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       # taz.de -- Festival zu Wasser im Radialsystem: Das Gedächtnis der Flüsse
       
       > Wasser wird weltweit knapper. Was das für den Menschen bedeutet,
       > thematisierte das Berliner „Breathing Rivers Festival“ in Performances
       > und Talks.
       
   IMG Bild: Tirana, eine Art Fandango: Darstellerinnen Luisa Fernanda Alfonso und Luísa Saraiva (v. l.)
       
       Trockenheit im Osten: Der niedrige Wasserstand der Spree gibt seit einigen
       Sommern Grund zur Sorge. Brandenburg ist deutschlandweit besonders von
       Trockenheit betroffen. [1][Mit dem Bau der Tesla-„Gigafactory“] werde die
       Region in Zukunft mit Wasserknappheit zu kämpfen haben, befürchten nicht
       nur Umweltschützer. Doch um Berlin und Umgebung ging es bei dem „Breathing
       Rivers Festival“ am Wochenende nur am Rande. Thematisch reiste man im
       [2][Radialsystem, einem einstigen Pumpwerk und heutigen Kulturzentrum,]
       erstmal weit weg, nach Chile.
       
       Wasser, das rief der:die Künstler:in Seba Calfuqueo (über Zoom
       dazugeschaltet) beim ersten „River Talk“ in Erinnerung, befindet sich in
       Chile in Privatbesitz. Festgehalten ist das in der Verfassung des Landes,
       die noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammt. Vor allem auf dem Land
       leiden die Menschen unter der Knappheit, sagte Calfuqueo.
       
       Der Terminus des „grünen Kolonialismus'“ kam immer wieder auf, meist im
       Kontext von Firmen, die Chiles Wasserreserven ausbeuten, um etwa günstig
       Avocados zu importieren. Wie groß der Handlungsspielraum der chilenischen
       Regierung in der Angelegenheit ist, war nicht Thema. Der Entwurf für die
       neue Verfassung Chiles verspricht laut den Lateinamerika Nachrichten in
       Sachen Wasserrechte jedenfalls kaum Verbesserungen.
       
       Mit übermächtigen Wasserunternehmen hat nicht nur Chile, sondern selbst die
       einstige Kolonialmacht Frankreich zu kämpfen. Als Beispiel sei hier bloß
       die Gemeinde Vittel genannt, wo Nestlé die gleichnamigen Plastikflaschen
       befüllt. Seit Jahren sinkt dort der Grundwasserspiegel, mittlerweile wird
       wegen Lobbyismus gegen eine Politikerin ermittelt.
       
       Wasser als Urgewalt 
       
       Weniger um kapitalistische Wirklichkeit als um die ureigene Beziehung zu
       Leben und Wasser sollte es bei „Breathing Rivers“ jedoch gehen. Die
       Künstlerin Amanda Piña, die das Festival mit Lina Gómez und Luísa Saraiva
       kuratierte, argumentierte animistisch, gab zu bedenken, dass ein großer
       Teil des Wassers auf der Erde älter ist als das Sonnensystem und wir diese
       Urgewalt nicht bloß im Kontext ihrer Nützlichkeit betrachten sollte.
       
       Von Urgewalten kündete auch die Performance „Tirana“ nach der Choreografie
       Luísa Saraivas, die am Freitag im Radialsystem Deutschlandpremiere feierte.
       Begleitet vom trommelnden Platzregen peitschten die vier Tänzer:innen
       mittels Atem, Gesängen und Tanz zum Klang des von Inês Tartaruga Águadie
       entwickelten, sackpfeifenähnlichen Instruments die Performance voran, die
       tatsächlich mit einem Donnerschlag ihr Ende fand.
       
       Zurück in den Osten Deutschlands ging es schließlich beim letzten „River
       Talk“ auf einem Boot, das gemächlich die Spree hinunterglitt, an der
       Mercedes Benz Arena, aber auch an am Ufer kampierenden Obdachlosen vorbei.
       Die Ethnologin Kristiane Fehrs berichtete von ihrem Forschungsprojekt zu
       Wasser in der Lausitz, das als Folge des Bergbaus aus dem Gleichgewicht
       geriet, von Eisenschlamm durchzogen ist.
       
       Das Problem wird die Lausitz noch Jahre beschäftigen; aber ebenso Berlin,
       da die Spree weiterhin Tagebaurestlöcher fluten soll. Wasser, so auch ein
       Fazit des Festivals, [3][diese erste Quelle des Lebens], vergisst nur
       langsam.
       
       24 Jul 2023
       
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