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       # taz.de -- Sexismus im Schach: Damen bedrängt
       
       > Spielerinnen wehren sich gegen Diskriminierung und Anzüglichkeiten. Und
       > der Weltverband? Schließt trans Spielerinnen von Frauenturnieren aus.
       
   IMG Bild: Der Schachsport ist männlich geprägt, der König wird bis zum Schluss verteidigt
       
       Als der Weltschachverband am Montag vor einer Woche eine Erklärung zum
       Umgang mit trans*-Personen veröffentlichte, war die Empörung bei vielen
       Menschen in der Schachwelt groß. Der internationale Schachverband Fide
       verkündete darin, dass ab dem 21. August Personen, die ihr Geschlecht in
       ihrer Fide-ID von männlich zu weiblich geändert haben, bis auf Weiteres von
       der Teilnahme an reinen Frauenwettbewerben ausgeschlossen werden.
       
       Es solle eine weitere Untersuchung zu dem Thema stattfinden, bevor ein
       Fide-Komitee eine abschließende Entscheidung über das weitere Vorgehen
       treffen könne. An den offenen Turnieren, bei denen auch Männern mitspielen,
       dürfe natürlich weiter teilgenommen werden. Somit unterstellt der
       Weltverband seinen Spielerinnen, dass sie von Natur aus gegenüber Männern
       benachteiligt seien. Und dies gerade in einem Sport, in dem der gemeinsame
       [1][Wettbewerb] zwischen den Geschlechtern seit Langem [2][praktiziert]
       wird.
       
       Dieser obskure Beschluss kam genau zu einer Zeit, als Schach bereits von
       einer [3][MeToo-Welle] erfasst wurde. Ins Rollen gebracht wurde die Welle
       durch die US-amerikanische Großmeisterin Jennifer Shahade.
       
       Shahade, die sich international auch als Kommentatorin einen Namen gemacht
       hat, twitterte unter dem Titel „Die Zeit ist um“ Mitte Februar einen
       längeren Text. Darin beschuldigte sie ihren Kommentatorenkollegen und
       Großmeister Alejandro Ramírez, sie zweimal sexuell attackiert zu haben. Die
       Vorfälle lägen bereits elf und neun Jahre zurück, aber es sei nun an der
       Zeit, sie öffentlich zu machen, denn es gebe alarmierende Zeichen, dass
       diese Übergriffe durch ihn immer noch stattfänden und seine Opfer nun
       wesentlich jünger seien.
       
       ## Vorwürfe gegen Großmeister
       
       Shahade bekam nur fünf Minuten nach ihrem Tweet bereits die Nachricht einer
       Frau, die mit Ramírez Ähnliches erlebt hatte. Es war eine Recherche des
       Wall Street Journal, mit dem die Vorwürfe dann eine breitere Öffentlichkeit
       erreichten. Insgesamt acht Frauen sprachen mit der Zeitung und schilderten
       das, was ihnen angetan wurde. Drei davon waren zum Zeitpunkt von Ramirez’
       Attacken noch minderjährig.
       
       Laut Wall Street Journal ließen sich die Vorwürfe gegen ihn bis ins Jahr
       2011 zurückverfolgen, ebenso wies das Wall Street Journal nach, dass sowohl
       der Saint Louis Chess Club als auch der US-Verband (USCF) bereits 2016 und
       2017 von den Anschuldigungen gehört haben mussten, jedoch spätestens 2021
       umfangreich über die Vorwürfe informiert gewesen sind. Trotzdem durfte er
       weiter Mädchen trainieren und sie auf Turniere begleiten.
       
       Ramirez war nicht nur als Kommentator beim Saint Louis Chess Club (SLCC)
       und dessen Weltklasseturnieren im Einsatz, er arbeitete über ein Jahrzehnt
       auch als Trainer im Jugendbereich und coachte sogar im Jahr 2022 noch das
       Frauenteam der USA bei einer Schacholympiade.
       
       Der Schachserver Lichess machte am 16. August öffentlich, dass sowohl die
       USCF als auch der SLCC von Vorwürfen gegen einen weiteren Spieler,
       Großmeister Timur Gareyev, wussten und untätig blieben. Lichess hat als
       Konsequenz daraus die Kooperation mit dem US-Verband und SLCC sofort
       beendet. Die weltgrößte Seite chess.com zog kurz darauf nach.
       
