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       # taz.de -- Gewalt gegen Landtagsabgeordneten: Grünen zu Boden gerungen
       
       > Beschimpfungen ist der niedersächsische Landtagsabgeordnete Christian
       > Schroeder gewohnt, nun wurde er zum ersten Mal körperlich attackiert.
       
   IMG Bild: Manmal bleibt es nicht dabei: verunstaltetes Wahlplakat der Grünen
       
       Hamburg taz | Dass die Verrohung der politische Debatte sich nicht nur auf
       [1][Hasskommentare im Internet] oder Pöbeleien auf der Straße beschränkt,
       hat der niedersächsische Grünen-Landtagsabgeordnete Christian Schroeder am
       Samstag am eigenen Leib erfahren.
       
       Er war privat auf einer Musikveranstaltung in seiner Heimat Wittingen im
       niedersächsischen Landkreis Gifhorn, als er von einem Mann wegen seines
       politischen Engagements erst verbal angegriffen und kurz darauf zu Boden
       gerungen wurde. Angefeindet worden sei er als Grünen-Politiker schon oft,
       sagt Schroeder, auch als er noch in der Kommunalpolitik war. Heute ist er
       unter anderem Sprecher für Tourismus und Verbraucherschutz im Landtag
       Niedersachsen. Körperlich attackiert wurde er bisher aber noch nie.
       
       Schroeder wollte gerade gehen, als er plötzlich beschimpft wurde und dann
       einen Schlag in den Nacken bekam. „Der Angreifer wollte weiter auf mich
       losgehen, couragierte Leute sind zum Glück dazwischen gegangen und haben
       mich schließlich zu meinem Fahrrad begleitet“, erzählt er.
       
       Schroeder und sein Angreifer kennen sich persönlich, aus Kindertagen. Die
       beiden spielten früher zusammen im Verein und ihre Kinder sind heute im
       selben Handballteam. Sie hatten aber bis zu diesem Abend keinen
       persönlichen Kontakt und sich auch noch nie über ihre politischen Haltungen
       ausgetauscht. Schroeder sagt, dass die Attacke am Samstagabend nicht gegen
       ihn als Person gerichtet, sondern von einem „allgemeinen Grünen-Hass“
       motiviert gewesen sei.
       
       ## Nicht entschuldigt – Anzeige!
       
       Die Beschimpfungen seien eindeutig gewesen, auch wenn er sich nicht mehr an
       den genauen Wortlaut erinnere. Derartige Handgemenge seien auf solchen
       Feiern zwar nicht unüblich, sagt Schroeder, dieses war aber klar gegen sein
       Amt gerichtet, also politisch motiviert.
       
       Einen Tag ließ Schroeder dem Angreifer Zeit, sich bei ihm zu entschuldigen,
       schließlich wisse dieser, wo er wohne. Am Montag erstattete er dann aber
       Anzeige. Die Ermittlungen führt nun das für den Staatsschutz zuständige
       Fachkommissariat. Das Verfahren wegen Körperverletzung richtet sich laut
       Polizei gegen einen 45-Jährigen.
       
       Zu dem Zeitpunkt hatte sich die ganze Sache in der
       12.000-Einwohner*innenstadt Wittingen ohnehin schon rumgesprochen.
       Schroeder erzählt, er sei auf der Straße gefragt worden, ob man diese
       Angelegenheit denn nicht „unter Männern klären“ könne. Andere haben ihn
       ermutigt, sich so etwas nicht gefallen zu lassen. In den sozialen
       Netzwerken wurde der Grünen-Abgeordnete dazu aufgefordert „sich nicht so
       anzustellen“.
       
       Diese Art der Häme sei mittlerweile Tagesgeschäft, erzählt Schroeder. In
       den Ortsräten habe man sich mittlerweile an verbale Attacken gewöhnt,
       überrascht sei davon niemand mehr. „Wir schaffen es nicht mehr, vernünftig
       miteinander zu reden“, sagt Schroeder.
       
       [2][Übergriffe wie der auf den Grünen-Abgeordneten sind kein Einzelfall
       mehr]. Laut dem Innenministerium Niedersachsen ist die Zahl der Straftaten
       gegen Amts- und Mandatstragende von 419 im Jahr 2021 auf 471 im Jahr 2022
       gestiegen. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zeigt sich
       [3][besorgt im Hinblick auf einen zunehmenden „Respektverlust vor unseren
       demokratischen Institutionen]“.
       
       Die Vorsitzende der niedersächsischen Grünen-Fraktion Anne Kura spricht bei
       der körperlichen Attacke auf Schroeder von einem neuen Ausmaß in dem
       Bundesland. Bisher habe man vor allem mit Angriffen auf Büros der
       Kreisverbände oder Wahlkreisbüros zu tun. Und selbst diese Art des
       Vandalismus nehme zu.
       
       Schroeder ist indes bemüht, die Debatte von seiner Person auf das
       politische Miteinander zu lenken. Er selbst ordne sich dem realpolitischen
       Flügel zu. Es gehe ihm also darum, sich mit unterschiedlichen Lösungen
       auseinanderzusetzen, statt andere Meinungen von vornherein abzulehnen.
       
       Auch wenn sich SPD und CDU solidarisch mit dem Abgeordneten zeigten,
       befürchtet Grünen-Fraktionsvorsitzende Kura, dass Aussagen wie von
       CDU-Parteichef Friedrich Merz, der die Grünen zum „Hauptgegner“ in der
       Bundesregierung erklärte, zum Schüren von Wut und Hass in der politischen
       Debatte beitrage.
       
       ## Engagement muss möglich bleiben
       
       Vor allem im Dorfkontext besteht die Gefahr, dass sich politisch engagierte
       Menschen zum Schutze ihrer Familie zurückziehen, was insbesondere [4][im
       Hinblick auf ehrenamtliche Tätigkeiten] ein großes Problem darstellt. „Wir
       dürfen vor allem nicht zulassen, dass das so wichtige politische Engagement
       vieler Menschen aus Sorge davor leidet, zum Opfer gewaltsamer Attacken zu
       werden“, sagt Kura.
       
       Das war letztlich auch der Grund, warum Schroeder sich entschieden hat die
       Attacke öffentlich zu machen. Auch wenn er sich momentan etwas unsicher
       fühle, wolle er sich ein normales Leben nicht verbieten lassen.
       
       16 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wahlkampf-in-Niedersachsen/!5885091
   DIR [2] /Hetze-gegen-neuen-Buergermeister-Onay/!5638490
   DIR [3] /Studie-zu-Hetze-in-der-Kommunalpolitik/!5902036
   DIR [4] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/buergerschaftliches-engagement/buergerschaftliches-engagement-node.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Christof
       
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