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       # taz.de -- Sinéad O'Connor mit 56 Jahren gestorben: Das Leid in der Stimme
       
       > Mit ihrer Version von „Nothing Compares 2 U“ wurde die Sängerin O’Connor
       > weltberühmt. Ihr Leben war von Politik und psychischen Erkrankungen
       > geprägt.
       
   IMG Bild: Sinead O'Connor bei einem Auftritt während des Wombad Festivals in Chile, 16.02.2015
       
       Dublin taz | Ihre Stimme vergisst man nicht, wenn man sie einmal gehört
       hat. Sinéad O’Connor zog die Menschen mit ihrem Gesang in den Bann. Ich
       habe sie mehrmals live in ihrer Heimatstadt Dublin erlebt – einmal mit
       Glatze, einmal sehr bieder im Kostüm, einmal mit Hijab.
       
       Sechs Jahre lang, bis 2021, war sie mehr oder weniger in einer „Klapsmühle“
       untergetaucht, wie sie es in einem Interview mit Simon Hattenstone vom
       Guardian nannte, fügte aber hinzu, dass nur die Patienten das Wort benutzen
       dürfen. Sie war manisch-depressiv. Doch vor zwei Jahren erklärte man sie
       als stabil und sie konnte die psychiatrische Einrichtung verlassen.
       
       Berühmt ist sie 1990 mit einer Cover-Version von Princes „Nothing Compares
       2 U“ geworden. Das Lied stand lange auf dem ersten Platz in den weltweiten
       Charts. Eines Tages rief [1][Prince] an und sagte, er wolle sie treffen. Er
       ließ sie von einem Chauffeur abholen, sperrte sie in sein Haus, bestand auf
       eine Kissenschlacht und schlug sie dann mit einem harten Gegenstand nieder,
       den er im Kissen versteckt hatte. Schließlich gelang ihr die Flucht.
       
       Nach „Nothing Compares 2 U“ hatte sie nie wieder einen Song unter den Top
       10. Dafür war sie nicht kommerziell genug, sie legte sich zu oft mit den
       Produzenten an, brachte aber immer wieder wunderschöne Alben heraus, ob
       Reggae oder Pop oder im traditionellen, gälischen Sean-Nós-Gesang. Und
       immer wieder wurde sie als Gastmusikerin eingeladen.
       
       ## Immer war sie auch politisch
       
       Der Höhepunkt ist für mich der Titelsong „Release“ des zweiten Albums vom
       Afro-Celt Sound System. Dabei neigte sie immer dazu, sich kleinzumachen.
       „Ich bin Irin und ich bin in den siebziger Jahren aufgewachsen, als einem
       als gute Katholikin eingebläut wurde, dass man Scheiße sei und keineswegs
       stolz auf sich sein durfte.“
       
       Musik war für sie Therapie, schrieb sie in ihrer Autobiografie
       „Erinnerungen“, die vor zwei Jahren erschienen ist. Aber sie war immer auch
       politisch: Auf dem Album „Universal Mother“ spricht sie davon, dass die
       irische Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts in Wahrheit ein von der
       englischen Regierung angeordneter Genozid war. O’Connor trat der
       [2][irisch-republikanischen Partei Sinn Féin] bei und trat vehement für die
       irische Vereinigung ein.
       
       Sie hatte mit dem Schreiben der Autobiografie bereits 2015 begonnen, erlitt
       dann aber mehrere Zusammenbrüche, die in einem Hilfeschrei mündeten, den
       sie per Video aus einem Motel in den USA auf Facebook veröffentlichte. Es
       war nicht nur ihre [3][psychische Erkrankung], sagte sie später, sondern
       sie hatte darüber hinaus Gallensteine.
       
       O’Connor stellte das Buch erst in der Klinik fertig. Ihre Geschichte, die
       aus vielen kleinen Vignetten besteht, ist trotz allem in weiten Teilen
       lustig, aber es wird auch deutlich, wie verletzlich sie war, vor allem,
       wenn sie beschreibt, wie sie von ihrer Mutter physisch und sexuell
       misshandelt worden sei.
       
       ## Toxische Erziehung der Mutter
       
       Sie wurde am 8. Dezember 1966 geboren und wuchs in Glenageary auf, einem
       vornehmen Vorort der irischen Hauptstadt. Sie hatte vier Geschwister,
       darunter den Schriftsteller Joseph O’Connor, der die Mutter als „zutiefst
       unglücklich und gestört“ beschrieben hat.
       
       Die Eltern trennten sich, als Sinéad O’Connor acht Jahre alt war. An dem
       Tag, als der Vater auszog, sperrte die Mutter ihre Kinder ins Gartenhaus.
       Als es dunkel wurde, bettelte O'Connor, ins Haus gelassen zu werden, aber
       die Mutter blieb hart. „Das war der Augenblick, in dem ich offiziell den
       Verstand verloren habe und seitdem unter Agoraphobie leide“, schreibt
       O’Connor.
       
