# taz.de -- Ampelkoalition reformiert Familienrecht: Alles Familie
> Co-Eltern, Alleinerziehende, Polyamore: Die Gesellschaft ist bunter, als
> es das Gesetzbuch vorsieht. Wem könnte die Verantwortungsgemeinschaft
> nutzen?
IMG Bild: Eine „Verantwortungsgemeinschaft“ bei der Freizeitgestaltung
Berlin taz | Zum Glück sind sie lange vorbei, die miefigen 50er Jahre in
Deutschland. Rechtlich aber hat sich so einiges aus deren tradiertem
Familienbild gehalten. Die Ampel will nun aufräumen im Familienrecht und
verankern, was längst gelebt wird: familiäre Konstellationen abseits von
Mutter/Vater/Kind.
Der Koalitionsvertrag hat eine ganze Reihe von Vorhaben versammelt. Eines
davon ist die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft – ein Herzensprojekt
der FDP. Bundesjustizminister Marco Buschmann hat angekündigt, dass es
„bald nach der Sommerpause“ entsprechende Eckpunkte geben soll: Zwei oder
mehr Erwachsene sollen Verantwortung füreinander übernehmen können, mit
Folgen etwa für Auskunftsrechte im Krankheitsfall oder im Mietrecht.
Wie das im Detail aussehen könnte, lässt ein Antrag der FDP-Fraktion aus
dem Jahr 2020 erahnen. Anders als damals vorgesehen hat Buschmann aber
bereits klargestellt, dass die Verantwortungsgemeinschaft eine Option für
Menschen sein soll, die explizit keine Liebesbeziehung führen.
Und: Anders als die FDP-Fraktion es sich damals vorstellte, soll es nun
keinerlei steuerlichen Anreize geben. Also kein Ehegattensplitting, keine
Freibeträge bei der Erbschaftssteuer. Ein kurzer Überblick, für wen außer
der Single-WG die Verantwortungsgemeinschaft interessant sein könnte:
## Die romantischen Zweierbeziehungen
Laut Koalitionsvertrag ist die Verantwortungsgemeinschaft für Menschen
„jenseits von Liebesbeziehungen“ gedacht, also keine „Ehe light“. Das heißt
aber nicht, dass nicht trotzdem auch Paare – egal ob homo- oder
heterosexuell – sie eingehen werden. Die Ehe ist nicht so einfach wieder
aufzulösen und in den Augen vieler ein verstaubtes Relikt des Patriarchats.
Gleichzeitig sind unverheiratete Paare bis heute in vielen Punkten
schlechtergestellt, etwa in Bezug auf die Auskunftsrechte, wenn eine*r
nicht ansprechbar im Krankenhaus liegt. Und woher soll der Standesbeamte,
bei dem sie in einem unbürokratischen Akt geschlossen werden soll,
schließlich wissen, ob man sich freundschaftlich oder romantisch nahesteht?
In der [1][taz hat die Juristin Gudrun Lies-Benachib] vom Deutschen
Juristinnenbund bereits Bedenken geäußert. Denn: Keine Ehe heißt nicht
automatisch, [2][dass es keine traditionelle Rollenverteilung gibt.] Wenn
eine Verantwortungsgemeinschaft aufgelöst wird und ein*e Partner*in sich
vor allem um den Care-Bereich gekümmert hat, steht diese*r ohne die
Sicherungsnetze der klassischen Ehe da. In Heterobeziehungen dürfte das vor
allem Frauen treffen.
## Die polyamoren Beziehungen
Regelungen abseits der Ehe gibt es auch in anderen EU-Ländern (zum Beispiel
siehe unten: Pacs in Frankreich). Nirgends aber gibt es, was die Ampel nun
plant: Regelungen für mehr als zwei Personen. Hier könnten Menschen in
polyamoren Beziehungen aufhorchen.
Polyamore Beziehungen können drei Personen in einer gemeinschaftlichen
Beziehung sein, oder aber eine Person mit zwei gleichberechtigten
Beziehungen. Und da zeigt sich, dass noch viele Fragen offen sind. Wäre es
denkbar, dass eine Person zwei Verantwortungsgemeinschaften mit jeweils
eine*r Partner*in eingeht? Oder ist das Ganze eine exklusive Kiste?
Wie viele polyamor lebende Menschen es in Deutschland gibt, ist nicht
bekannt. In einer Umfrage der Dating-Plattform Parship von 2017 gaben 3
Prozent der rund 3.200 Befragten an, schon einmal eine polyamore Beziehung
geführt zu haben, und 12 Prozent gaben an, sich das vorstellen zu können.
## Die Alleinerziehenden
It takes a village to raise a child. Alleinerziehende in Deutschland sind
oft besonders belastet: Sie müssen allein das Haushaltseinkommen
erwirtschaften und noch dazu die ganze Care-Arbeit übernehmen. Fiese
Erkältung? Vergiss es, ins Bett legen ist nicht – immerhin muss gesaugt,
gekocht und Verstecken gespielt werden. Da wäre es einfacher, sich
zusammenzutun: In einer WG mit dem ebenfalls alleinerziehenden Kumpel, so
dass beide mal ihre Ruhe haben können, oder mit den beiden besten
Freund*innen, die selbst keine Kinder haben, sich aber gern mitkümmern.
