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       # taz.de -- Immobilienspekulation in Berlin: Räumungsversuch in Wild-West-Manier
       
       > Mit Hilfe einer Sicherheitsfirma versuchte der Eigentümer, die
       > Habersaathstraße 42-48 zu räumen. Unterstützer:innen vermuten
       > Einschüchterung.
       
   IMG Bild: Bewohner:innen der besetzten Habersaathstraße schauen verunsichert aus ihren Fenstern
       
       Berlin taz | Es kann nicht anders als der Versuch einer Räumung bezeichnet
       werden, die der Eigentümer der Habersaathstraße 42-48 am Mittwochmorgen
       versuchte, auf eigene Faust durchzuführen. Kurz nach 9 Uhr tauchte eine
       Gruppe von rund 20 Security-Mitarbeitern und Bauarbeitern vor dem Haus in
       Mitte auf, dessen leer stehende Wohnungen seit über anderthalb Jahren von
       einem [1][selbstverwalteten Wohnprojekt] für ehemals Obdachlose genutzt
       werden. In dem Schreiben, das den rund 50 Bewohner:innen übergeben
       wurde und das der taz vorliegt, fordert die Arcadia Estates GmbH, „das
       Objekt umgehend zu verlassen“ und kündigt an, Strom und Wasser abzustellen.
       
       Nur eine Stunde nach Übergabe des Schreibens beginnen die Bauarbeiter
       bereits Fenster aus den Wohnungen zu entfernen und auf die Straße zu
       tragen. Ein weiterer Bauarbeiter trägt eine Kiste voll Stromzähler aus dem
       Hauseingang, der von einem breitschultrigen Security-Mitarbeiter und einem
       Bauarbeiter mit einer Brechstange in der Hand bewacht wird. Bewohner:innen,
       die der Aufforderung gefolgt sind, lassen sie nicht mehr in das Haus.
       
       Chris, einer der Bewohner:innen, steht immer noch sichtlich geschockt
       vor dem Hauseingang. Neben ihm steht ein Einkaufswagen mit seinen
       Habseligkeiten. „Keiner hier weiß, wo er sonst hin soll“, sagt er. Er zeigt
       ein Video, das eine Freundin, die sich noch im Haus befindet, gerade
       geschickt hat. Darauf zu sehen: Eine verwüstete Wohnung, deren Tür
       eingetreten und Badmöbel demoliert wurden – vermutlich von den
       Bauarbeitern, die sich mit Vorschlaghämmern und Brecheisen durch das Haus
       bewegen. „Die kommen hier mit ihren Schlägertrupps und bedrohen uns“, sagt
       Chris.
       
       ## Erfolgreiche Besetzung
       
       Wie die meisten anderen Bewohner war Chris obdachlos, bevor er vor
       anderthalb Jahren in die Habersaathstraße zog. Jahrelang standen zahlreiche
       der voll möblierten Wohnungen leer, weil der Eigentümer das Gebäude
       abreißen und durch einen Luxusneubau ersetzen will. Da das aber nach dem
       Zweckentfremdungsverbotsgesetz illegal sein könnte, befindet sich der
       Eigentümer Andreas Pichotta im Rechtsstreit mit dem Bezirk und den
       verbliebenen Mieter:innen. Der Eigentümer ließ das Haus verkommen, immer
       mehr Wohnungen standen leer.
       
       Im Dezember 2021 erstritt die Initiative Leerstand-hab-ich-Saath zusammen
       mit einer Gruppe wohnungsloser Menschen [2][mit einer Besetzungsaktion] das
       Haus. Nach intensiven Verhandlungen zwischen Eigentümer, Bezirk und der
       Initiative konnte zunächst eine Duldung für das Projekt erwirkt werden. In
       dem Schreiben bestreitet Arcadia Estates allerdings, dass der Bezirk jemals
       die Zahlungen für die Nebenkosten übernommen hätte, wie damals vereinbart.
       
       Darüber, ob die getroffenen Vereinbarungen auch für die aktuellen
       Bewohner:innen gelten und welche Gelder vom Bezirk tatsächlich
       geflossen sind, scheint auch beim Bezirk Unklarheit zu herrschen. Der
       kurzfristig herbeigeeilte stellvertretende Bürgermeister und Sozialstadtrat
       Mittes, Carsten Spallek (CDU), kündigte an, den Sachverhalt umgehend zu
       prüfen.
       
       Kurz nach Eintreffen des privaten Räumungskommandos mobilisierten auch die
       Bewohner:innen ihre Unterstützer:innen. Rund 50 Menschen versammelten
       sich im Laufe des Vormittags vor dem Haus. Darunter auch Valentina Hauser,
       Sprecherin der Initiative Leerstand-hab-ich-Saath. „Die Räumung ist absolut
       illegal“, sagt Hauser. „Für die Menschen hier wäre es eine Katastrophe, sie
       landen wieder auf der Straße.“
       
       ## Wohnungen sollen zerstört werden
       
       Mascha Walter vom Bündnis Zwangsräumungen verhindern sieht ebenfalls keine
       Rechtsgrundlage. Selbst ohne gültige Mietverträge müsse der Räumung eine
       Klage vorangehen. Der Eigentümer versuche in „Wild-West-Manier“ einen
       „rechtsfreien Raum durchsetzen“, so Walter.
       
       Trotz der rechtlich zweifelhaften Situation verhält sich die hinzugerufene
       Polizei sehr zurückhaltend und verweist auf Anfrage der Aktivist:innen
       schulterzuckend auf eine „zivilrechtliche Angelegenheit“. Gegen 12.30 Uhr
       ziehen Bauarbeiter und Security unverhofft wieder ab. Erfolgreich räumen
       konnten sie an diesem Tag nicht, dafür gibt es aber weder Strom noch Wasser
       in dem gesamten Wohnblock – auch nicht für die 12 verbliebenen
       Langzeitmieter:innen mit regulären Mietverträgen.
       
       „Es geht darum, die Wohnfähigkeit der Wohnungen zu zerstören“, vermutet
       Daniel Diekmann vom Mieterbeirat der Habersaathstraße. Diekmann ist einer
       der letzten Bestandsmieter:innen des Hauses und kämpft seit Jahren für
       den Erhalt der Habersaathstraße. In seine Wohnung gelangte er zunächst
       nicht – die Bauarbeiter haben die Schlösser am Hauseingang gewechselt. „Ich
       sehe das als Nötigung und Hausfriedensbruch“, sagt Diekmann.
       
       „Es ist unmöglich, wie der Eigentümer versucht, die letzten verblieben
       Bewohner aus den Wohnungen zu schmeißen“, verurteilt der Grünen-Abgeordnete
       Ario Mirzaie, der als parlamentarischer Beobachter vor Ort ist, den
       Räumungsversuch. Mirzaie vermutet, Arcadia Estates wolle Fakten schaffen,
       da es im laufenden Rechtsstreit gerade nicht so gut läuft.
       
       Am 17. September wird vor Gericht eine Räumungsklage gegen die verbliebenen
       Mieter:innen verhandelt. Und die Chancen stehen gut, dass die Arcadia
       den Prozess verliert. Und solange Mieter:innen mit gültigen Verträgen im
       Haus wohnen, kann Arcadia nicht abreißen. Die [3][Abrissgenehmigung] lief
       bereit am 31. Juli aus. Diese kann zwar verlängert werden, aber auch die
       bereits erteilte Baugenehmigung läuft im Juni nächsten Jahres ab – hier
       erfordert eine Verlängerung deutlich mehr Aufwand.
       
       9 Aug 2023
       
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       ## AUTOREN
       
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