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       # taz.de -- Politische Gefangene in Belarus: Wer die wahren Terroristen sind
       
       > Vor zwei Jahren hat unser Autor einem belarussischen Regimekritiker eine
       > Karte ins Gefängnis geschickt. Später erfuhr er: Die beiden sind
       > verwandt.
       
   IMG Bild: An den 3. Jahrestag der Proteste in Belarussland erinnern Demonstrantinnen in Warschau
       
       Plac Konstytucji 6 in Warschau: Dort, wo sich 1989 zu Zeiten der
       Volksrepublik Polen Dissidenten getroffen haben, versammeln sich heute
       Aktivisten aus Belarus. Ich bin häufig hier. Sehr gut kann ich mich daran
       erinnern, wie in diesem Gebäude vor zwei Jahren der „[1][Belarusian Youth
       Hub]“ eröffnet worden ist, ein beliebter Sammelplatz für die belarussische
       Diaspora und Demokratiebewegung.
       
       Heute bleibe ich an einem Infostand von „Dissidentby“ stehen, einer
       Initiative, welche unter anderem Spenden für politische Gefangene in
       Belarus sammelt. Neben Aufklebern und Flyern liegen auch T-Shirts auf dem
       Tisch. Bei näherem Hinblick fällt mir eines davon besonders auf: „Für eure
       und unsere Freiheit“ steht darauf. Über dem Spruch sind vier lächelnde
       Männer zu sehen. Darunter auch mein Großcousin Siarhei Ramanau, der eine
       20-jährige Haftstrafe in einem [2][belarussischen Hochsicherheitsgefängnis]
       absitzt.
       
       Ich selbst habe erst vor einem Jahr durch Verwandte erfahren, dass ich
       einen Großcousin habe, der wegen „Terrorismus“ verurteilt worden ist. Und
       das, obwohl über das Urteil landesweit berichtet worden ist. Ein Jahr zuvor
       habe ich Siarhei auf einer Veranstaltung in Warschau eine
       Solidaritätspostkarte ins Gefängnis geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt war
       mir nicht bewusst, dass ich einem Familienangehörigen schreibe.
       
       Siarhei hatte schon immer einen großen Gerechtigkeitssinn, so erzählt es
       mir einer seiner früheren Weggefährten in Warschau. Aus diesem Grund konnte
       er auch die brutale Polizeigewalt [3][nach den gefälschten
       Präsidentschaftswahlen 2020] nicht tatenlos hinnehmen.
       
       ## Plötzlich angeklagt wegen Terrorismus
       
       Zusammen mit drei weiteren Partisanen beschließt er, Widerstand gegen den
       repressiven Machtapparat zu leisten. Im Oktober 2020 werden nachts vor der
       örtlichen Staatsanwaltschaft in Salihorsk vier Autos sowie das Gebäude des
       Staatlichen Ausschusses für gerichtliche Untersuchungen in Brand gesteckt.
       Es wird ein Strafverfahren wegen „Hooliganismus“ eingeleitet.
       
       Als die vier Männer kurz danach festgenommen werden, wird Siarhei bei
       seiner Verhaftung schwer geschlagen. Um die Folter zu beenden, schneidet er
       sich mit einer Rasierklinge in die Hände. Vor Gericht wird das
       Strafverfahren plötzlich umgewandelt: Die Männer sind nicht mehr wegen
       „Hooliganismus“, sondern wegen „Terrorismus“ angeklagt. Siarhei erhält 20
       Jahre Haft für ein paar beschädigte Autos. Nicht einmal für Tötungsdelikte
       bekommen Menschen in Belarus derart drakonische Strafen. Für
       Menschenrechtsorganisationen sind Siarhei und seine Mitangeklagten deswegen
       politische Gefangene.
       
       Persönlich kennenlernen durfte ich Siarhei bislang leider nicht. Aber ich
       glaube daran, dass er gemeinsam mit den anderen rund 1.750 politischen
       Gefangenen vorzeitig freigelassen wird. Irgendwann wird jeder in Belarus
       begriffen haben, wer die wahren Terroristen sind.
       
       Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftung]. 
       
       Ein Sammelband mit den Tagebüchern ist im [5][Verlag edition.fotoTAPETA]
       erschienen.
       
       21 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/BYHUBorg
   DIR [2] /Gefangener-in-Belarus-in-Haft-gestorben/!5947393
   DIR [3] /Praesidenten-Wahl-in-Belarus/!5702049
   DIR [4] /Panter-Stiftung/Projekte/Internationale-Projekte/Osteuropa/!p5113/
   DIR [5] https://www.edition-fototapeta.eu/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Moisseenko
       
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