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       # taz.de -- Umstrittener Richter in Tschechien: Berühmt für einen Schauprozess
       
       > Präsident Pavel hat einen neuen Verfassungsrichter ernannt: Robert Fremr.
       > Doch dessen Vergangenheit vor der Wende sorgt für Aufregung.
       
   IMG Bild: Unklare Vergangenheit? Robert Fremr soll Verfassungsrichter werden
       
       Prag taz | Tschechiens Präsident Petr Pavel ist noch kein halbes Jahr im
       Amt und schon ist der 61-Jährige tief ins Fettnäpfchen der
       Vergangenheitsbewältigung getreten. Er hat Robert Fremr zum Richter des
       tschechischen Verfassungsgerichts benannt, der wegen eines Urteils aus der
       Zeit vor der Wende umstritten ist. Die Bewältigung, so legt Pavels
       kontroverse Ernennung des Robert Fremr zum Richter des tschechischen
       Verfassungsgerichts offen, hat offenbar 34 Jahre nach der Samtrevolution
       noch gar nicht richtig begonnen.
       
       Als [1][Präsident ist Pavel zwar Teil der Exekutive], dennoch verfügt er
       nicht nur über die Ernennung, sondern auch über die Auswahl von
       Verfassungsrichtern. Dass seine Wahl auf den 65-jährigen Fremr fiel, mag an
       gewissen Parallelen liegen, die beide Männer verbindet. Ähnlich wie Petr
       Pavel arbeitete auch Fremr nach der Wende nicht nur in Tschechien, sondern
       auch in internationalen Strukturen.
       
       Pavel war zunächst Chef des Generalstabs der tschechischen Armee, bevor er
       als erster Vertreter eines Staats des ehemaligen Warschauer Pakts [2][zum
       Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses] wurde. Robert Fremr war Richter
       des Obersten Gerichtshofs Tschechiens, bevor er erst zum Internationalen
       Strafgerichtshof für Ruanda und dann zum Richter des Internationalen
       Strafgerichtshofs nach Den Haag berufen wurde. Das Amt hatte er von 2012
       bis 2021 inne.
       
       „Diese Nachricht muss jeden tschechischen Juristen erfreut haben, nicht nur
       die Völkerrechtler“, frohlockte das tschechische „Zentrum für
       Menschenrechte“ anlässlich Fremrs Ernennung. Die wurde in Tschechien auch
       deswegen bejubelt, da es im Jahr zuvor nichts aus seiner Kandidatur als
       Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geworden war. Wer
       eine solch internationale Karriere hingelegt hat, gilt im
       böhmisch-mährischen Kessel als erhaben.
       
       ## Er habe von nichts gewusst
       
       Fremr sei ihm von jedem Juristen empfohlen worden, begründete Pavel jetzt
       seine Entscheidung. Er musste sie gemäß der Verfassung gegenüber dem
       tschechischen Oberhaus, dem Senat, rechtfertigen. Dank Fremr, so Pavel,
       würde Tschechiens Dritte Gewalt „einen Spitzenrichter, reich an
       internationaler Erfahrung“ gewinnen.
       
       Das Problem besteht allerdings in Fremrs Reichtum an Erfahrungen daheim.
       Konkret: an denen, die er als junger Richter eines totalitären Regimes
       gewonnen hat. Fremr soll sich besonders in politisierten Verfahren verdient
       gemacht haben, die unter dem Taktstock der kommunistischen Staatssicherheit
       (StB) liefen. Bekannt sind 172 Fälle, in denen Fremr „Republikflüchtige“ in
       Abwesenheit verurteilte. Das bedeutete für sie unter anderem eine
       vollkommene Enteignung sämtlicher Hinterlassenschaften.
       
       Berühmtheit erlangt hat [3][Fremr jedoch wegen eines Schauprozesses], in
       dem er als vorsitzender Richter den völlig unschuldigen Alexander Eret
       wegen Grabschändung zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilte. Eret wurde zum
       Opfer dieses konstruierten Prozesses der tschechoslowakischen
       Staatssicherheit, weil seine Haare zu lang waren und sein Vater,
       sudetendeutscher Herkunft, emigriert war. Bevor die Samtrevolution ihn
       knapp zwei Jahre später befreite, habe die Haft ihm das Leben zerstört,
       sagt Alexander Eret bis heute.
       
       ## Viele empfinden Totalität als Normalität
       
       Fremrs Ausflüchte, er habe ja von nichts gewusst, entgegnete Eret, der in
       Wien lebt, mit einem offenen Brief. Darin bezichtigt er den
       Verfassungsrichter in spe der Lüge. Fremr habe gewusst, dass die Causa
       gegen ihn von der StB manipuliert war. Zudem folgte der Schauprozess dem
       Ziel, aufkommenden Dissens mit Vandalismus gleichzusetzen, wobei ein
       „Emigrant“ in der Familie zum Generalverdacht wurde.
       
       Präsident Petr Pavel verteidigt Fremrs Wahl: Als Richter des
       kommunistischen Regimes habe Robert Fremr geltende Gesetze angewandt und
       sich ihnen untergeordnet. Pavels Karriere begann als Kader im
       Nachrichtendienst der Tschechoslowakischen Volksarmee.
       
       Der Streit um Richter Fremr sei ein Streit um die moralische Integrität der
       ganzen tschechischen Nation, fasst Senator und Ex-Präsidentschaftskandidat
       Marek Hilšer zusammen. Denn nicht nur Richter und Anwälte verteidigen Fremr
       unter Berufung auf damals geltende Gesetze, die Totalität der 1980er-Jahre
       empfinden viele als ihre Normalität, in der man gefälligst nicht
       herumstochern soll.
       
       15 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Mostyn
       
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