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       # taz.de -- THW-Chefin über den Katastrophenschutz: „Häufiger heftige Situationen“
       
       > Sabine Lackner ist die erste Präsidentin des THW. Sie erklärt, wie sie
       > mit den furchtbaren Eindrücken der Flutkatastrophe im Ahrtal umgegangen
       > ist.
       
   IMG Bild: Der bayrische THW unterwegs zum Einsatz nach Slowenien am 10. August
       
       taz: Frau Lackner, wir haben gerade starke Überschwemmungen in Österreich
       und Slowenien; die Flutkatastrophe im Ahrtal ist noch sehr präsent.
       [1][Naturkatastrophen häufen sich]. Steigt auch das Bewusstsein für
       Katastrophen generell in unserer Gesellschaft? 
       
       Sabine Lackner: Ja, ganz klar. Die Ereignisse häufen sich – auch [2][der
       Ukrainekrieg] spielt eine Rolle. Häufig wird gesagt, wir wollen niemandem
       Angst machen. Das ist aber Schmarrn. Wenn ich Menschen in Ruhe erkläre,
       welche Instrumente es gibt, zum Beispiel die Nina-Warn-App, oder wie
       Cell-Broadcasting funktioniert, dann schärfe ich das Bewusstsein dafür, bei
       einer Katastrophe etwas tun zu können.
       
       86.000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich beim THW. So viele wie noch
       nie. Woran liegt das? 
       
       Die Menschen wollen sich einbringen. Und natürlich – ich will nicht zynisch
       klingen – helfen Einsätze wie im Ahrtal. Ich glaube, es hilft, dass man
       sich nicht ohnmächtig fühlt, sondern sich selbst und anderen helfen kann.
       Durch die Klimakatastrophe müssen wir uns einfach klarmachen: Wir werden
       häufiger in heftige Situationen kommen.
       
       Die [3][Flut im Ahrtal 2021] war eine der größten Katastrophen der
       vergangenen Jahre. Im Nachgang gab es Kritik unter anderem am Einsatz der
       Helfer:innen. Berechtigt? 
       
       Ich selbst war im Urlaub in Frankreich, habe die Bilder in den Nachrichten
       gesehen und bin dann sofort zurückgekommen. Aber schon am vierten Tag fing
       die Schuldsuche an. Das finde ich schwierig. Es werden noch Menschen
       vermisst, aber wir suchen erst mal Schuldige. Die Flut war aus meiner Sicht
       die größte zivile Nachkriegskatastrophe. Ich will nichts schönreden, und
       wir alle – auch im THW – haben unsere Lehren aus dem Einsatz gezogen. Wir
       haben auch einen Ortsverband in Ahrweiler. In einem anderen Ort sind unsere
       Leute abgesoffen, als sie in einem Fahrzeug abgetrieben sind. Auch da
       musste ich mir Kritik anhören, warum das THW so lange vor Ort geblieben
       ist. Aber: Wenn die einen Anruf kriegen von einer Mutter mit Kind, das
       Wasser steigt in deren Haus, und der Anruf bricht ab, dann sagen die nicht,
       wir gehen jetzt nach Hause.
       
       Haben Sie im Nachgang auf die Kritik reagiert? 
       
       Wir koordinieren uns besser mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
       Katastrophenhilfe. Es gibt mehr Ansprechstellen und bessere Absprachen.
       Rheinland-Pfalz zum Beispiel hat jetzt ein Landesamt für den
       Bevölkerungsschutz eingerichtet.
       
       Sie und Ihre Helfer:innen sehen oft furchtbare Szenen. Wie gehen Sie
       damit um? 
       
       Ich wohne in Bonn, das sind rund 20 Minuten Autofahrt bis ins Ahrtal. Bei
       mir daheim, da ist die Welt in Ordnung, und alles ist ruhig. Ich habe im
       Einsatz einfach nur funktioniert – und in den ersten sechs Wochen des
       Einsatzes habe ich gar nicht weitergedacht. Einige Helfer und Helferinnen
       aus dem Ahrtal haben aber alles verloren. Die hatten sofort
       Einsatz-Nachsorge-Teams an ihrer Seite. Diese sind speziell geschult und
       begleiten unsere Einsatzkräfte nach belastenden Einsätzen und unterstützen
       sie. Das ist wichtig. Niemand wird alleingelassen. Deshalb sprechen unsere
       Einsatzkräfte in ihren Ortsverbänden auch immer wieder miteinander über
       solch schwierige Einsätze, um die Eindrücke zu verarbeiten.
       
