# taz.de -- Buch „Geist und Müll“ von Guillaume Paoli: Revolution unmöglich, aber nötig
> Das neue Buch von Guillaume Paoli ist pessimistisch. Dem Berliner Autor
> geht es darum, angesichts des Desasters wenigstens das Denkvermögen zu
> retten.
IMG Bild: Verbot von Plastikbesteck: Eine sinnlose Maßnahme angesichts des Desasters
Geist und Müll liegen heutzutage nah beieinander. Das scheint nur zu
bekannt. Doch mancher Zusammenhang ist weniger offenkundig. Guillaume Paoli
hat es in seinem neuesten Buch darauf abgesehen, vermeintliche
Denkwahrheiten unter die Lupe zu nehmen, sie schonungsloser Kritik
auszusetzen. Diesmal beschäftigt ihn die geistlose Ignoranz, mit der wir
die Existenz des großen Desasters leugnen, Nähe und Möglichkeit eines
Weltuntergangs, zumindest was die Existenz des Menschen angeht.
Ihm geht es nicht um Klima- oder Atomtod selbst. Deren hohe
Wahrscheinlichkeit setzt Paoli gewissermaßen voraus. In seinem zutiefst
pessimistischen Buch sieht er keinen Plan B, der es der Menschheit
gestattete, das Steuer in letzter Sekunde noch herumzureißen. Zu sehr
stehen wir uns selbst im Weg. Es bräuchte eine komplette Umwälzung der
Lebensweisen und Verfahren, doch Paolis düsteres Resümee lautet: „Wir
stehen vor dem paradoxen Umstand, dass eine Revolution sowohl unmöglich als
auch unabdinglich ist. Das ist die Tragödie der Gegenwart.“
Paoli versteht sein Buch daher auch nicht als ein weiteres Plädoyer des
Mahnens und Gedenkens, sondern ihm „geht es bescheidener darum, mitten in
Turbulenzen das geistige Gleichgewicht zu behalten. Vor dem grassierenden
Desaster zumindest das Denkvermögen zu retten.“
## Grenzen des Wachstums – Club of Rome
Dazu geht Paoli zurück in die frühen 1970er Jahre, die er als „Achsenjahre“
bezeichnet. 1972 erschien der berühmte Meadows-Bericht des Club of Rome
über die Grenzen des Wachstums, in dem die Gefahr der Umweltzerstörung
erstmals deutlich benannt wurde. Die Reaktion der Menschheit dagegen war
typisch – reine Verdrängung.
Statt sich mit Auswegen und strategischen Maßnahmen zu befassen,
beschäftigten sich Technokraten eher mit der Richtigkeit der Prognosen, der
Zahlen und Statistiken. Dabei gab es durchaus eine Reihe von Denkern und
Philosophen, die sinnvolle Vorschläge und Analysen zum Thema einbrachten,
etwa die französischen Nonkonformisten Bernard Charbonneau und Jacques
Ellul.
Oder Ivan Ilich, der sich gegen die Auflösung historisch gewachsener
Fertigkeiten und Überlebenstechniken von Ghettobewohnern wandte – die
stattdessen von staatlich geplanter Wohlfahrt und Automobilität abhängig
gemacht wurden. Solche Appelle verhallten ungehört. Stattdessen schritt die
Merkantilisierung der Welt ungehindert voran, der Neoliberalismus machte
sich auf seinen Siegeszug durch die Welt.
## Minima Moralia
Trotz des düsteren Feldes, das Paoli beschreitet, ist sein furioser Essay
sehr unterhaltend geschrieben, dargeboten in kleinen Aperçus, ein wenig an
[1][Adornos „Minima Moralia“] erinnernd. Doch verfolgt er durchaus eine
kontinuierliche Argumentationslinie, die sich in souveräner Weise Schlenker
und Assoziationen gestattet.
Das Ganze ist von galligem Sarkasmus geprägt. Paolis „Geist und Müll“ will
nicht warnen, will nicht die Sturmglocke läuten, sondern die Totenglocke.
Für ihn es ist längst zu spät. Man kann nur, so meint der Autor, den einen
oder anderen Widerspruch in der Welt herausarbeiten, mehr nicht. Das ist
fast schon stoische Eudämonie. Aber vielleicht gibt es für uns tatsächlich
nicht mehr.
7 Aug 2023
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## AUTOREN
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