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       # taz.de -- Illegaler Kunsthandel: Geplündert für das Wohnzimmer
       
       > Weltweit werden antike Kunstgegenstände geraubt und teuer verkauft. Über
       > die Dimensionen des illegalen Antiquitätenhandels ist nur wenig bekannt.
       
   IMG Bild: Antike Kunst im Museum weckt private Begehrlichkeiten
       
       Im Irak liegt eine wichtige Wiege unserer Zivilisation. Aus dem Land
       stammen die bislang ältesten Zeugnisse für Literatur und Gesetzestexte.
       Besonders viele Artefakte aus vergangenen Hochkulturen befanden sich einst
       im Besitz des Nationalmuseums von Bagdad.
       
       Doch im ersten und zweiten Irakkrieg wurden das Museum und Fundstätten im
       ganzen Land geplündert, einige zehntausende Stücke verschwanden, darunter
       assyrische Bronzen, Goldschmuck oder antike Musikinstrumente. Armee und
       Polizei waren nicht in der Lage, den Raub zu verhindern.
       
       Fachleute aus der ganzen Welt blickten mit Entsetzen auf das Geschehen.
       „Die Schätze wurden teils mit Schubkarren und Lastwagen abtransportiert.
       Der hier entstandene kulturelle und wissenschaftliche Schaden ist
       irreparabel“, erinnert sich Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung
       Preußischer Kulturbesitz.
       
       Tatsächlich ist ein großer Teil der geraubten Stücke bis heute
       verschwunden. Der Prähistoriker glaubt, dass sie inzwischen Teil von
       privaten Sammlungen sind.
       
       ## Illegale Antiquitäten sind lukrativ
       
       Geschichten wie diese sind längst keine Ausnahme. Wenn man sich mit
       Archäolog:innen unterhält, hört man von ähnlichen Erlebnissen mit
       Grabräubern auch aus anderen Teilen der Welt – Asien, Lateinamerika, im
       Mittelmeerraum, aber auch in ganz Europa. Ungeschützte Grabungsstätten
       erinnern nach dem Besuch der Raubgräber an einen Schweizer Käse. Selbst
       Lagerräume und Museumsarchive sind vor Einbrüchen nicht sicher.
       
       Das skrupellose Vorgehen überrascht kaum, immerhin soll der illegale
       Antikenhandel längst zu einem lukrativen Geschäftszweig für das
       organisierte Verbrechen geworden sein. Schätzungen der UNESCO gehen von
       Umsätzen von [1][sechs bis acht Milliarden aus]. Damit wäre der illegale
       Handel mit antiken Stücken ähnlich lukrativ wie Geschäfte mit Waffen oder
       Drogen.
       
       Ob die Zahlen in dieser Dimension wirklich stimmen, lasse sich kaum prüfen.
       Genauso wie der Verdacht, dass antike Kunstschätze im großen Stil zur
       Terrorfinanzierung genutzt werden, sagt Parzinger. „Unbestritten ist aber,
       dass sich mit antiken Kunstobjekten gutes Geld verdienen lässt und die
       Nachfrage nach Stücken aus dem Altertum steigt.“
       
       ## Auch koloniale Raubkunst
       
       Und ja, längst nicht jedes antike Stück, das in der örtlichen Galerie
       steht, stammt aus Raubgrabungen – jedenfalls rein rechtlich gesehen. Denn
       alle Kunstobjekte, die vor entsprechenden Gesetzen oder mit offizieller
       Erlaubnis außer Landes geschafft wurden, gelten als legal. Darunter fallen
       auch Stücke, die im 19. Jahrhundert aus den Kolonien nach Europa oder in
       die USA geschafft wurden und aus heutiger Perspektive durchaus Raubkunst
       sind.
       
       Diese Auslegung kann man moralisch fragwürdig finden, juristisch ist sie
       aber kaum antastbar. Irgendwo müsse man eine Grenze ziehen, sonst wäre
       jedes Museumsstück strittig, erklärt ein Anwalt für Kulturgüter, der nicht
       namentlich genannt werden möchte. Die aktuelle Gesetzgebung versuche
       stattdessen, modernen Grabraub-Netzwerken das Handwerk zu legen und nicht
       koloniales Erbe aufzuarbeiten.
       
