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       # taz.de -- Kampf um ein Freibad: Ein Dorf hält sich über Wasser
       
       > Fast hätte Wildemann sein Schwimmbad verloren. Aber die
       > Bewohner*innen nehmen die Sache in die Hand. Es ist nicht ihre erste
       > Rettungsaktion.
       
   IMG Bild: Als Niedersachsen die Finanzierung für das Freibad in Wildemann strich, übernahmen die Bewohner
       
       Wildemann taz | Würziger Waldduft wabert von den feuchten Hügeln herunter
       und mischt sich mit dem Chlorgeruch aus dem Freibad. Man könnte direkt von
       den Hängen über die Badewiese und den Beckenrand ins Wasser kugeln. Grillen
       zirpen, niemand badet. Neben dem Eingang, einem Häuschen mit spitzem Dach,
       sitzen eine Frau und ein Mann – er mit großem Hut auf dem Kopf – auf
       weinroten Plastikstühlen vorm Kiosk und essen Pommes. Morgens war noch
       Regen durch das Tal des Ortes Wildemann gepeitscht, jetzt zieht eine
       zerfledderte Wolkendecke über die Oberharzer Berge hinweg.
       
       Ein Auto rollt auf den leeren Kiesparkplatz. Ein Mann in kurzärmeligem
       Hemd und Bluejeans steigt aus und kommt lächelnd auf den Kiosk zu. Es ist
       Reinhold Hasse, zweiter Vorsitzender des Spiegelbads in Wildemann. Er
       begrüßt das Paar vorm Kiosk. Man kennt sich hier eben. Der Mann mit Hut ist
       Rettungsschwimmer, übernimmt regelmäßig die Badeaufsicht, heute eigentlich
       auch, aber sie haben sich entschieden, heute zu schließen. An warmen Tagen
       kommen schon so rund 100 Besucher*innen. Nicht so bei 20 Grad und Wolken.
       „Es kommen zu wenige Menschen bei diesem Wetter ins Freibad“, sagt Hasse.
       Voller Freibadbetrieb mit Badeaufsicht und Kioskbetrieb und wenige
       Besucher*innen – das trage sich nicht, darum sei für heute Schluss.
       
       Das Freibad Wildemann kann nicht jeden Tag und bei jedem Wetter geöffnet
       werden. Alles muss ständig durchgerechnet und geplant werden, denn einige
       Dorfbewohner*innen betreiben ihr Freibad selbst. Sie haben einen
       Verein gegründet und finanzieren ihr Bad durch Mitgliedsbeiträge, den
       Kioskbetrieb, über die Eintrittsgelder – Erwachsenen zahlen für ein
       Tagesticket fünf Euro – und neuerdings auch Spenden und Sponsoring.
       
       ## Selbst wiedereröffnet
       
       Schon seit 15 Jahren gibt es den Verein. Und doch kämpfen die
       Ehrenamtlichen jedes Jahr aufs Neue um den Erhalt des Spiegelbads. Denn der
       Betrieb eines Freibads ist teuer. Man braucht Rettungsschwimmer*innen,
       Techniker*innen, Kiosk- und Reinigungspersonal, wie Hasse aufzählt. Die
       meisten helfen ehrenamtlich. „Das kriegen wir nur in der Gemeinschaft
       organisiert und ohne Ehrenamt klappt das nicht.“ Es stellten sich jedes
       Jahr zwei Fragen: „Haben wir genug Leute und genug Geld?“
       
       Der 60-jährige Hasse ist seit 2022 im Vorstand, damals ging es direkt um
       alles: Das Spiegelbad war in der Coronapandemie zwei Jahre geschlossen,
       dringende Renovierungsarbeiten standen an. „Der Filter brauchte eine
       Erneuerung – das allein hat 50.000 Euro gekostet und dafür mussten wir
       Spenden erkämpfen“, sagt Hasse. Dem Verein gelang es, das Bad vor dem
       Verfall zu retten und wieder zu eröffnen.
       
       Um das Bad am Laufen zu halten, brauchen sie etwa 30.000 Euro pro Saison,
       allein für die Betriebskosten. Aber damit ist es nicht getan. Es kommen
       immer Reparaturen dazu. Die gesamte Filteranlage ist alt, pumpt und reinigt
       das Wasser schon seit den 60ern. Ohne sie und ohne regelmäßige Wartung geht
       hier gar nichts.Es stehen weitere Sanierungen an – Hasse spricht von einer
       halben Millionen Euro, die in den nächsten Jahren gebraucht werden. Auch
       wenn diese Saison mit einigen heißen Tagen ganz gut angelaufen ist, bleibt
       er realistisch: „Wir brauchen noch eine Menge Pläne, wie wir die
       Finanzierung in Zukunft weiterhin gut hinbekommen.“
       
       Eigentümerin des Bades ist die Kurbetriebsgesellschaft „Die Oberharzer“,
       die aber nicht für den Betrieb zuständig ist – das macht alles der Verein.
       Auch die Stadt Clausthal-Zellerfeld, zu der die Gemeinde Wildemann als
       Ortschaft seit 2015 gehört, sei für das Bad nicht mehr zuständig, wie ein
       Mitarbeiter der Stadtverwaltung sagt. Die öffentlichen Gelder vom Land
       Niedersachsen für das Bad wurden vor einiger Zeit gestrichen. Das hätte für
       das Freibad ziemlich sicher das Aus bedeutet, darum ergriffen die Leute im
       Ort die Initiative.
       
