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       # taz.de -- Coronavariante EG.5.1.: Neue deutsche Welle
       
       > Die neue Coronavariante Eris ist in Deutschland angekommen. Die Sorge
       > vor einer neuen Welle wächst – dabei ist das Land nicht gut vorbereitet.
       
   IMG Bild: Die Inzidenzen gehen hoch, die Masken bleiben noch unten
       
       Berlin taz | Gott sei Dank ist für Deutschland die Pandemie vorbei“,
       erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im April dieses Jahres
       noch im Bundestag: Man habe durch Impfungen und Infektionen „eine gute
       Immunität in der Bevölkerung“. Jetzt gelte es, die Lage jener zu
       verbessern, die am meisten unter den Maßnahmen gelitten hätten,
       insbesondere die Kinder. Auch die WHO hat im Mai den internationalen
       Gesundheitsnotstand aufgehoben, dabei aber darauf hingewiesen, dass das
       Virus damit nicht besiegt sei.
       
       Nicht mehr pandemisch, aber trotzdem noch gefährlich: Meldungen über die
       neue Variante EG.5.1. scheinen diese Analyse zu bestätigen. EG.5.1. (Eris)
       gilt als seit 9. August als „variant of interest“, Variante von Interesse,
       laut WHO unterscheidet sich der Phänotyp zwar nicht grundlegend von anderen
       Omikron-Linien und erfordert keine gesonderten Maßnahmen der öffentlichen
       Gesundheit.
       
       Aber in Großbritannien, China und den USA nimmt der Anteil von Eris stetig
       zu, in Deutschland weisen Zahlen aus dem Abwassermonitoring darauf hin,
       dass die Eris-Welle sich aufbaut. Der britische Boulevard spricht von der
       „Barbenheimer“-Welle, wobei freilich alle geschlossenen öffentlichen Räume
       ohne Luftfilter das Problem sind und nicht nur Kinos, in denen die
       aktuellen [1][Blockbuster „Barbie“ und „Oppenheimer“] laufen.
       
       Mit dem verkündeten Ende der Pandemie sind in Deutschland auch quasi alle
       Pflichten zu Schutzmaßnahmen aufgehoben worden. Wichtigstes Instrument im
       Kampf gegen Covid-19 ist damit die Immunisierung der Bevölkerung durch
       Infektion oder Impfung. Selbst die Überwachung der Virusverbreitung wurde
       zurückgefahren: Seit Mai 2023 gibt es keine regelmäßigen Updates mehr vom
       zuständigen Robert-Koch-Institut. Covid-19 ist zu einer Erkrankung von
       vielen erklärt worden.
       
       ## Doppelt betroffen
       
       Akut von der sich aktuell aufbauenden Welle bedroht sind Kliniken. Das
       betrifft insbesondere Kinderambulanzen, die bereits jetzt am Rand ihrer
       Belastbarkeit stehen. Florian Hoffmann, Generalsekretär der Deutschen
       Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, sagte im
       Mai der Funke-Mediengruppe: „Die Lage der Kinderkliniken ist dramatisch
       und wird sich eher noch verschärfen.
       
       In vielen deutschen Kinderkliniken können auf den Kinderintensivstationen
       im Schnitt ein Drittel der Betten wegen Personalmangels nicht genutzt
       werden. In manchen Kliniken ist sogar die Hälfte nicht mehr belegbar.“
       Sobald es zu Infektionswellen komme, habe man keine Chance mehr, alle
       Patient*innen zu versorgen.
       
       Corona trifft die [2][Kliniken] dabei in mehrerlei Hinsicht: Es sind nicht
       nur die schwer erkrankten Patienten, die versorgt werden müssen, es werden
       auch mehr Mitarbeitende krank. Obendrein zieht Covid-19 das Immunsystem in
       Mitleidenschaft, so dass auch die kritischen Fälle bei anderen Erkrankungen
       ansteigen.
       
       Während vergangenes Jahr noch Schutzmaßnahmen beschlossen wurden, um diese
       Wellen aufzufangen oder zumindest abzufedern, ist davon aktuell nicht die
       Rede. Manche Kliniken werden deswegen selbst aktiv: In der Notaufnahme des
       Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel zum Beispiel gilt
       aktuell vorerst Maskenpflicht.
       