       Schon 1970 verabschiedete die UNESCO ein Verbot zur Ausfuhr und Einfuhr von
       gestohlenen Kunstgütern, 150 Staaten unterschrieben das Abkommen. In den
       allermeisten Ländern der Welt ist inzwischen die Ausfuhr von antiken
       Fundstücken verboten und Raubgrabungen werden unter strenge Strafen
       gestellt. In der Europäischen Union werden seit 2019 noch strengere
       Herkunftsnachweise als beim Kauf von Kunstschätzen nötig.
       
       Das Problem: Seriöse Herkunftsnachweise zu erbringen, ist schwierig, gerade
       wenn die Stücke häufig den Besitzer gewechselt haben. 2019 gab es in
       Deutschland [2][ein Forschungsprojekt,] das den illegalen Antikenhandel
       hierzulande untersuchen sollte. In seinem Abschlussbericht kamen die
       Forschenden zu dem Schluss, dass nur rund zwei Prozent der Antiken auf dem
       deutschen Markt einen verifizierbaren, lückenlosen Herkunftsnachweis
       vorweisen konnten. Alle anderen waren mindestens problematisch.
       
       „Strengere Gesetze für Händler und Sammler und Selbstverpflichtungen der
       Museen und Forschungseinrichtungen alleine werden den illegalen Handel
       nicht verhindern. Sie sind aber ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung und
       bieten eine bessere Handhabe für die Behörden“, erklärt Parzinger und gibt
       im gleichen Atemzug zu, dass die meisten fragwürdigen Verkäufe im
       Hinterzimmer stattfinden und in privaten Sammlungen bleiben. Für eine
       effektive Verfolgung fehle es den Behörden auch an Personal und Fachwissen.
       
       Einzig der Ursprung der Schätze ist offensichtlich. Die meisten Grabräuber
       vor Ort seien oft bitterarm und die kleinsten Fische in der Nahrungskette,
       sagt ein Archäologe, der regelmäßig im Nahen Osten ausgräbt und nicht
       weiter genannt werden will. Das Geld, das sie für Vasen oder
       Keilschrift-Tafeln bekämen, reiche kaum, um die Familie zu ernähren. Aus
       fehlenden Alternativen nähmen sie trotzdem das Risiko auf sich.
       
       ## Intransparentes Business
       
       Reich werden vor allem die Hintermänner. Vermutlich nutzen sie für den
       Transport und Vertrieb der antiken Schätze ähnliche Wege wie die Kollegen
       vom Waffen- oder Drogenschmuggel. Zöllner werden bestochen, Frachtpapiere
       gefälscht, der Personalmangel von Ermittlungsbehörden ausgenutzt. Und mit
       jedem Grenzübertritt steigt der Martkpreis der Ware.
       
       Mindestens genauso schwer auszumachen sind die Verkäufer und ihre Abnehmer.
       Schon im legalen Kunsthandel gilt Diskretion als Ehrensache, auf dem
       Schwarzmarkt ist sie überlebenswichtig. Die antiken Stücke werden nämlich
       nicht nur von Kunstliebhabern mit zweifelhaften Wertvorstellungen gekauft.
       
       Die wertstabilen Kunstobjekte dienen auch der Geldwäsche,
       Steuerhinterziehung oder Kapitalanlage für Zeiten, in denen andere
       kriminelle Geschäftszweige schwächeln. Den illegalen Antikenhandel auf
       Hinterhofgeschäfte zu reduzieren, wäre trotzdem zu einfach. Zu eng sind die
       Verstrickungen in den vermeintlich seriösen Kunsthandel und auch in die
       Archäologie. „Rein aus bestehenden Sammlungen und damit mit legalen Stücken
       ist die große Nachfrage gar nicht zu decken“, sagt Friederike Fless,
       Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts.
       
