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       # taz.de -- Nach Vergewaltigungsfällen in Italien: Hetze auch vom Ehemann
       
       > Wer nicht trinkt, wird auch nicht vergewaltigt: Das rät TV-Moderator
       > Andrea Giambruno und Partner von Premier Meloni Frauen.
       
   IMG Bild: Andrea Giambruno und Giorgia Meloni nüchtern unterwegs
       
       „Ich liebe es nicht, im Scheinwerferlicht zu stehen“, behauptete der
       italienische TV-Journalist Andrea Giambruno noch vor einigen Jahren in
       einem Interview. Doch in den letzten Tagen findet sich der 41-Jährige hell
       ausgeleuchtet, womöglich allzu hell. Und das nicht bloß, weil er der
       Lebensgefährte der [1][Ministerpräsidentin Giorgia Meloni] ist, sondern vor
       allem, weil er mit mehr als diskutablen Thesen zu einem Vergewaltigungsfall
       in Palermo auffiel, der gegenwärtig das ganze Land beschäftigt.
       
       Im Viertel Vucciria, einer der Partymeilen der sizilianischen Hauptstadt,
       hatten in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli sieben junge Männer eine
       19-Jährige zunächst gezielt betrunken gemacht, um sie dann, ihrer Sinne
       kaum noch mächtig, in ein verlassenes Eck zu schleppen und sie dort
       gemeinsam zu vergewaltigen, während einer von ihnen die ganze Zeit das
       Geschehen mit seinem Smartphone filmte. „Lass sie ordentlich trinken, an
       den Rest denken wir dann“, sollen die Täter laut den Ermittlern dem
       Barkeeper gesagt haben.
       
       Schwer belastet werden die sieben durch den Chatverlauf zwischen ihnen. Sie
       alle sitzen mittlerweile in U-Haft, streiten aber die Tat ab mit dem
       Argument, ihr Opfer habe bloß einverständlichen Sex mit ihnen gehabt, und
       da konnten sie einfach nicht nein sagen. „Das Fleisch ist eben Fleisch“,
       schreibt einer von ihnen im Chat seinen Freunden. Zugleich finden sich
       Zeilen, die keinen Zweifel am Geschehen lassen: „Sie wollte nicht, sie
       sagte ‚nein, basta‘ “, oder auch „wir waren 100 Hunde gegenüber einer
       Katze, eine Sache, die ich nur in Pornovideos gesehen habe, das war eine
       Massenvergewaltigung“.
       
       Um [2][Massenvergewaltigung] handelte es sich auch bei dem zweiten,
       ebenfalls jetzt bekannt gewordenen Fall. In dem Städtchen Caivano bei
       Neapel hatte eine Gruppe von mindestens 15 Jungen, die ältesten 19 Jahre
       alt, die jüngsten nicht einmal strafmündig, weil jünger als 14, immer
       wieder zwei 10 und 12 Jahre alte Cousinen vergewaltigt.
       
       ## Klassische Täter-Opfer-Umkehr
       
       Für Meloni-Partner Giambruno war das am vergangenen Montag ein guter Grund,
       sich in seinem täglichen Info-Programm „Diario del giorno“ („Das Tagebuch
       von heute“) der Thematik zu widmen unter dem Titel: „Die Horde vergewaltigt
       – ein gesellschaftlicher Notstand?“ Und er war sofort mit guten Ratschlägen
       bei der Hand, nicht etwa für die Männer, sondern für die Frauen: „Wenn du
       tanzen gehst, hast du gewiss jedes Recht, dich zu betrinken. Aber wenn du
       es vermeidest, dich zu betrinken und so die Kontrolle zu verlieren,
       vermeidest du auch, mit gewissen Problemen konfrontiert zu sein und den
       Wolf zu treffen.“
       
       Mit dem auch von Giambruno zunächst auch Frauen generös zugestandenen Recht
       auf Rausch ist es also genau besehen nicht weit her – am Ende liegt es
       wieder einmal an ihnen, Vorsorge zu treffen, damit sie dem „Wolf“ nicht zur
       Beute werden, nah an der Logik der Täter von Palermo, wonach „das Fleisch
       eben Fleisch“ ist. Und auch die Anwälte der Täter sind angeblich schon
       entsprechend unterwegs. Wie es heißt, wollen sie den Lebenswandel des
       Opfers in den Mittelpunkt ihrer Verteidigungsstrategie stellen.
       
       Aus den Reihen der Oppositionsparteien kamen sofort heftige Reaktionen.
       „[3][Victim blaming] im Reinzustand“, konstatierte Chiara Gribaudo von der
       gemäßigt linken Partito Democratico, „er vergisst, den Männern, den einzig
       Schuldigen, zu sagen, dass sie es lassen sollen, zu vergewaltigen.“ Ihr
       Fazit: Giambruno sei „widerlich, beleidigend, seiner Rolle nicht
       gewachsen“.
       
       Gribaudos Parteikollegin Chiara Braga dagegen wandte sich direkt an die
       Ministerpräsidentin: „Meloni sollte zu diesen Worten auf Distanz gehen, die
       nahelegen, dass es bisweilen auch ‚Schuld‘ der Frauen ist, das ist
       inakzeptabel“. Und die Vizefraktionsvorsitzende der Fünf Sterne im
       Abgeordnetenhaus, Vittoria Baldino, hat guten Rat für Meloni: „Wenn ich an
       Ihrer Stelle wäre, würde ich meinem Lebensgefährten raten, sich zu
       entschuldigen“, damit gar nicht erst der Verdacht aufkomme, seine Worte
       stünden „für den Geist der Familie der Frau, die das Land anführt“.
       
       Doch Meloni schweigt vorerst eisern, womöglich auch, weil Giambruno „zu
       Hause nie“ über seine Sendung spricht, wie er vor Kurzem bekundete.
       Giambruno dagegen schob eine Erklärung nach, die allerdings von einer
       Entschuldigung weit entfernt ist. „Surreal“ sei die Polemik gegen ihn,
       befindet der Journalist, er habe doch die Tat „nicht gerechtfertigt“,
       sondern sie als „abscheulich“ bezeichnet. Mehr, so scheint er sagen zu
       wollen, kann man wirklich nicht von ihm verlangen, auch wenn es nur ein
       gerader Gedanke zur Rolle von Frauen und Männern bei Vergewaltigungen wäre.
       
       31 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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