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       # taz.de -- Optimismus in der Klimakatastrophe: Panik bringt auch nichts
       
       > Der neue Vorsitzende des Weltklimarats hat Lust auf Kontroverse. Gut so.
       > Wegen der Klimakatastrophe in Schockstarre zu verfallen, ist eh keine
       > Lösung.
       
   IMG Bild: Nach den Waldbränden dieses Sommers auf Rhodos
       
       Schon mal was von Hoesung Lee gehört? Genau. Dabei war der Südkoreaner bis
       Ende Juli Vorsitzender des Weltklimarats IPCC. Sein Nachfolger, Jim Skea,
       [1][ist offenkundig anders gestrickt]. Er wagt kontroverse Aussagen in mehr
       als eine Richtung. Auf den Pfad der Klimabewegung hat er gerade einen
       Stolperstein gelegt, der direkt zu „Das Leben des Brian“ führt.
       
       In dem legendären Kultfilm der britischen Komikertruppe Monty Python singt
       Brian, der zufällig im Stall neben dem von Jesus geboren wurde,
       fälschlicherweise als Messias verehrt und schließlich ans Kreuz genagelt
       wird: „Always look on the bright side of life.“
       
       An diesen Song wird man erinnert, wenn man das [2][Interview mit dem neu
       gewählten britischen IPCC-Chef im Spiegel] liest. Skea, Experte für
       erneuerbare Energien vom Imperial College in London, ist ein Urgestein des
       IPCC und einer der Autoren des berühmten 1,5-Grad-Berichts von 2018. „Die
       Welt wird nicht untergehen, wenn es um mehr als 1,5 Grad wärmer wird“, sagt
       er und dass „wir […] auch bei 1,5 Grad Erwärmung nicht aussterben“.
       
       Das schlug ein wie eine Bombe. Vor allem, weil sie vom Mitautor des 1,5
       Grad-Berichts kommt. Selbstverständlich hat Skea auch geantwortet, dass das
       „eine gefährlichere Welt“ mit sozialen Spannungen werde und es jetzt darum
       gehen müsse, „noch Schlimmeres zu verhindern“. Dennoch, er sei Optimist,
       obwohl er sich seit 50 Jahren mit dem Klimawandel beschäftige, und wache
       nicht jeden Tag im Krisenmodus auf.
       
       ## Skea gibt keine Entwarnung der Klimakrise
       
       Skea weiß genau, was er mit solch einer Formulierung auslöst, und so wurde
       seine Aussage interpretiert, als ob er eine Entwarnung in der Klimakrise
       gegeben hätte.
       
       Hat er nicht. Mit seiner Aussage gibt Skea der Klimabewegung vielleicht
       sogar mehr Kraft, als dass er den Klimawandelleugnern neue Ausreden
       lieferte. Wer sich bisher einlullen lassen wollte, um die Klimakrise noch
       etwas länger auszusitzen, hat dafür immer schon ausreichend Stoff gefunden.
       Aber ein Dauerkrisenmodus ist erschöpfend. Das haben wir während der
       Coronapandemie erlebt.
       
       Skea adressiert deshalb eine andere reale Gefahr: die Erschöpfung der
       Klimabewegung. Es dürfte deutlich gesünder sein, mit Skea zu gehen und
       die bright side of life – oder des Klimaschutzes – zu betonen. Das hieße
       frei übersetzt: I want you not to panic.
       
       Die psychologische Forschung zeigt schon seit einigen Jahren, dass die
       Klimakrise erhebliche psychische Probleme verursacht. Doch während bei
       manchen derjenigen, die sich permanent mit der Klimakrise beschäftigen,
       irgendwann Panik und andere mentale Belastungsstörungen einsetzen, herrscht
       auf der Ebene der politischen und wirtschaftlichen Entscheider*innen
       viel zu wenig emotionaler Handlungsantrieb. Das passt dann zu Greta
       Thunbergs immer noch absolut berechtigtem Ansatz „I want you to panic“.
       
       ## Gegen den Panikmodus
       
       Wenn Skea sich jetzt gegen den Panikmodus wendet, kann man sagen: Ja, der
       Mann gehört zu einer anderen Generation. In der sind die psychischen
       Probleme im Zuge der Klimakrise deutlich geringer, wie eine aktuelle Studie
       des Yale Program on [3][Climate Change Communication] nahelegt.
       
       Aber das Generationenargument geht hier einmal mehr ins Leere. Auch in der
       Kommunikation zur Klimakrise ist die rein negative Addressierung
       problematisch. Im Forschungszweig der Positiven Psychologie gehen einige
       (wenige) Forscher:innen der Rolle positiver Emotionen in der
       Kommunikation zum Klimawandel nach. Zum Beispiel Ezra Markowitz und Azim
       Shariff mit ihrer Formel „Emotional carrots, not sticks“.
       
       Auf Deutsch klingt das mit „Anreize statt Strafen“ etwas profaner. Aber es
       verweist auf eine alte Erkenntnis aus der Pädagogik: Kinder lernen mit Lob,
       nicht durch Strafen. Menschen werden (eher) mit positiver Kommunikation zum
       Handeln in der Klimakrise bewegt, nicht (so sehr) mit (nur) negativer.
       Natürlich kann zum Beispiel Hoffnung kollektives Handeln stimulieren.
       Naheliegenderweise fördert auch Humor die Einsatzfreude, und das Gefühl von
       Selbstwirksamkeit stimuliert persönlichen Einsatz.
       
       Um Missverständnissen vorzubeugen: Greta Thunberg auf den Panikmodus zu
       reduzieren wäre so falsch wie naiv. Nur ringt die Klimabewegung doch selbst
       – nicht zuletzt in den aktuellen Debatten über die Letzte Generation – mit
       der Antwort auf die Frage, wie viel Endzeitstimmung und wie viel negative
       Konfrontation die Adressat:innen der Bewegung überhaupt vertragen.
       
       Eines ist in der Psychologie unumstritten: Panik lähmt.
       
       13 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Leitung-des-Weltklimarats/!5951632
   DIR [2] https://www.spiegel.de/wissenschaft/ipcc-chef-jim-skea-bei-1-5-grad-erwaermung-geht-die-welt-nicht-unter-a-13dd35aa-1a80-41b8-b966-911015fd9085
   DIR [3] https://climatecommunication.yale.edu/publications/global-warmings-six-audiences-a-cross-national-comparison/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Junge
       
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