       Leider nutzen Menschen Katastrophen auch aus. Was haben Sie unternommen? 
       
       Während des Einsatzes 2021 waren unsere Einsatzkräfte zum Beispiel mit
       sogenannten Querdenkern konfrontiert. So was mag ich nicht. Wir mussten
       unseren Helfenden sagen, dass sie ihre Namensschilder abnehmen und damit
       ihre Identität unkenntlich machen. Einfach um sicherzugehen, dass sie nicht
       in problematische Situationen kommen und zum Beispiel in den sozialen
       Medien verunglimpft werden. Generell fehlt manchen der Respekt vor den
       Einsatzkräften. Das finde ich unsäglich.
       
       [4][Reichsbürger:innen] preppern, für Querdenker:innen gehören
       apokalyptische Szenen dazu. Wollen solche Leute auch ins THW? 
       
       Die Menschen im THW sind ein Abbild der Gesellschaft. Einer unserer
       Leitsätze besagt, wir bekennen uns zur Demokratie und dulden keine
       Diskriminierung. Die Hürden sind zwar hoch, aber wenn eine Person gegen die
       Leitsätze und die Dienstpflicht verstößt, dann kann das zum Ausschluss
       führen.
       
       Wenn eine Person mit antidemokratischen Äußerungen auffällig wird – was
       tut das THW? 
       
       Es gibt keine Meldestelle oder Ähnliches. Doch man kann sich zum Beispiel
       an den beziehungsweise die Helfersprecherin wenden im Ortsverband. Aber
       ganz ehrlich: Wir hissen beim CSD die Regenbogenflagge, wir helfen
       Geflüchteten – vielleicht will diese Art Menschen bei uns nicht unbedingt
       mitmachen.
       
       [5][Silvester wurden in Berlin Krankenwagen mit Steinen beworfen.] Immer
       wieder werden Helfer:innen angepöbelt, Gaffer stehen im Weg. Braucht es
       dafür härtere Strafen? 
       
       Mittlerweile verhängen Gerichte nach solchen Situationen überhaupt mal
       Strafen. Das ist richtig. Früher waren Hilfsorganisationen, egal in
       welchem Gebiet, sakrosankt. Heute ist der Respekt vor der Hilfeleistung
       verloren gegangen. Wichtig ist für das Ehrenamt, dass gesehen wird, es wird
       gehandelt, wenn etwas passiert.
       
       Obwohl die Katastrophen zunehmen, mangelt es an Ausrüstung und an
       tauglichen Fahrzeugen. Was brauchen Sie vom Bund? 
       
       Wir helfen auch bei Lagen, die keine Katastrophen sind. Zum Beispiel, wenn
       viele Flüchtlinge kommen, helfen wir mit unseren Kompetenzen und
       ertüchtigen Notunterkünfte. Dafür hat man 2015 ein Sonderprogramm
       aufgelegt. In der Coronapandemie gab es Sonderpakete vom Bund, und auch das
       THW hat drei Jahre lang 135 Millionen Euro zusätzlich bekommen. Zu
       Fahrzeugen in den Ortsverbänden haben Helfende gesagt, mein Opa hat darauf
       schon gelernt. Da gab es wirklich Handlungsbedarf. Wir haben in den
       vergangenen Jahren 2.500 Fahrzeuge bekommen. Damit hat jeder Ortsverband
       jetzt mindestens zwei neue in der Garage.
       
       Also sind Sie zufrieden mit der Unterstützung des Bundes? 
       
       Na ja. Alle Sonderprogramme laufen aus. Wir kommen noch über das Jahr 2024,
       aber danach wird es richtig eng. Die 380 Millionen Euro, die wir für 2024
       zur Verfügung haben, sind nicht die 380 Millionen Euro, die wir 2018
       hatten. Beispielsweise unser Gerätekraftwagen, das Herzstück in jedem
       Ortsverband, ist über die Coronajahre 30 Prozent teurer geworden.
       
       Sie fordern einen Inflationsausgleich? 
       
