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       # taz.de -- Rechtes Festival in Ungarn: Sebastian Kurz als Stargast
       
       > Österreichs Ex-Kanzler macht einem Thinktank von Ungarns Machthaber Orbán
       > seine Aufwartung und fühlt sich in illiberaler Umgebung offenbar wohl.
       
   IMG Bild: Hans Klaus Techt/dpa
       
       Wien taz | Öffentliche Auftritte von Österreichs Ex-Kanzler Kurz sind seit
       seinem Abgang Ende 2021 eine Seltenheit. Immer wieder kocht die
       Gerüchteküche um eine Rückkehr in die Politik hoch, nicht zuletzt da seine
       ÖVP in den Umfragen derzeit bei rund 20 Prozent herumgrundelt. Eine
       Rückkehr schließt der nunmehrige Familienvater und Unternehmer aber
       kategorisch aus.
       
       In der Öffentlichkeit könnte er wieder stehen, wenn es demnächst
       tatsächlich zu einem juristischen Verfahren gegen ihn kommt. Vorgeworfen
       wird ihm eine mutmaßliche Falschaussage in einem
       ÖVP-Untersuchungsausschuss, der sich mit Postengeschacher bei der Reform
       der österreichischen Staatsholding ÖBIB bzw. der späteren ÖBAG befasste.
       Der Weisungsrat im Justizministerium gab kürzlich bekannt, keine Einwände
       gegen eine etwaige Anklage zu haben. Noch gibt es keine solche, auch gilt
       die Unschuldsvermutung.
       
       Wer diese Woche nicht zum [1][Salzburger Festspielempfang] von Sebastian
       Kurz eingeladen war, hatte gestern in Ungarn eine Gelegenheit, ihn zu
       sehen: Er war Stargast beim Sommerfest des Mathias Corvinus Collegium in
       Esztergom, wenige Kilometer von Budapest entfernt. Das MCC ist eine
       selbsternannte Denkfabrik, die als Kaderschmiede von Ungarns Premier Viktor
       Orbán gilt.
       
       „The World in 2023: Expecting the Unexpected“ hieß des Ex-Kanzlers Vortrag
       am MCC-Sommerfest, in dem er laut Programmtext über die Rolle von
       Technologie und Innovation in der Geopolitik dozierte – bei freiem Eintritt
       und auf der Hauptbühne im Zentrum der Kleinstadt. Direkt vor ihm sprach
       Michael Knowles, rechter Politkommentator aus den USA. Dessen politische
       Haltung ging sogar Fox News zu weit. Er hatte während einer Sendung des
       TV-Kanals Greta Thunberg als „mental krankes Kind“ bezeichnet. Fox News
       entschuldigte sich daraufhin. Knowles fiel aber auch anderweitig auf, etwa
       indem er forderte, „Transgenderismus“ auszulöschen. Er gilt als
       Unterstützer von Donald Trump.
       
       Der Vorsitzende des MCC ist übrigens Balázs Orbán, nicht mit dem
       ungarischen Premier verwandt, aber für ihn tätig. Balázs Orbán, wie Kurz
       1986 geboren, ist Fidesz-Abgeordneter im ungarischen Parlament, hatte ein
       stellvertretendes Ministeramt inne und ist seit 2021 politischer Direktor
       Viktor Orbáns. Seine Meinungen sind offen illiberal. So behauptete Balázs
       Orbán [2][in einem Interview] mit dem rechtspopulistischen österreichischen
       Krawallmedium eXXpress, es sei mittlerweile „gefährlich, eine eigene
       Meinung zu haben“. Er verteidigte auch die Asylpolitik Ungarns. Auf Twitter
       teilte er Aussagen über die „sterbende Nationen“ des Westens, getätigt von
       Michael Knowles am MCC-Fest.
       
       Fühlt sich Sebastian Kurz in dieser Gesellschaft tatsächlich wohl? Offenbar
       ja. Eine taz-Anfrage, u.a. zu seinen Beweggründen für eine Teilnahme am
       MCC-Fest und nach einer etwaigen Bezahlung für seinen Vortrag, ließ er
       unbeantwortet. Vom Veranstalter hieß es, man freue sich, ein früheres
       österreichisches Regierungsmitglied an Bord zu haben. Zu den Kosten des
       Festivals machte das Mathias Corvinus Collegium keine Angaben, diese seien
       noch nicht endgültig bekannt.
       
       Am Budget dürfte es ohnehin nicht mangeln. Das MCC wurde 2020 von der
       ungarischen Regierung mit umgerechnet über [3][einer Milliarde Euro
       ausgestattet], unter anderem in Form von Anteilen am teilstaatlichen
       Mineralölkonzern MOL. Damit verfügt der Thinktank über mehr Budget als fast
       alle anderen ungarischen Hochschulen. Ebenso verfügt das Collegium über
       mehrere riesige Immobilien, unter anderem auch eine eigene Dependance in
       Brüssel. Erst kürzlich wurde bekannt, dass sich die MCC zudem bei der
       privaten Hochschule Modul University in Wien [4][eingekauft hat].
       
       „Das MCC ist Orbáns Flaggschaff zur Schaffung einer kulturellen und
       wissenschaftlichen Hegemonie in Ungarn“, sagt Zsolt Bogar, freier
       Journalist in Budapest im Gespräch mit der taz. Mit dem Betrieb als
       Thinktank sowie auch mit dem aktuell abgehaltenen Festival wolle Orbán
       Nationalismus und konservatives Gedankengut in Ungarn und darüber hinaus
       verbreiten. Offenbar auch vermittels früherer österreichischer
       Bundeskanzler.
       
       29 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.sn.at/festspiele/salzburger-festspiele/gin-tonic-und-schinkenfleckerl-ex-oevp-kanzler-sebastian-kurz-feierte-im-cafe-bazar-142699192
   DIR [2] https://exxpress.at/balazs-orban-im-exxpress-interview-eu-will-die-asylgesetze-nicht-aendern/
   DIR [3] https://www.nytimes.com/2021/06/28/world/europe/hungary-orban-university.html
   DIR [4] https://www.derstandard.at/story/3000000030783/orbanismus-am-kahlenberg-wie-eine-wiener-uni-an-das-ungarische-regime-geraet
       
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   DIR Florian Bayer
       
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