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       # taz.de -- Cannabis-Legalisierung in Deutschland: Dealen als Nebenjob
       
       > Cannabis wird bald legal, darauf einigte sich die Ampelkoalition. Was
       > halten die Dealer im Görlitzer Park davon?
       
   IMG Bild: Kaum einer glaubt, dass die Legalisierung den Görlitzer Park grundlegend verändern wird
       
       Berlin taz | Es ist ein sonniger Nachmittag im [1][Görlitzer Park]. An
       diesem Mittwoch picknicken Familien und Studierende auf den grünen Wiesen.
       Aus Boomboxen von Barfüßigen läuft Elektromusik, über die Köpfe von
       Spaziergängern werfen zwei Erwachsene ein Frisbee. Man hört eine Pfeife,
       auf dem Sportplatz spielen zwei Mannschaften Fußball.
       
       Doch auf den Wegen spielen sich auch diskrete Szenen ab. Manche fahren mit
       Fahrrädern auffällig im Kreis und radeln weg, wenn wieder einmal ein
       Mannschaftswagen von der Polizei durch den Park fährt, andere stehen vor
       Bänken und suchen die Begegnung.
       
       Der Görlitzer Park ist nicht einfach nur ein Ort, den Berliner gern mit
       Görli verniedlichen. Der Görli ist wohl der berühmteste Park für Drogen
       aller Art in Deutschland. [2][Zuletzt machte er bundesweit Schlagzeilen,
       nachdem im Park eine Frau von einer Gruppe von Männern vergewaltigt worden
       sein soll.]
       
       An diesem Mittwoch hat sich auch hier eine Nachricht schnell verbreitet:
       Das Bundeskabinett hat den ersten Entwurf eines Gesetzes zur
       Teillegalisierung von Cannabis beschlossen. Steht der Görli damit nun vor
       einer großen Veränderung? Was sagen Passanten? Und wie nehmen die Dealer
       diese Nachricht auf?
       
       ## Was aus den Leuten wird
       
       Spricht man mit Passanten im Park, begrüßen viele die anstehende
       Legalisierung. Dass sich für den Görlitzer Park viel verändern werde,
       glauben aber die wenigsten. Max, 23 Jahre alt, aufgewachsen in Deutschland
       und Senegal, sagt, er kenne einige, die Drogen verkauften. Er selbst nicht,
       er müsse ja nicht, er dürfe studieren. „Die würden gern etwas anderes
       machen, wenn sie könnten“, sagt er.
       
       Eine andere Passantin, Mahena, 25, sagt: „Für viele ist es kein
       Vollzeitjob, die meisten arbeiteten woanders. Manche bleiben hier stecken,
       weil sie auch anfangen, die ganze Zeit das Gras zu rauchen.“ Es mache sie
       traurig zu sehen, was aus den Leuten werde.
       
       Nahe dem Ausgang zur Wiener Straße sitzen und stehen mehrere Männer an
       einer Parkbank, die durch einen großen Baum genug Schatten bekommt. Mehrere
       tragen weiße T-Shirts, einer ein buntes Hemd, zwei weitere schwarze
       Arbeitskleidung für Bauarbeiter.
       
       Während ich vorbeilaufe, fragt mich einer von ihnen auf Englisch, ob ich
       etwas brauche. Statt freundlich abzulehnen und weiterzulaufen, möchte ich
       dieses Mal wirklich etwas haben. Ein Gespräch.
       
       ## „Es ist ein dummes Gesetz“
       
       Habt ihr von der geplanten Legalisierung von Cannabis gehört? Ja, haben
       sie, aber sie denken nicht, dass diese wirklich umgesetzt werde. Einer
       erklärt, dass das Parlament noch darüber berate und Cannabis also noch
       nicht legal sei. Ein anderer Dealer betont, dass das geplante Gesetz zwar
       gut für Kiffer sei, aber für sie, die hier draußen stünden, nicht viel
       ändern werde.
       
