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       # taz.de -- Nach Polens Getreideimportverbot: Streit ums Korn
       
       > Erst verbietet Polen den Import von ukrainischem Getreide, dann fordert
       > Polen von der Ukraine mehr Dankbarkeit. Die Nachbarstaaten liegen im
       > Clinch.
       
   IMG Bild: Ein Arbeiter an einem durch einen russischen Angriff zerstörten Getreidesilo in der Ukraine, 22. Juli
       
       Eigentlich sind Polen und die Ukraine gute Verbündete. Doch mit [1][Putins
       Aufkündigung des Getreidedeals] ist es dem russischen Kriegstreiber
       gelungen, Zwietracht zu säen. Am Dienstag bestellten Warschau und Kiew
       sogar gegenseitig die Botschafter ein. Marcin Przydacz, der außenpolitische
       Berater des polnischen Präsidenten, hatte zuvor im Staatssender TVP den
       polnischen Importstopp für ukrainische Agrarprodukte verteidigt – und in
       diesem Zusammenhang mehr Dankbarkeit von Kiew für die „viele Hilfe“ Polens
       gefordert. „Die Ukraine sollte damit beginnen, das zu schätzen, was Polen
       in den vergangenen Monaten und Jahren für sie getan hat. Für uns am
       wichtigsten ist jetzt die Interessenverteidigung der polnischen Bauern.“
       
       Das kam im kriegsgeschüttelten Nachbarland gar nicht gut an. „Es gibt
       nichts Schlimmeres als einen Retter, der von dir schon Geld für die Rettung
       fordert, während noch das Blut aus deinen Wunden trieft“, schrieb Andrij
       Sybiha, stellvertretender Büroleiter des ukrainischen Präsidenten Wolodimir
       Selenski, auf Facebook und wies den Vorwurf zurück, die Ukraine sei nicht
       dankbar genug. Die ukrainischen Soldaten verteidigten jeden Tag die
       westlichen Werte und die Sicherheit der ganzen Region gegen den russischen
       Aggressor, so Sybiha auf Facebook weiter. Sie täten dies auch im Interesse
       Polens. Die Äußerungen seien „inakzeptabel“, musste sich dann auch der
       Botschafter Polens in Außenministerium der Ukraine anhören.
       
       Daraufhin bestellte Polens [2][nationalpopulistische Regierung] ihrerseits
       den ukrainischen Botschafter ein. Noch am Dienstagabend warf Polens
       PiS-Premier Mateusz Morawiecki der Ukraine einen „Fehler in der
       Außenpolitik“ vor. „Wir werden immer den guten Ruf Polens und seine
       Sicherheit verteidigen“, so Morawiecki auf Twitter.
       
       Spät abends schrieb Selenski ebenfalls auf Twitter, dass die Freiheit und
       das Wohlergehen beider Länder sowie das Zusammenhalten gegen den russischen
       Krieg an erster Stelle stehen sollten. Doch am nächsten Morgen drohte
       Radoslaw Fogiel (PiS), der Chef des polnischen Parlamentsausschusses für
       Außenpolitik: „Die Ukraine muss sich darüber im Klaren sein, dass es bei
       solchen Streitigkeiten für Polen deutlich schwerer wird, die Ukraine
       weiterhin zu unterstützen.“
       
       Hintergrund der Animositäten ist der Streit über den [3][Export von
       Getreide] und anderer Agrarprodukte aus der Ukraine in die EU und nach
       Afrika. Nachdem die EU schon 2016 einen Großteil der Zölle für ukrainische
       Importe landwirtschaftlicher Produkte liquidiert hatte, importierten
       Großaufkäufer in den unmittelbaren Nachbarstaaten Millionen Tonnen Getreide
       aus der Ukraine.
       
       Das Nachsehen hatten die meist kleineren Bauernhöfe in Polen, Ungarn, der
       Slowakei, Rumänien und Bulgarien, die sich an Umweltauflagen der EU halten
       müssen, viele Pestizide, die in der Ukraine erlaubt sind, nicht einsetzen
       dürfen – und damit nicht konkurrenzfähig waren. Ihr Getreide blieb häufig
       unverkauft in Speichern und Silos liegen.
       
       Dramatisch wurde die Situation aber erst mit Aufkündigung des Getreidedeals
       seitens Russlands. Seitdem dürfen ukrainische Getreideexporte nicht mehr
       das Schwarze Meer passieren. Zwar verhängte die EU auf Antrag der
       ukrainischen Nachbarstaaten einen befristeten Importstopp für ukrainisches
       Getreide in die EU, erlaubte aber ausdrücklich den Transit durch EU-Staaten
       bis zu den Häfen, von denen aus das ukrainische Getreide vor allem nach
       Afrika verschifft werden sollte. Zu wenig berücksichtigt wurde dabei aber,
       dass die Umschlagkapazität der Häfen beschränkt war.
       
       Die Transitstaaten – darunter Polen – sahen sich nicht in der Lage, das
       logistische Problem zu meistern, die Kapazitäten auszubauen oder auch
       andere EU-Länder in die neue Lieferkette aufzunehmen. Die Folge: ein
       starker Preisverfall bei Agrarprodukten in Polen und den anderen vier
       Nachbarstaaten der Ukraine. Eigentlich sollte das EU-Exportverbot am 15.
       September auslaufen, doch Polen kündigte bereits an: „Ohne uns.“ [4][Im
       Herbst sind Wahlen in Polen.] Auch das muss die PiS berücksichtigen. Denn
       in Polen werden die Wahlen auf dem Land gewonnen, nicht in den Städten.
       Daher der plötzlich so scharfe Ton der PiS-Politiker gegenüber der Ukraine.
       
       2 Aug 2023
       
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