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       # taz.de -- die verständnisfrage: Rempeln als feministischer Akt
       
       > Warum macht ihr einander auf dem Gehweg keinen Platz, fragt ein Student.
       > Eine Medizinische Fachangestellte antwortet.
       
   IMG Bild: „Wieso ist sie mir jetzt nicht ausgewichen?“
       
       Ein 27-jähriger Student aus Kiel fragt:
       
       Liebe Leute, warum macht ihr einander auf dem Bürgersteig keinen Platz? 
       
       26, Medizinische Fachangestellte aus Bremen, antwortet:
       
       Es gibt einige Personengruppen, denen ich auf dem Gehweg bewusst nicht aus
       dem Weg gehe. Wenn ich etwa das Gefühl habe, einer Person mit großem
       Selbstbewusstsein und dem Selbstverständnis, dass alle anderen für sie
       Platz machen sollten, zu begegnen. Oder Männern, die nicht sichtlich
       eingeschränkt sind.
       
       Ich habe mal in einem Internetbeitrag einer weiblichen Person gelesen, dass
       sie häufiger angerempelt wird, seitdem sie Männern auf dem Gehweg nicht
       mehr ausweicht. Mir war das vorher gar nicht bewusst, dass ich immer
       automatisch allen Leuten Platz mache. Ich glaube, das ist ein anerzogenes
       people pleasing. Ich denke mir immer: „Oh, schnell weg hier!“ Mädchen wird
       schon früh beigebracht, eher ausweichend zu sein, während kleinen Jungs
       viel mehr Raum zugesprochen wird. Es ist ein grundsätzliches
       gesellschaftliches Problem.
       
       Seitdem ich Männern keinen Platz mehr mache, werde ich auch häufiger
       angerempelt. Ich habe bemerkt, dass Männer viel später zur Seite gehen als
       Frauen. Es ist zwar konfrontativ, Männern nicht aus dem Weg zu gehen, aber
       das Schlimmste, was mir passieren kann, ist eben ein Rempler. Für mich ist
       das ein kleiner [1][feministischer Akt].
       
       Wenn man sich noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hat, kann man es
       problematisch finden, generell keinen Platz für Männer zu machen. Es kann
       als respektlos wahrgenommen werden. Aber wenn sich ein Mann darüber
       aufregt, dann ist ihm wahrscheinlich nicht bewusst, wie er sich selbst
       verhält. Im besten Fall fragt er sich: „Wieso ist sie mir jetzt nicht
       ausgewichen?“, und vielleicht kommt er dann darauf, dass er das auch selten
       tut, und ändert sein Verhalten. Das ist meine kleine Hoffnung.
       
       Händchenhaltende Pärchen glauben übrigens auch, dass ihnen jeder aus dem
       Weg geht. Ich mache das extra nicht. Sie laufen nebeneinander auf dem
       Bürgersteig und können die Hände nicht mal für paar Sekunden loslassen? Ich
       finde das sehr unhöflich. Ich habe das Gefühl, sie wollen damit zeigen,
       dass sie besser sind als Einzelpersonen, weil sie jemanden an ihrer Seite
       haben und den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen. Dieses
       gesellschaftliche Bild erlaubt es ihnen, nicht nur Raum auf dem Gehweg zu
       beanspruchen. In Songs und Filmen geht es ja auch fast immer um Pärchen und
       selten um zufriedende Singles.
       
       Das soll nicht heißen, dass ich Menschen auf dem Gehweg grundsätzlich nicht
       ausweiche. Wenn ich um eine Ecke laufe, habe ich keine Zeit, darüber
       nachzudenken, ob ich jetzt Platz mache oder nicht – und tue es einfach.
       Personen, die eine sichtbare Einschränkung haben, wie ältere Menschen oder
       [2][Menschen mit einer Gehbehinderung], mache ich natürlich immer Platz.
       Kindern gehe ich auch aus dem Weg, sie sind in ihrer eigenen Welt oder
       wissen noch nicht, dass man anderen Menschen Platz macht, und andernfalls
       laufen sie in mich rein.
       
       Ich glaube, letztendlich sollten wir alle empathischer miteinander sein,
       auch mit Menschen, die nicht Teil unserer Gruppe sind und denen wir nur
       über den Weg laufen.
       
       Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um
       alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn
       Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre
       Frage an [3][verstaendnis@taz.de].
       
       20 Aug 2023
       
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