       ## 4,5 Prozent der Infizierten entwickeln Long Covid
       
       Jenseits akuter Belastungen wegen der anstehenden Welle stellt sich die
       Frage nach langfristigen Belastungen. Nach einer Ansteckung mit Delta
       entwickelten ungefähr 10 Prozent aller Infizierten Long Covid mit
       Symptomen, die über drei Monate andauern. Ungefähr 50 Prozent der Menschen
       war so stark eingeschränkt, dass ein Leben wie vor der Infektion nicht mehr
       möglich war.
       
       Mit Omikron scheint sich diese Zahl gesenkt zu haben: Eine Studie aus
       Großbritannien kommt zu dem Ergebnis, dass 4,5 Prozent der
       Omikron-Infizierten Long Covid entwickeln. Allerdings ist noch nicht
       bekannt, wie stark Mehrfachinfizierungen das Risiko erhöhen oder wie hoch
       die Zahl bei neuen Varianten sein wird.
       
       Carmen Scheibenbogen, eine der führenden Expert*innen zum ins Long
       Covid-Spektrum gehörenden chronischen Erschöpfungssyndrom (ME/CFS), moniert
       in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur, dass die Krankheit trotz
       ihrer relativen Häufigkeit kaum erforscht sei und auch „vielen Ärzten nicht
       gut bekannt ist“, außerdem gebe es kaum Versorgungsstrukturen. Rund 10
       Millionen Euro pro Jahr bräuchte es ihrer Meinung nach, um deutschlandweite
       Studien durchzuführen.
       
       ## Mittel zur Erforschung sind aufgestockt worden
       
       Dank des anhaltenden Drucks von Betroffenen und der Wissenschaft sind
       inzwischen die Mittel zur Erforschung aufgestockt worden; allerdings fehlt
       bisher noch immer eine digitale Infrastruktur, um Versorgungsdaten zu
       erheben.
       
       Sozial gesehen bedeutet nach Auslaufen der Schutzmaßnahmen eine neue Welle
       die Verschärfung der Segregation von Risikogruppen. Das Credo der
       Eigenverantwortung sorgt für ihre Verdrängung aus öffentlichen Räumen.
       
       Allerdings sind dieser Eigenverantwortung Grenzen gesetzt: Vulnerable mit
       Kontakt zu Schulkindern sind in ständiger Gefahr, sich zu infizieren, weil
       die Maßnahmen (wie zum Beispiel Luftfilter) an den Schulen schrittweise
       zurückgefahren oder ganz aufgehoben werden. Für jene Risikogruppen bleibt
       die Hoffnung auf Entwicklung potenter Medikamente und effektiverer
       [3][Impfstoffe], weil erneute Schulschließungen kategorisch ausgeschlossen
       wurden und auch die Möglichkeit einer Aufhebung der Präsenzpflicht nicht
       weiter diskutiert wurde.
       
       ## Personalmangel wird zusätzlich verschärft
       
       Mittelfristig stellt sich auch die Frage, wie gut die soziale Infrastruktur
       in Deutschland die Folgen weiterer Wellen verkraftet. Unter an
       [4][Long-Covid-Betroffenen] sind überdurchschnittlich viele Beschäftigte
       aus Gesundheits- und Betreuungsberufen, wie eine Datenanalyse der AOK
       Nordost zeigt, insbesondere Erzieher*innen und Altenpfleger*innen. Das
       verschärft den ohnehin schon schwerwiegenden Personalmangel in diesen
       Bereichen.
       
       Ein weiterer möglicher Langzeitschaden der Pandemie wurde hingegen noch
       kaum untersucht: inwiefern dadurch das Vertrauen in die Politik
       nachgelassen hat. Aber so viel ist bekannt: Im Jahr 2020 waren dem
       „Deutschlandtrend“ zufolge 60 Prozent der Bevölkerung zufrieden mit der
       regierenden Großen Koalition. Die jetzige Ampelregierung kommt in der
       aktuellen Umfrage auf 21 Prozent Zustimmung.
       
       17 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Frédéric Valin
       
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