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       # taz.de -- Wacken-Festival versinkt im Schlamm: Der Woodstock-Effekt
       
       > Die Leitung des legendären Metal-Festivals schließt die Tore. Doch für
       > die Happy Few, die es hingeschafft haben, soll Wacken trotzdem
       > stattfinden.
       
   IMG Bild: Mudhoney spielen trotzdem nicht: Schlamm in Wacken
       
       Metalheads sind atheistische Trolle, aber einige beginnen gerade, an ihrer
       metaphysischen Enthaltsamkeit zu zweifeln. Kaum hatten die Verantwortlichen
       des Wacken Open Air nämlich den nächsten peinlichen PR-Vogel abgeschossen
       und angekündigt, im Zuge der [1][„Lemmy Forever“-Feierlichkeiten] die Asche
       der alten Wanderwarze von Motörhead einzufliegen, um den Holy Ground damit
       symbolisch zu düngen, da traf sie der Fluch der Metalgötter, und das
       Festival begann von jetzt auf nun zu kippen. Wer da noch an Zufälle glaubt!
       
       Geregnet hatte es schon ein paar Tage zuvor, und zwar landesteiltypisch –
       für Nichtinformierte: Wacken liegt in Schleswig-Holstein – wie aus Eimern,
       aber als dann die ersten Gäste-Pkws im holsteinischen Sumpf bis zu den
       Rückspiegeln versanken, schlug die W.O.A.-Kommandozentrale Alarm. Man möge
       besser zu Hause bleiben. Das hört ein Fan natürlich nicht so gern, wenn er
       300 Euro für ein Ticket abgelatzt und seinen Jahresurlaub auf die erste
       Augustwoche gelegt hat.
       
       Aber Metalheads sind vernünftig, Argumenten aufgeschlossen, und wo gefeiert
       wird, ist ohnehin egal. Also trafen sich Hunderte Wackengänger am Parkplatz
       des Hamburger Volksparkstadions, warteten auf günstigere Winde und tranken
       die Bestände leer.
       
       Doch die Schlangen wurden länger und länger, weil alle weiteren Gefährte,
       vor allem SUVs, Wohnmobile und Campinggespanne, nur noch mit dem Trecker
       aufs Gelände gezogen werden konnten. Die umliegenden Gehöfte schickten ihre
       Erstgeborenen, und mit Überstunden und vereinter Bauernpower gelang es, die
       Early Metalbirds auf die Weide zu schleppen.
       
       ## Schicksalsgemeinschaft
       
       Die Stimmung blieb erstaunlich gut, wie immer, wenn schwierige äußere
       Umstände ein Kollektiv zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißen,
       und das dann noch in der [2][„Tagesschau“ zu sehen] ist. Das ist der
       Woodstock-Effekt. Man weiß, dass es legendär wird und man hinterher eine
       grandiose Geschichte erzählen kann. Das macht viel Unbill wett.
       
       Aber als die sich weiter verdichtenden Besucherströme den Verkehr auf den
       idyllischen Dorfstraßen zum Erliegen brachten, zogen die Veranstalter die
       erste Notbremse. Die Anreise mit dem Auto wurde bis Festivalende untersagt.
       Die Szene vermutete sofort regresstaktische Erwägungen. „Na klar“, erklärte
       mir ein befreundeter Metal-Hammer-Autor, „so können sie immer noch sagen,
       ihr hättet ja mit der Bahn kommen können, und müssen die Tickets nicht
       zurückzahlen.“
       
       Aber die Maßnahme brachte nicht die gewünschte Entspannung, zumal man für
       die nächsten Tage weitere schwere Regenfälle erwartete. Sarkastische Memes
       fluteten die einschlägigen Kanäle, zum Beispiel das mit dem kleinen Racker,
       der den Stinkefinger zeigt: „Petrus, iss ein Snickers!“
       
       ## Apokalyptica
       
       Es half nichts, am frühen Mittwochmorgen erging ein genereller
       Einlassstopp, weil die Festival-Infrastruktur nach Meinung der
       Verantwortlichen sonst zum Erliegen gekommen wäre. Es sollen ja noch Bands
       spielen. Außerdem gilt weiterhin Paragraf 1 des Metal-Codex: „Die
       Versorgung der Metalheads mit kühlen Getränken muss gewährleistet bleiben!“
       
       Befreundete Schreiber von der Spartenpresse sind Mittwochfrüh losgefahren
       und wurden ohne große Aufregung auf eine noch halbwegs leere, saftig grüne
       Wiese geleitet. Nur das Infield, da wo die Live-Action ist, mutete
       apokalyptisch an. Erinnerungen an alte Karl-May-Filme wurden wach.
       
       Andererseits waren die Wettervorhersagen relativ eindeutig und solche
       Schlammfestspiele in den vergangenen Jahrzehnten auch keine Seltenheit. Hat
       so ein traditionsreiches Festival keinen Notfallplan? Und lernt man dort
       gar nichts aus überstandenen Katastrophen?
       
       Ich kann mich noch erinnern, wie man einmal gewaltige Mengen Stroh,
       Holzschnitzel und Katzenstreu ausgefahren hat und keine 30 Gäste
       wegschicken musste – schon gar keine dreißig- bis vierzigtausend. Es sind
       ja nicht die Metalheads, die immer weicher werden, sondern die
       Festivalpatrone, die ihnen eine Woche Boot Camp nicht mehr zumuten mögen.
       
       2 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Wahrheit/!5947984
   DIR [2] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/wacken-anreisestopp-102.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Schäfer
       
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