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       # taz.de -- Warnstreik im Einzelhandel: Arbeitskampf gegen Lohnverlust
       
       > Angestellte des Einzel- und Großhandels machen in den Tarifverhandlungen
       > Druck. Doch die kriselnde Branche hadert mit großzügigen Angeboten.
       
   IMG Bild: Streikende bei der Kundgebung auf dem Breitscheidplatz am Dienstagmorgen
       
       Berlin taz | Statt shoppender Tourist:innen, die normalerweise das Bild des
       Breitscheidplatzes in Charlottenburg bestimmen, ist der Platz vor der
       Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Dienstagmorgen mit Hunderten Menschen in
       gelben Warnwesten gefüllt. „Ihr seid es, die den stationären Einzelhandel
       in dieser Stadt am Laufen haltet!“, ruft Gewerkschaftsfunktionärin Conny
       Weißbach auf der Bühne der Menge zu. Die antwortet mit einem fast schon
       ohrenbetäubenden Trillerpfeifenkonzert.
       
       Nach einem Warnstreik Ende Juli ist dies die zweite und mit drei Tagen
       längste Arbeitsniederlegung, zu der die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi
       in den laufenden Tarifverhandlungen aufruft. Gefolgt sind dem Aufruf nach
       Verdi-Angaben 1.600 Beschäftigte im Einzel- und Großhandel in Berlin und
       Brandenburg. Angesichts der Menschenmenge auf dem Platz dürfte nach
       taz-Schätzungen ein Großteil der Streikenden auch bei der Kundgebung
       erschienen sein.
       
       Beteiligt sind unter anderem Angestellte von Kaufland, Edeka, H&M, des
       KaDeWe und Galeria Karstadt-Kaufhof. Schließen muss an den drei Streiktagen
       keine Filiale, dennoch werden etliche Geschäfte mit deutlich weniger
       Personal betrieben. Mit dem Warnstreik will Verdi den Druck für [1][den
       kommenden Verhandlungstermin am Freitag für einen Flächentarifvertrag] mit
       dem Handelsverband Berlin-Brandenburg erhöhen. Bislang bot die
       Arbeitgeberseite eine Lohnerhöhung von 90 Cent pro Stunde, was einer
       Steigerung von 5,3 Prozent entspricht.
       
       „Angesichts der seit [2][zwei Jahren anhaltenden Inflation] bedeutet das
       Angebot einen deutlichen Reallohnverlust“, kritisiert Weißbach im Gespräch
       mit der taz. Im Schnitt entspreche das 203 Euro weniger pro Monat. „Wir
       brauchen aber einen Reallohnzuwachs.“ Um diesen zu erzielen, fordert Verdi
       eine Lohnerhöhung von 2,50 Euro pro Stunde.
       
       ## Verband hält Forderungen für überzogen
       
       Da in der Branche Teilzeitbeschäftigungen die Regel seien, spürten sie und
       ihre Kolleg:innen die Auswirkungen der Inflation besonders deutlich,
       berichtet Ina, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, der
       taz. Ina arbeitet im Kaufland Marzahn und streikt zusammen mit 19
       Kolleg:innen. Neben der finanziellen Belastung kämen sich durch
       Personalmangel verschlechternde Arbeitsbedingungen dazu. „Viele gute, junge
       Leute sind gegangen und wurden auch nicht ersetzt“, sagt Ina. „Es ist nicht
       mehr attraktiv, im Handel zu arbeiten.“
       
       Der Handelsverband selbst hält die Forderungen Verdis für überzogen und
       weist auf [3][die schwierige Situation hin, in der sich der Einzelhandel
       seit Corona und der Ukrainekrise befindet]. „Die Lage in den Betrieben ist
       schlecht“, sagt der Geschäftsführer des Handelsverbands, Nils
       Busch-Petersen, der taz am Telefon. „Noch nie hatten wir so ein schlechtes
       Konsumklima in Deutschland.“
       
       Betroffen sei nicht nur der stationäre Einzelhandel wie Textilunternehmen,
       sondern auch der Lebensmittelhandel, da viele Kund:innen zu günstigeren
       Produkten greifen würden. „Es wird zwar immer noch die gleiche Menge Nudeln
       gekauft, dafür aber weniger Geld ausgegeben“, erklärt Busch-Petersen.
       
       Für Gewerkschaftssekretärin Weißbach sind die Argumente der
       Arbeitgeberseite nur wenig überzeugend. Sie verweist auf die
       Umsatzsteigerungen, die die Branche selbst in den Krisenjahren erzielen
       konnte. „Die Konzerne sind immer schnell darin, die Preise für die
       Verbraucher anzuziehen, geben die Gewinne aber nicht an die
       Mitarbeiter:innen weiter“, kritisiert Weißbach.
       
       15 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jonas Wahmkow
       
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