       Fordern nicht, wünschen ja. Und wir brauchen Geld für unsere
       Liegenschaften. Gemeinsam mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben
       (Bima) und den Bauverwaltungen haben wir ein Programm aufgelegt, um in
       Serie zu bauen. Wir haben von den 668 Ortsverbänden die 200 mit dem größten
       Handlungsbedarf identifiziert, wir schreiben jetzt gerade die ersten 30 aus
       – und haben kein Geld mehr. Dabei kommt eine solche Unterkunft unmittelbar
       dem Ehrenamt zugute. Dort trifft man sich für die Übung, zur Ausbildung,
       hier bereitet man sich auf den Einsatz vor.
       
       Welche Summe hätten Sie denn gern? 
       
       Ich mache immer diesen Vergleich: Wir haben 84,4 Millionen Menschen in
       Deutschland, laut Statistischem Bundesamt. Wenn von jedem einmal im Jahr
       Geld für zwei Tassen Kaffee zusammenkommt – also 7 Euro ungefähr –, dann
       wäre das eine solide Grundfinanzierung.
       
       Die gibt es aber nicht – also fordern Sie eine Art Sondervermögen fürs THW? 
       
       Sondervermögen ist ja in Wahrheit ein Euphemismus für Schulden. Aber der
       Zivilschutz, die zivile Verteidigung, steht in Deutschland auf
       ehrenamtlichen Schultern – und wir brauchen dafür eine auskömmliche, solide
       Finanzierung. Allein durch höhere Steuern, die dann umverteilt werden, geht
       es nicht. Das belastet die Menschen, und irgendwann haben die Leute fünf
       Jobs und können nicht mehr ehrenamtlich zum THW kommen.
       
       Wie kommt die Gelddebatte bei den Ehrenamtlichen in den Ortsverbänden an? 
       
       Das ist eine große Enttäuschung und es gibt viel Unverständnis. Und: Es
       gibt bei vielen Menschen eine andere Erwartungshaltung an Zeit, die man
       einbringen möchte. Wenn die Wertschätzung fehlt, schadet das dem Ehrenamt.
       
       Der Krieg in der Ukraine hat Aufrüstung wieder zum Thema gemacht. [6][Der
       Bundeswehr wurde ein Sondervermögen zugesagt.] Befürworten Sie mehr
       Zusammenarbeit mit der Bundeswehr? 
       
       Wir brauchen eine Entlastung der Bundeswehr, dass sie zu ihren eigenen
       Aufgaben zurückkommt, und wir müssen uns auch anders aufstellen, was innere
       Sicherheit und Verteidigung angeht. Ich habe Verständnis dafür, dass
       Menschen es irritierend oder komisch finden, wenn die Bundeswehr sichtbar
       im Inland im Einsatz ist. Zum Beispiel bei den Gesundheitsämtern in der
       Coronapandemie oder beim Löschen von Waldbränden. Aber wir als THW und die
       Bundeswehr haben keine Berührungsängste.
       
       Sie sind die erste Frau an der Spitze des THW. Wie ist das? 
       
       Ich bin seit über 20 Jahren beim THW und war schon öfter die berühmte
       Erste: als Referatsleiterin, als Landesbeauftragte, als Vizepräsidentin.
       Ich trage Verantwortung für über 2.000 Hauptamtliche, 1.000 Freiwillige aus
       dem Bundesfreiwilligendienst, 86.000 Ehrenamtliche. Die Bedeutung wurde mir
       bei der Übergabe der Ernennungsurkunde doch sehr bewusst. Und das war –
       sage ich ganz offen – schon etwas komisch. Und doch finde ich: Das ist der
       ersetzbarste Job.
       
       Sie wollen den Frauenanteil beim THW erhöhen. Wie denn? 
       
       Vor rund 20 Jahren lag der Frauenanteil zwischen 3 und 5 Prozent, jetzt
       sind wir bei 16 Prozent. Es hat sich also schon wahnsinnig viel getan.
       Frauen sind heute selbstbewusster und sagen auch, das kann ich, das will
       ich. Aber natürlich gibt es Hindernisse, zum Beispiel haben wir teilweise
       keine Sanitäranlagen oder Umkleidekabinen für Frauen in den Ortsverbänden.
       Das müssen wir ändern.
       
       11 Aug 2023
       
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