       Mit 13 begann sie zu klauen. „Ich wurde Kleptomanin, wie meine Mutter.“ Sie
       stahl auf Bestellung ihrer Schulfreunde. Mit 14 wurde sie geschnappt und in
       eine Besserungsanstalt gesteckt. Eine der Nonnen vom Aufsichtspersonal
       kaufte ihr eine Gitarre, um Ruhe vor dem rebellischen Teenager zu haben.
       
       ## Erleichtert über den Tod der Mutter
       
       Als sie 18 war, starb ihre Mutter bei einem Autounfall. Sie sei erleichtert
       gewesen, sagte O'Connor: „Meine Mutter war eine böse Person. Sie war vom
       Teufel besessen.“ Weil sie sehr viel physische Ähnlichkeit mit ihrer Mutter
       hatte, rasierte sie sich den Kopf, was später zu ihrem Markenzeichen wurde.
       
       1999 ließ sie sich in einem Hotelzimmer des französischen Wallfahrtsorts
       Lourdes von Bischof Cox zur Priesterin ordinieren. Cox war früher
       Hafenpolizist in Dun Laoghaire bei Dublin gewesen, wurde dann
       Tridentiner-Bischof – und umgehend exkommuniziert. Die Tridentiner sind
       eine Abspaltung von der katholischen Kirche, sie lesen ihre Messe in Latein
       mit dem Rücken zur Gemeinde, so wie es auch bei Katholiken üblich war, bis
       Papst Johannes XXIII. die Pfaffen wenden ließ.
       
       Dabei sei sie nicht gerade eine Vorzeigekatholikin, meinte O'Connor: „Vier
       Kinder von vier verschiedenen Männern, und nur mit einem davon war ich
       verheiratet, und ich habe drei andere geheiratet, von denen keiner der
       Vater eines meiner Kinder ist.“Acht Monate lang war sie mit dem
       australischen Bassisten Steve Cooney verheiratet, dann ließ sie sich
       scheiden: „Steve ist großartig, es ist nicht seine Schuld, sondern meine“,
       sagte sie. „Es war eine extrem glückliche Ehe.“ Ihre vierte und letzte Ehe
       mit einem Mann, den sie in den sozialen Medien mit einer Annonce gesucht
       hatte, dauerte nur sieben Tage.
       
       ## Den Papst vor laufender Kamera zerrissen
       
       Sieben Jahre vor ihrer Ordination zur Priesterin hatte sie aus Protest
       gegen die klerikale [4][sexuelle Gewalt gegen Kinder] ein Foto von Papst
       Johannes II. vor laufender Kamera im US-Fernsehen zerrissen, was ihr ein
       lebenslanges Auftrittsverbot bei NBC einbrachte. Erboste Katholiken
       zerstörten ihre Platten daraufhin mit einer Dampfwalze. Als sich die Kirche
       viele Jahre später bei den Opfern der pädokriminellen Priester
       entschuldigte, bezeichnete O’Connor das als inadäquat: Der Vatikan sei ein
       „Nest von Teufeln und eine Zufluchtsstätte für Kriminelle“.
       
       Später konvertierte sie zum Islam und nannte sich Shuhada Sadaqat: „Was ich
       am Islam mag, ist die Tatsache, dass er anti-religiös ist, ebenso wie Jesus
       eine militant anti-religiöse Figur war. Die Religion ist das Schlimmste,
       was Gott passieren konnte.“ Der Islam sorge dafür, dass man weder Geld
       verehrt, noch stiehlt, sondern sanft mit seinen Brüdern und Schwestern
       umgehe.
       
       Voriges Jahr nahm sich ihr 17-jähriger Sohn Shane das Leben, [5][worauf
       O’Connor mit dem Gedanken spielte, es ihm gleichzutun]. Sie hatte bereits
       mehrere Suizidversuche hinter sich. Einmal schluckte sie eine Menge
       Tabletten und wandte sich an Gott: „Okay, entscheide du.“ Drei Tage später
       wachte sie aus dem Koma auf und meinte: „Gott denkt offenbar, dass ich
       solch eine Nervensäge bin, dass er mich auch nicht will.“ Am Mittwoch hat
       er es sich anders überlegt, Sinéad O’Connor ist nur 56 Jahre alt geworden.
       
       Voriges Jahr hatte sie gesagt: „Sie haben oft versucht, mich zu begraben.
       Sie wussten nicht, dass ich ein Samen bin.“ Wir sind gespannt.
       
       27 Jul 2023
       
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