URI: 
       # taz.de -- In Fabrik oder Gastro: Ferienjobs sollten verboten werden
       
       > Über Ferienjobs wird gesprochen, als wären sie das Normalste der Welt.
       > Dabei sollten Minderjährige nicht arbeiten müssen.
       
   IMG Bild: Die einen machen Urlaub, die anderen immer die gleichen Handbewegungen
       
       Als Schüler habe ich in den Sommerferien in einer Fabrik für Türöffner
       gearbeitet. Ich habe verschiedene Teile eines Türöffners
       zusammengeschraubt, mal diese zwei Teile, dann jene zwei Teile, dann
       wiederum andere zwei Teile. Acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche, sechs
       Wochen lang immer die gleichen Handbewegungen. Wenn mein Kapo es gut mit
       mir meinte, gönnte er mir eine Abwechslung, und ich durfte die Waren
       versandfertig machen. Von dem Lohn habe ich meinen Führerschein bezahlt.
       
       Außer die erdrückende Monotonie erinnere ich von diesem und anderen
       Ferienjobs, dass die Mittagspausen sehr kurz waren, dass ich jeden Abend
       kaputt nach Hause kam, [1][meinen Vater amüsiert den Satz sagen hörte] „So
       ist das, Junge, jetzt weißt du, was arbeiten bedeutet“, bevor ich viel zu
       früh einschlief, manchmal ohne es unter die Dusche geschafft zu haben. Ich
       erinnere mich daran, wie sehr ich auf einmal die Schule herbeisehnte, wie
       motiviert ich war, als sie endlich wieder losging, wie ich mir schwor, das
       Abitur zu schaffen, damit die Fabrikarbeit Ferienarbeit bleibt und ich
       dort nicht jahrelang arbeiten muss, so wie mein Vater, so wie andere junge
       Männer, die ich dort kennengelernt habe und die nur ein paar Jahre älter
       waren als ich.
       
       Später im Studium habe ich Kommilitonen, die in den Ferien nicht arbeiten
       mussten, nicht ohne Stolz von der Sommerarbeit erzählt. Auch in dieser
       Kolumne könnte ich schreiben, wie froh ich darüber bin, dass ich früh
       selbstständig war, mein eigenes Geld verdient habe, dass mich das positiv
       geprägt hat, dass ich diese Erfahrung nicht missen möchte.
       
       ## Verlorene Lebenszeit
       
       Aber ich schreibe, wie es wirklich ist: Die vielen Wochen Ferienarbeit in
       meiner Schulzeit, in denen Altersgenossen neue Orte entdeckt, neue Menschen
       kennengelernt und sich erholt haben, sind viele Wochen verlorene
       Lebenszeit, die ich nicht wieder zurückbekommen werde. Es sind verlorene
       Wochen, in denen ich wie andere hätte reisen, mich selbst kennenlernen, mir
       Gedanken über meine Zukunft machen oder einfach lernen können, [2][wie man
       richtig Urlaub macht]. Das sind nämlich Dinge, die jeder Mensch früh im
       Leben tun sollte, Dinge, die Menschen ein Leben lang prägen.
       
       Jetzt, in der Ferienzeit, wird auch mangels anderer Themen [3][über
       Ferienjobs diskutiert], und ich frage mich: Wieso ist Kinderarbeit nur ein
       Skandal, wenn sie in einem Land des Globalen Südens verrichtet wird, und in
       Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, reden wird darüber, als
       wäre sie das Normalste der Welt?
       
       Dabei sollte Lohnarbeit durch Minderjährige verboten werden. Stattdessen
       sollten Wohlhabende, deren Kinder vielleicht auch mal einen Ferienjob
       machen, aber [4][nicht arbeiten müssen], um sich den Führerschein oder die
       Studienfahrt zu leisten, eine Feriensteuer zahlen. Mit diesem Geld sollen
       die Jugendlichen, die sonst arbeiten müssen, ihren Führerschein
       finanzieren. Oder einfach mal Urlaub machen.
       
       18 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Erinnerungen-an-die-Arbeiterkindheit/!5743578
   DIR [2] /Geld-ausgeben-und-schlechtes-Gewissen/!5921510
   DIR [3] /Mindestlohn-fuer-Ferienjobs/!5946366
   DIR [4] /Jugendliche-mit-Nebenjob/!5949193
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Volkan Ağar
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Postprolet
   DIR Ferien
   DIR Soziale Gerechtigkeit
   DIR Arbeit
   DIR IG
   DIR Geflüchtete
   DIR Kolumne Postprolet
   DIR SO36
   DIR Arbeiterklasse
   DIR Soziale Gerechtigkeit
   DIR Kolumne Postprolet
   DIR Kolumne Postprolet
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Debatte über Einwanderung: Nicht nur sagen, wie es nicht geht
       
       In der Migrationsdebatte wird die verfehlte Bildungs-, Arbeits- und
       Wohnpolitik den Geflüchteten angelastet. Es geht um Projektionen statt
       Probleme.
       
   DIR Ladendiebstahl in Großbritannien: Große Aufregung um 5-Finger-Rabatt
       
       In Großbritannien wird geklaut. Einzelhandelsunternehmen schieben es auf
       Kleptomanen und Drogenabhängige. Sie übersehen dabei die wahren Ursachen.
       
   DIR Über die Tragik lachen: Pausenbrot macht Leute
       
       Beim Konzert grölt das Publikum mit, was ein armer Junge als Pausenbrot
       bekommt. Dabei sind Schokoriegel in der Schule wertvoller als Vollkorn.
       
   DIR Bildung und Klasse: Qual der Lücke
       
       Selbstbewusst zu Bildungslücken zu stehen mag klassismuskritisch gesehen
       progressiv sein. Das Problem dabei ist, dass Wissen unglaublich toll ist.
       
   DIR Mindestlohn für Ferienjobs: Nicht alle kriegen Vitamin B
       
       Kevin Kühnert will den Mindestlohn ausdehnen – auch auf Minderjährige in
       Ferienjobs. Besonders Ärmeren und Arbeiterkindern würde das helfen.
       
   DIR Geld ausgeben und schlechtes Gewissen: Der innere Kampf
       
       Bei der Urlaubsplanung plagt unseren Autor ein schlechtes Gewissen: Lebt er
       über seinen Verhältnissen? Oder ist das die Verinnerlichung der
       Klassenherrschaft?
       
   DIR Flüge günstig buchen: Grenzerfahrung Preisvergleichsportal
       
       Wenn unsere Existenz schon auf das Kaufen und Verkaufen von Waren reduziert
       wird, möchte unser Autor wenigstens das beste Geschäft machen. Doch die
       Flugsuchmaschine zockt ihn ab.