       Die ehemalige freie Bergstadt Wildemann hat laut Stadtverwaltung
       Clausthal-Zellerfeld 886 Einwohner*innen. Das sind allerdings keine
       offiziellen Zahlen, da diese seit der Zusammenlegung 2015 für die einzelnen
       Ortschaften nicht mehr erhoben werden. Wildemanns Bürgermeister Arno
       Schmidt (SPD) erzählt, dass der Ort neben zunehmendem Leerstand von Häusern
       vor allem mit der Überalterung der Bevölkerung zu kämpfen habe. „Wenn ich
       einmal im Jahr zur Weihnachtsfeier einlade, dann sehe ich das – rund 550
       Menschen in Wildemann sind über 70 Jahre alt.“
       
       Schmidt ist selbst bereits 78 und seit 17 Jahren im Amt, er kommt aus
       Wildemann und weiß, was sich hier verändert hat. „In den 60er- und
       70er-Jahren hatten wir hier noch viel mehr Touristinnen und Touristen: Das
       waren so über 270.000 Übernachtungen im Jahr, jetzt sind es nur noch circa
       50.000.“ Das Spiegelbad sei für den Tourismus daher sehr wichtig, so
       Schmidt. Er ist Mitglied im Verein und betont, wie bedeutend das Freibad
       auch für die Region ist: „Hier lernen Kinder aus den Ortschaften
       schwimmen.“
       
       So auch die zwei Kinder von Beate Nösel. Die 53-Jährige engagiert sich von
       Beginn an im Verein. „Das Bad ist mit seiner schönen Lage einzigartig und
       deshalb erhaltenswert“, sagt sie. Schon als Jugendliche fuhr sie regelmäßig
       mit dem Fahrrad nach Wildemann zum Spiegelbad. Heute lebt sie mit ihrer
       vierköpfigen Familie nur zehn Minuten vom Bad entfernt. „Hier kommen Jung
       und Alt zusammen, ob zum Kaffeetrinken oder um ein paar Bahnen nach
       Feierabend zu ziehen.“
       
       Mittlerweile sind Nösels Kinder erwachsen und haben eine
       Rettungsschwimmer*innen-Ausbildung absolviert, um im Bad zu helfen. Aktuell
       gibt es rund zehn Rettungsschwimmer*innen im Spiegelbad, alle aus der
       Region. Die Badeaufsicht ist aber nur ein Teil des Schwimmbadbetriebs.
       Nösel berichtet vom ehrenamtlichen Team, das Becken und die Sanitäranlagen
       reinigt. „Sie arbeiten im Hintergrund und man sieht immer nur, dass alles
       sauber ist“, so die 53-Jährige.
       
       Der Ort Wildemann liegt in einem schmalen Tal, eine kurvige Straße zieht
       ihr Band neben dem Gebirgsfluss Die Innerste und bildet das Zentrum von
       Wildemann. Rechts und links der Straße türmen sich einige verlassene und
       viele hübsche Fachwerkhäuschen an den Hügeln hinauf. Direkt an der großen
       Straße, wo der Bus am Wochenende nur alle zwei Stunden vorbeirollt, ist der
       einzige Supermarkt: die Konsumgenossenschaft Wildemann. Von 8 bis 12.30
       Uhr, donnerstags und freitags auch länger, ist geöffnet. Die
       Dorfbewohner*innen sind geübt darin, gemeinsam zu erhalten, was ihnen
       wichtig ist. Sei es ihr Freibad oder ihr Lebensmittelmarkt.
       
       Ragna Simon ist ehrenamtlich in der Genossenschaft tätig, wohnt in
       Wildemann und Amsterdam. Die 57-Jährige ist selbstständige
       Personalberaterin und auf der ganzen Welt unterwegs – und doch hält es sie
       an diesem beschaulichen Fleck im Harz. „Hier im Ort suchen sich viele
       Menschen irgendetwas, wo sie mithelfen oder mitmachen können“, erzählt
       Simon. An der Kasse des Marktes steht eine Spendenbox für das Spiegelbad.
       
       Auch Reinhold Hasses Kinder haben im Spiegelbad ihre ersten Züge gemacht –
       heute planschen seine Enkelkinder im Wasser. „Hier im Harz gibt es viele
       Wald- und Naturbäder – die sind aber meistens ohne Badeaufsicht und auch
       durch das trübe Wasser ganz schwer zu beobachten“, sagt er. Das sei für ihn
       einer der Gründe, sich für das Bad einzusetzen und im Schnitt zehn Stunden
       die Woche für Vereinsarbeit zu opfern.
       
       Einen Tag später sind wieder 28 Grad, sie öffnen um 11 Uhr das angerostete
       Eingangstor zum Freibad. Im August will der Verein ein Sommerfest
       veranstalten. Im vergangenen Jahr kamen immerhin rund 200 Gäste zu der
       Feier. Und so geht der Kampf um das Freibad in Wildemann weiter.
       
       25 Jul 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Emily Kietsch
       
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