-Waldes ist „die Stimmung bei uns im Camp dennoch ganz gut“, meint
       Nihat Gençosman. „Die große öffentliche Unterstützung motiviert uns, nicht
       aufzugeben.“ Noch ist das Camp selbst nicht geräumt und als Fixpunkt für
       alle UnterstützerInnen aus der ganzen Türkei weiterhin in Funktion. „Wir
       können immer noch den weiteren Ausbau des Tagebaus verhindern“ hofft Nihat.
       
       1 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Politische-Debatte-zur-Luetzerath-Raeumung/!5905116
   DIR [2] /Tuerkei-zu-Schwedens-Nato-Beitritt/!5943490
   DIR [3] /Erdoan-gewinnt-Wahl-in-der-Tuerkei/!5937087
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
   DIR Türkei
   DIR Braunkohle
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR klimataz
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Wahlen in der Türkei 2023
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Abholzung des Akbelen-Walds in der Türkei: „Gehen Sie hin, hören Sie zu“
       
       In der Türkei soll ein großer Wald dem Braunkohleabbau weichen. Die
       AnwohnerInnen leisten Widerstand. Nun gab es ein Sondertreffen im
       Parlament.
       
   DIR Oppositionspartei HDP in der Türkei: Demirtaş will nicht mehr
       
       Die kurdisch-linke HDP ist eine wichtige Stimme der türkischen Opposition.
       Ihr populärster Politiker will sich nun aus der Politik zurückziehen.
       
   DIR Debatte um die Letzte Generation: Wer ist hier radikal?
       
       Die Aktivisten der Letzten Generation gelten als extrem. Dabei bleiben sie
       friedlich – auch angesichts einer teils verfassungswidrigen Klimapolitik.
       
   DIR Braunkohleabbau in der Türkei: Bittere Oliven
       
       Für Mustafa Saregül könnte es die letzte Ernte werden. Ein tiefes Loch soll
       seine Gärten vernichten. Doch jetzt regt sich Widerstand.