       Das zentrale Dokument der MeToo-Bewegung im Schach ist der Anfang August
       von 14 französischen Schachspielerinnen verfasste Aufruf: „We, women chess
       players“. Darin enthalten ist der Satz: „Wir, Schachspielerinnen,
       Trainerinnen, Schiedsrichterinnen und Managerinnen, haben sexistische oder
       sexuelle Gewalt durch Schachspieler, Trainer, Schiedsrichter oder Manager
       erlebt.“ Mittlerweile haben über 100 Spielerinnen diese Erklärung
       unterzeichnet.
       
       Eine davon ist Eva Biebinger (34), die im Gespräch mit der taz
       verschiedenste Beispiele aus ihrer langjährigen Zeit als Schachspielerin
       benennen kann. „Es geht schon los bei der Grundhaltung, die im Schach
       vorherrscht. Meine Gegner bekamen ganz oft den Satz zu hören: ‚Gegen das
       Mädchen gewinnst du ja wohl‘ “, so die ehemalige Zweitligaspielerin.
       
       Auch bei der Preisgestaltung bei Turnieren bekomme man immer das Gefühl,
       Spieler:in zweiter Klasse zu sein. „Es ist meistens so, dass der Preis
       für Spielstärkegruppen höher ist als der Frauenpreis. Und wenn du als Frau
       deine Spielstärkengruppe gewonnen hast, bekamst du trotzdem den
       Frauenpreis. Bei einem Turnier wurden unter allen Teilnehmer:innen
       Einkaufsgutscheine verlost,“ ergänzt sie, „für die Männer gab es diese für
       Super- und Elektromärkte, die Frauen bekamen ihre für Babyläden und
       Parfümerien.“
       
       ## Wangenkuss, Umarmung und Parfümerie-Gutschein
       
       Und während Männern bei der Siegerehrung die Hand geschüttelt wird,
       bekommen Frauen häufig eine Umarmung oder gar einen Wangenkuss aufgedrückt.
       Auch verbale Übergriffigkeiten gab es bei Turnieren immer wieder. Sätze wie
       „Nach der Partie gehen wir aber zusammen noch was trinken“ oder „Das knappe
       Höschen heute gefällt mir gut“ bekam sie von ihren Gegnern zu hören.
       
       Viel zu oft würden Frauen als Freiwild angesehen, vor allem wenn der
       Partner kein Schachspieler sei. Ihr sei ebenfalls bekannt, dass es in
       Gesprächen unter Schachspielern längst nicht nur hinter vorgehaltener Hand
       oft darum gehe, wie „knallbar“ eine Spielerin sei und ob und wenn ja, mit
       wem aus dem Verein diejenige bereits im Bett gewesen sei.
       
       Auch deshalb war Biebinger erleichtert über den Aufruf der französischen
       Kolleginnen. „Ich war froh, dass endlich etwas passiert, etwas in Bewegung
       kommt.“ Schließlich müsse sie trotz all der Vorfälle sagen, „dass ich
       sowohl in der Jugend durch die dortigen Betreuer und Trainer, als auch
       später durch den Freundeskreis im Schach sehr geschützt war“.
       
       Was das Schach brauche, seien Gleichstellung und Gleichberechtigung. „Es
       muss aufhören, dass Frauen dargestellt werden, als seien sie schwächer.“
       Und es brauche Männer, die den Mund aufmachen. „Es ist wichtig, dass Männer
       ihren Vereinskollegen klar Grenzen setzen und sagen, was nicht geht.“
       
       ## Lieber aufhören mit dem Sport
       
       Für sie selbst, die mittlerweile wegen der Atmosphäre und Grundstimmung mit
       dem Schach aufgehört habe, sei es für die geforderten Veränderungen zu
       spät, aber „nur durch Veränderungen kann es besser werden für alle, die
       nach mir kommen.“ Ihre eigene Tochter würde sie in den Schachklub gehen
       lassen, „aber ich würde sie stärker beobachten und auf sie einwirken, als
       es meine Eltern getan haben“.
       
       Der Deutsche Schachbund reagierte auf den offenen Brief mit einer
       Erklärung, einen Kontakt mit den Unterzeichnerinnen gab es bis heute nicht.
       Dieses Schweigen ist für Biebinger aber nicht neu. Als ihr damaliger Verein
       ein Frauenturnier auf der Ausschreibung mit Nagellack und Lippenstift
       bewarb, schrieb sie an den gesamten Vorstand. Statt einer Reaktion erhielt
       sie nur Ignoranz und Ablehnung.
       
       Mittlerweile verbringe sie einen Großteil ihrer Freizeit bei der
       Freiwilligen Feuerwehr. „Vorfälle wie im Schach sind mir dort in all der
       Zeit noch nie passiert.“
       
       27 Aug 2023
       
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