       Um sich trotzdem einen legalen Anstrich zu schaffen, würden nicht selten
       Herkunftsnachweise gefälscht. Auch die Aufnahme in einen
       Ausstellungskatalog, Gutachten zur Echtheit und Herkunft oder die Erwähnung
       in einem fachlichen Aufsatz kann für Legitimierung und damit für eine gute
       Marktpreissteigerung sorgen. Viele staatliche Museen in Deutschland sind
       deshalb dazu übergangen, Gutachten nur noch für Behörden und offizielle
       Stellen auszustellen. Vermeintliche Fachleute im In- und Ausland zu finden,
       die für Echtheit und Herkunft bürgen, ist trotzdem nicht schwer. Immerhin
       sind die Honorare für entsprechende Leistungen üppig.
       
       Wie eng die Verstrickung zwischen Halb– und Fachwelt sind, zeigen Fälle aus
       den letzten Jahren. 2022 wurde Jean-Luc Martinez, der ehemalige Direktor
       des Pariser Louvre, wegen Geldwäsche und Mittäterschaft im Zusammenhang mit
       Bandenkriminalität verhaftet. Er soll Objekte aus zweifelhaften Quellen an
       die Louvre-Zweigstelle in Abu Dhabi vermittelt haben. Und 2019 musste das
       New Yorker Metropolitan Museum einen vergoldeten Sarkophag aus dem ersten
       Jahrhundert v. Chr. zurückgeben, der 2017 für 3,5 Millionen US-Dollar
       gekauft wurde. Angeblich war der Sarg 1971 legal aus Ägypten nach
       Frankreich gelangt. Die Exportlizenz stellte sich aber als Fälschung
       heraus. Tatsächlich wurde das Stück im Arabischen Frühling geraubt.
       
       Von möglichen Bedenken zur Echtheit der Dokumente will das renommierte
       Museum nichts geahnt haben. Das lag wohl auch an entsprechenden Gutachten,
       an denen auch deutsche Expert:innen beteiligt waren. Die ermittelnden
       Behörden stellten außerdem schwerwiegende Mängel bei der Überprüfung vor
       dem Kauf fest. Ob die Fachleute im Museum zu gutgläubig waren oder hofften,
       dass niemand genau hinschaut, ist unklar.
       
       ## Aufklärung im Herkunftsland
       
       Unwissenheit sei jedenfalls keine Seltenheit, berichtet Fless. Gerade nach
       dem Bekanntwerden aufsehenerregender Fälle bekämen Museen und
       Forschungseinrichtungen häufiger anonym Pakete mit Stücken, die ihre
       Besitzer offensichtlich loswerden wollen. „Mir stellte mal eine Person nach
       einem Vortrag eine Plastiktüte mit kleineren Stücken aus dem Nahen Osten
       auf den Tisch, mit dem Hinweis, seine Familie wolle damit nichts mehr zu
       tun haben“, erzählt sie.
       
       Neben strengeren Gesetzen hält sie deshalb eine bessere Aufklärung der
       Menschen hierzulande und in den Herkunftsländern für ein wichtiges
       Gegenmittel. Am Deutschen Archäologischen Institut versucht man deshalb bei
       Ausgrabungen im Ausland Präventionsarbeit zu leisten. „Wir kommen als Gäste
       in das Land und binden deshalb die lokale Bevölkerung von Anfang ein“, sagt
       die Archäologin.
       
       Dazu gehören Führungen über die Ausgrabungsstätten und Vorträge in Schulen.
       Dabei will man über die kulturelle Bedeutung der Funde aufklären und die
       Perspektive für ihren Erhalt aufzeigen. „Wir bezahlen die Menschen für ihre
       Mitarbeit bei Grabungen oder zur Bewachung der Fundstätten. Auch Führungen
       für Touristen oder Schulklassen können langfristige Einnahmequellen und
       damit Alternativen zum Grabraub sein“, sagt sie. Aber natürlich sei das nur
       ein Teil der Lösung: Auch bei den Sammlern braucht es ein stärkeres
       Bewusstsein dafür, dass sie mit ihrem Wunsch nach immer neuen, immer
       ausgefalleneren Stücken eine erhebliche Mitschuld an neuen Raubgrabungen
       tragen.
       
       21 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000374570_eng
   DIR [2] https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/66782
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Birk Grüling
       
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