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       # taz.de -- Wirtschaftsflaute in Deutschland: Kein Grund für Alarmismus
       
       > Die Lage der Wirtschaft ist im Vergleich zur Finanzkrise undramatisch.
       > Steuersenkungen sind unangebracht – und bringen oft auch nichts.
       
   IMG Bild: Weiterhin beim Export erfolgreich: Containerverladung im Hamburger Hafen
       
       Die Energiepreise im Höhen-, [1][die Wirtschaft im Sinkflug], die
       Deindustralisierung klopft angeblich schon an die Tür. Die Situation
       scheint vertrackt. „An dieser Stelle haben wir die größten Befürchtungen in
       Deutschland in eine dauerhafte Stagflation hineinzurutschen“, warnte auch
       Friedrich Merz diese Woche Immerhin hat der CDU-Chef auch gleich die
       Problemlösung parat: Etwa bessere Abschreibungsregeln für Unternehmen und
       niedrigere Steuern auf einbehaltene Gewinne.
       
       Niedrigere Steuern für Unternehmen? Hört sich das nicht bekannt an? Und
       zwar nicht erst seit gestern? Das kommt nicht von ungefähr: „Deutschland
       muss für unsere Unternehmen langfristig attraktiv bleiben. Es muss darum
       gehen, den Standort Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb
       überlebensfähig zu halten“, forderte zum Beispiel der Industrieverband BDI
       bereits im Jahr 2018.
       
       Damals schien die Welt im Großen und Ganzen in Ordnung. An Corona war nicht
       zu denken und Putins Einmarsch in die Ukraine war auch noch in weiter
       Ferne. 2018 wuchs die deutsche Wirtschaft immerhin noch um 1 Prozent.
       
       Daran ist dieses Jahr gar nicht zu denken. Der Internationale Währungsfonds
       IWF prognostiziert ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung von 0,3 Prozent.
       Da kann man sich fragen, ob es jetzt nicht höchste Eisenbahn wäre für
       Steuersenkungen, wenn sie bereits vor fünf Jahren gefordert wurden, als die
       Lage noch deutlich besser war. Man kann sich aber auch fragen, ob der
       Unternehmenslobby nichts Besseres einfällt, als nach niedrigeren Steuern zu
       rufen, sobald sich die Prognosen mal ein bisschen eintrüben – getreu dem
       Motto „Man kann ja mal versuchen, etwas für sich herauszuschlagen“.
       
       [2][Dabei arbeitet die Bundesregierung bereits an Vergünstigungen für die
       Unternehmen]. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wirbt schon länger
       für einen subventionierten Industriestrompreis, um energieintensiven
       Unternehmen unter die Arme zu greifen, auch wenn Lobbyisten wie
       Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf lieber Steuerentlastungen hätten. Diese
       verspricht wiederum Bundesfinanzminister Christian Lindner. Insgesamt
       sechs Milliarden Euro will der sonst so knausrige FDP-Politiker mit seinem
       Wachstumschancengesetz für die Unternehmen springen lassen.
       
       Ob das Geld damit gut angelegt ist, steht allerdings auf einem anderen
       Blatt. Zumindest sollte man immer skeptisch sein, wenn Regierungen pauschal
       Unternehmenssteuern senken wollen. Denn das führt meist nicht automatisch
       zu mehr Investitionen. So entpuppte sich zum Beispiel die Steuerreform des
       damaligen US-Präsidenten Donald Trump als Flop. Die Konzerne nutzten das
       Geld lieber für Aktienrückkäufe und höhere Dividenden als für Investitionen
       in die Produktion.
       
       Gleichzeitig ist fraglich, ob die Lage tatsächlich so dramatisch ist. So
       prophezeit Merz nicht weniger als die Deindustralisierung Deutschlands –
       als ob morgen schon alle Unternehmen ins Ausland abwandern, wenn die
       Regierung nicht sofort gegensteuert. Zugegeben: In der Tat machen sich auch
       die Industriegewerkschaft schon länger Sorgen. Unter dem Motto „Fairwandel“
       geht die IG Metall bereits seit Jahren für die Zukunftssicherheit der
       Industriejobs auf die Straße. Doch geht es ihr dabei weniger um
       Energiepreise, als dass Staat und Unternehmen die ökologische und digitale
       Transformation nicht verschlafen.
       
       ## Mehr Exporte als Importe
       
       Die gestiegenen Energiepreise mögen nun zwar tatsächlich manch
       energieintensive Unternehmen zusätzlich unter Druck setzen. Doch muss man
       die aktuelle Lage differenzierter betrachten: So ging die Produktion in
       Deutschland im Juni zurück. Gleichzeitig stiegen aber im selben Zeitraum
       die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe, was ein kleines Zeichen der
       Hoffnung ist, dass es bald wieder aufwärts gehen könnte. Manch eine
       Statistik, die die Wirtschaftsredaktionen derzeit als neue Hiobsbotschaft
       vermelden, kann sich also schnell als bloße Momentaufnahme entpuppen.
       
       So exportiert die deutsche Industrie auch noch immer kräftig. Die Ausfuhren
       übersteigen weiterhin die Einfuhren. Ganz so schlecht kann es um die
       Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen also nicht bestellt sein.
       
       Auch der vom IWF prophezeiten 0,3-Prozent-Rückgang der Wirtschaftsleistung
       für 2023 wäre nicht wirklich dramatisch. Er relativiert sich sogleich, wenn
       man ihn mit wirklichen Wirtschaftseinbrüchen vergleicht: 2009 ging das
       deutsche Bruttoinlandsprodukt infolge der Finanzkrise um 5,7 Prozent
       zurück, im Jahr 2020 waren es aufgrund der Coronakrise 3,7. Jetzt ist also
       keine Zeit für Alarmismus seitens der Wirtschaftslobby.
       
       11 Aug 2023
       
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