# taz.de -- Comic von Mahler über Literaturbetrieb: Unerbittlich wie Luthers Thesen
> Der Comiczeichner Mahler beherrscht Satire. In „Akira Kurosawa und der
> meditierende Frosch“ erzählt er Absurdes aus der Welt der Buchmenschen.
IMG Bild: Pointierter Witz mit simplen Strichen
Fragt ein Kunde auf dem Buchmarkt: „He! Die 3 kg Handke, die Sie mir
letztens angedreht haben, waren nicht mehr gut!“ Nach einigem Hin und Her
verkauft ihm der Händler schließlich einen neuen Walser („die faulen
Stellen kann man leicht wegschneiden“), eingewickelt in einen Coelho …
Bücher kaufen an der Theke wie auf dem Wochenmarkt? Darauf kann nur einer
kommen: der österreichische Comiczeichner und [1][Cartoonist Nicolas
Mahler, kurz „Mahler“] genannt. In den letzten Jahren hat der 1969 geborene
Wiener Künstler mit Vorliebe monumentale Werke der literarischen Moderne
wie Musils „Mann ohne Eigenschaften“, Prousts „Auf der Suche nach der
verlorenen Zeit“ oder Joyce’ „Ulysses“ in deutlich kompaktere
Comic-Versionen verwandelt. Ob diese zeichnerische Verdichtung in Mahlers
typischer schwarz-weißer Strichmännchen-Ästhetik jeweils als Affront oder
als angemessene Adaption zu bewerten ist, hängt vom Rezipienten ab. Und von
dessen Humor.
Mahlers jüngster Band, „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“,
erschienen beim Berliner Verlag Reprodukt, widmet sich nicht, wie der Titel
vermuten lässt, dem Werk jenes berühmten japanischen Filmregisseurs. Im
Hauptteil des anekdotenreichen Buches geht es vielmehr um die skurrilen
Erlebnisse Mahlers im Wunderland der Literatur.
Mahler vermischt „Autofiktionales“ (den Begriff entlarvt er als neumodisch:
[2][„Sagt man jetzt so in Literaturkreisen“]) mit Gedanken zu manch
kulturellem Phänomen, das oft auf einem Missverständnis beruht. Als
Beispiel dient ihm der unverständliche Erfolg überlanger Knausgård-Bücher
(Mahler: „Sprachdurchfall“) im Vergleich zu kunstvoll-knapp formulierten
Film-Inhaltsangaben in „Halliwell’s Film-Guide“.
## Man ließ Mahler lange schmoren
In einer Episode, die er zum 25-jährigen Jubiläum des [3][Schweizer
Comicmagazins Strapazin] zeichnete, stellt Mahler seinen eigenen Werdegang
pointiert dar: Mehrere Aktenordner voller Absageschreiben zu seinen Comics
füllen ein ganzes Regal in Mahlers Wohnung. Zu Beginn seiner Karriere
wollte er kommerziell arbeiten und bewarb sich bei Fix & Foxi – ohne
Erfolg. Und selbst das Strapazin – bekannt für seine avantgardistische, für
junge Talente offene Ausrichtung – ließ Mahler lange schmoren, bis er darin
veröffentlichen konnte.
Doch irgendwann hat er es dann doch geschafft und macht sich nun mehrfach
lustig über das unhandliche Überformat des Magazins. Die (angebliche)
Leibesfülle des früheren Verlegers David Basler steht überdies im krassen
Kontrast zu Mahlers gewohnter Selbstdarstellung als langgestreckter
Spargel.
Der Zeichner nimmt auch aufwändige Investigativrecherchen in Buchhandlungen
auf sich, sogenannte „Kundenbelauschungen“, um später in seinen Cartoons
die absurden Dialoge als solche zu entlarven. Nebenbei lernt man, dass
österreichische Schüler sich sehr gewählt ausdrücken können, wenn sie zum
Beispiel Mahlers Vorträge über seine Literaturadaptionen als „fadisierend“
(langweilig) bezeichnen. Doch nicht nur die eigene Person steht im Fokus
des Bandes, der Kulturbetrieb selbst wird zur Zielscheibe des zeichnenden
Satirikers: Neben der [4][Comicszene] betrifft dies vor allem den
deutschsprachigen Literaturbetrieb.
Gar nicht gut weg kommt bei ihm das Feuilleton. Mahlers Beobachtungen
zufolge wird heute in den Besprechungen alles Gezeichnete als Graphic Novel
bezeichnet: Burgtheater-Inszenierungen, kurze Filmanimationen, Comicstrips
– alles wird derart gelabelt. Grund für ihn, unerbittlich wie einst Luthers
Thesen – in einfacher Sprache – an die Tore des „vertrottelten“
Literaturbetriebs zu nageln: „Graphic Novel ist kein Style“, „Novel heißt
Roman“, „vier Seiten sind keine Novel“. Das dürre Mahler-Alter-Ego schlägt
wütend mit dem Holzhammer um sich, denn selbst das „biedere“ „Literarische
Quartett“ verbreitet nur Unsinn, wenn es über Comics palavert.
## Bissige Beobachtung, pointierte Erzählkunst
Mahlers wie immer schön zugespitzten bissigen Beobachtungen sind kleine
Lektionen in pointierter Erzählkunst, deren grafische Einfachheit mit
lockerem japanischem Pinselschwung ausgeführt wird.
Am Ende kommen Japan-Fans doch noch auf ihre Kosten, wenn Mahler von seinem
Aufenthalt in Kioto berichtet, in einem „Land, das ich hauptsächlich aus
Kurosawa-Filmen kenne“. Dabei erfährt man von Begegnungen mit ebenso
witzigen japanischen Künstlerkollegen. Und dass das Manga-Genre „Ero Guro
Nansensu“ Mahlers eigenen thematischen Vorzügen Erotik, Groteske und
Nonsense entspricht. Ach was.
9 Aug 2023
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## AUTOREN
DIR Ralph Trommer
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