Aber was, wenn der Vermieter die Untermiete verweigert? Hier könnte die
Verantwortungsgemeinschaft Abhilfe schaffen. Doch gehen damit auch
automatisch Unterhaltspflichten einher?
## Die Co-Eltern
Zwei lesbische Frauen und zwei schwule Männer bekommen zusammen ein Kind.
Oder die Singlefrau mit dem schwulen Paar. Oder der trans Singlemann mit
seinem besten Freund. Eine Liebesbeziehung besteht zwischen den Beteiligten
entweder gar nicht oder nicht zwischen allen, und es leben auch nicht alle
in der gleichen Wohnung. Trotzdem wollen alle gemeinsam für das Kind sorgen
und füreinander einstehen, falls etwa eine Beteiligte nach einem Unfall
pflegebedürftig ist. Mehrelternschaft ist in Deutschland bisher
ausgeschlossen, das wird auch die Verantwortungsgemeinschaft nicht ändern.
Hier würde ein anderes Vorhaben der Ampel greifen: Die Ausweitung des
bisher nur für Stiefeltern existierenden „kleinen Sorgerechts“ auf soziale
Eltern, und [3][zwar auf bis zu vier Personen.] Mit dem „kleinen
Sorgerecht“ können Menschen über die Alltagsbelange eines Kindes
entscheiden. Was aber ist mit Elternzeit und [4][Elterngeld]? Haben darauf
künftig alle Beteiligten Anspruch, sei es nun im kleinen Sorgerecht oder in
der Verantwortungsgemeischaft? Für alle offenen Fragen hat der
Bundesjustizminister hoffentlich Antworten parat, wenn er sein
Gesetzesvorhaben präsentiert.
20 Aug 2023
## LINKS
DIR [1] /Ampel-reformiert-Familienrecht/!5949567
DIR [2] /Aufteilung-der-Arbeit-in-Familien/!5950223
DIR [3] /Neues-Familienbild-der-Ampel/!5814765
DIR [4] /Streit-um-Elterngeld/!5943130
## AUTOREN
DIR Dinah Riese
## TAGS
DIR Ampel-Koalition
DIR Marco Buschmann
DIR Sorgerecht
DIR Familienpolitik
DIR Patchworkfamilie
DIR Alleinerziehende
DIR Polyamorie
DIR Transpersonen
DIR wochentaz
DIR Queer
DIR Familie
DIR Marco Buschmann
DIR Familie
DIR Gender
DIR Unterhaltszahlungen
DIR Familie
DIR Selbstbestimmung
DIR Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Rechtsanwältin über Abstammungsrecht: „Die Reform ist seit Jahren überfällig“
Die Ungleichbehandlung lesbischer Mütter sei nicht hinnehmbar, sagt
Anwältin Lucy Chebout. Das Bundesverfassungsgericht müsse endlich
entscheiden.
DIR Benachteiligung bei der Ehe für alle: Menschenrecht auf Muttersein
Queere Mütter müssen in Deutschland immer noch um Anerkennung kämpfen. Das
Abstammungsgesetz sollte endlich reformiert werden.
DIR Plan für Verantwortungsgemeinschaften: Noch ein wenig schwachbrüstig
Bei den Vorstellungen von Justizminister Buschmann zur
Verantwortungsgemeinschaft ist noch Spielraum nach oben. Unsäglich ist
indes die Kritik der Union.
DIR Famillienrechtsreformen der Ampel: Endlich die Realität anerkannt
Die Ampel will das Familienrecht für verschiedene Familienentwürfe öffnen.
Der Vorschlag zeigt, was die Koalition bei allen Differenzen verbindet.
DIR Beziehungscoach über freie Liebe: „Exklusivität macht ruppig“
Monogam oder polyamor, für immer oder für den Moment – wie funktionieren
Beziehungen? Lass uns mal die Oma fragen, die freie Liebe erforscht hat.
DIR Reform des Unterhaltsrechts: Entlastung für Väter?
Vorstoß von Justizminister Buschmann (FDP): Unterhaltspflichtige Eltern,
die nach einer Trennung ihre Kinder betreuen, sollen weniger zahlen müssen.
DIR Ampel reformiert Familienrecht: Mehr als Mama, Papa, Kind
Justizminister Buschmann will das Zusammenleben ohne Liebesbeziehung
rechtlich stärken. Auch für lesbische Mütter soll es endlich Verbesserungen
geben.
DIR Expertin über Selbstbestimmungsgesetz: „Wir befinden uns im Kulturkampf“
Der Deutsche Frauenrat begrüßt das Selbstbestimmungsgesetz im Prinzip,
spart aber auch nicht mit Kritik. Das betont Expertin Beate von Miquel.
DIR Alleinerziehende Mütter: Das Leben im Nacken
Seit Christina Sander Mutter geworden ist, ist sie von Armut gefährdet, und
die Preise steigen. Wie sich eine Alleinerziehende durch die Krise boxt.