       „Es ist ein dummes Gesetz“, meint ein anderer aus der Gruppe. Sein
       Kritikpunkt ist die Mengenbeschränkung, die ihm zu gering zu sein scheint.
       „Hier im Görli sind Menschen, die 50 Gramm Cannabis die Woche kaufen“,
       erklärt er. Das geplante Gesetz sieht vor, Cannabis aus dem
       Betäubungsmittelgesetz zu entfernen und den Privatbesitz von bis zu 25
       Gramm Cannabis oder drei Cannabispflanzen zu erlauben.
       
       In Anbauvereinen sollen sich maximal 500 Menschen zum Anbau zusammenfinden
       und höchstens 50 Gramm pro Mitglied im Monat ausgegeben werden. Unter
       21-Jährige bekommen nicht mehr als 30 Gramm im Monat mit einem maximalen
       THC-Gehalt von 10 Prozent.
       
       Während die legalen Verkaufsstellen voraussichtlich höhere Preise
       veranschlagen müssten, wegen der Steuern, glauben einige der Dealer, dass
       sich im Schwarzmarkt nicht viel ändern werde, außer beim Preis.
       
       ## Gras für Junkies und Touristen
       
       „Bei uns wird durch die größere Auswahl der Preis wahrscheinlich sinken.“
       Gerade kostet ein Gramm bei ihnen zehn Euro. Sie glauben, dass sie
       eventuell bald nur noch sieben Euro verlangen könnten. Wie teuer legales
       Cannabis werden wird, ist bisher allerdings noch völlig unklar.
       
       Eine Frau mit Gesichtspiercings und blauen Haaren unterbricht das Gespräch.
       „We wanna stay high“, sagt sie hibbelig und holt sich Gras von einem ab.
       
       „Bei uns kommen die meiste Zeit Junkies und Touristen“, erklärt einer auf
       der Bank. „Denn hier werden ja auch andere Sachen verkauft.“ Ob sie auch
       härtere Drogen verkaufen, wollen sie nicht sagen. Im Park werden unter
       anderem auch Ecstasy, Kokain, Crack verkauft. Die meisten Dealer haben die
       meiste Zeit jedoch nur Marihuana bei sich, für alles andere frage man
       einzelne Kollegen, ob sie sich darum kümmern wollten.
       
       Jetzt kommen die Männer untereinander ins Gespräch: „Vielleicht werden sie
       ja wirklich Marihuana legalisieren“, sagt einer. Ein anderer:
       „Wahrscheinlich werden sie aber auch härtere Gesetze verabschieden, um uns
       einfacher ins Gefängnis zu stecken.“
       
       ## Vom Dealer zum Elektriker
       
       Alle erzählen, sie seien Geflüchtete, die meisten aus dem Senegal. Sie
       bekämen 300 bis 500 Euro im Monat vom Staat, doch damit könnten sie nicht
       überleben. Weil sie keine Arbeitserlaubnis hätten, müssten sie
       schwarzarbeiten. Sie sagen, dass sie neben dem Dealen auch immer wieder
       andere prekäre Jobs machen würden, etwa auf dem Bau arbeiten. Kaum einer
       sei Dealer in Vollzeit.
       
       Manche werden nervös und gehen langsam. Sie haben Angst, dass ihnen doch
       ein Zivilpolizist und kein Journalist gegenübersteht. Am Ende bleibt nur
       einer auf der Bank sitzen. Er macht sich keine Sorgen, dass er nicht weiß,
       mit wem er gerade spricht. „Ich komme nur hierher, um meine Freunde zu
       besuchen“, sagt er.
       
       Er ist 29 Jahre alt, seit mehr als zehn Jahren sei er in Deutschland,
       ursprünglich komme er aus dem Senegal. Das letzte Mal habe er vor sieben
       Jahren gedealt, machen wollte er es nie. Angefangen habe er, weil er auf
       dem Bau gearbeitet habe und immer wieder am Ende des Monats nicht bezahlt
       worden sei. Jetzt hat er einen Vollzeitjob, als Elektriker.
       
       19 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Diskussion-um-den-Goerlitzer-Park/!5952370
   DIR [2] /Vergewaltigung-in-Berlin-Kreuzberg/!5948133
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean Dumler
       
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