URI: 
       # taz.de -- Gerichtsentscheid zu Tod einer Schülerin: Vor der Fahrt nach Krankheit fragen
       
       > Eine Schülerin mit Diabetes stirbt 2019 auf einer Klassenfahrt in London.
       > Nun müssen die mitreisenden Lehrkräfte mit einer Anklage rechnen.
       
   IMG Bild: Bei einem Kind wird der Blutzuckergehalt gemessen
       
       Freiburg taz | Lehrerinnen und Lehrer, die eine Studienfahrt organisieren,
       müssen sich im Vorfeld aktiv über gesundheitliche Beeinträchtigungen der
       Schüler:innen informieren. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG)
       Düsseldorf im tragischen Fall einer diabeteserkrankten Schülerin
       entschieden, die auf einer Studienfahrt in London starb. Die
       verantwortlichen Lehrerinnen müssen mit einer Verurteilung wegen
       fahrlässiger Tötung rechnen.
       
       Die 13-jährige Emily war seit ihrem 7. Lebensjahr an [1][Diabetes Typ 1]
       erkrankt. Im Sommer 2019 organisierte ihre Schule eine
       jahrgangsübergreifende Studienfahrt nach London, an der 60 Schüler:innen
       teilnahmen. Emily musste sich gleich am ersten Abend nach dem Besuch eines
       asiatischen Restaurants übergeben. Auch am Folgetag ging es ihr nicht
       besser. Sie übergab sich weiter und wurde immer schwächer.
       
       Die Mitschüler:innen machten die aufsichtsführenden Lehrer:innen auf
       Emilys Zustand aufmerksam, doch diese riefen erst am dritten Tag einen
       Arzt. Mit extrem überhöhten Zuckerwerten wurde Emily sofort in ein Londoner
       Krankenhaus gebracht. Dort stabilisierte sie sich zunächst, starb dann aber
       am vierten Tag der Reise an einem Herzinfarkt.
       
       Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach ermittelte zunächst gegen vier
       mitreisende Lehrer:innen, stellte das Verfahren jedoch wieder ein. Die
       Lehrkräfte, die Emily nicht aus dem Unterricht kannten, hätten nichts von
       ihrer Diabeteserkrankung gewusst. Emilys Vater ließ aber nicht locker und
       erwirkte ein neues Ermittlungsverfahren gegen zwei Lehrerinnen, die auch
       für die Organisation der Reise verantwortlich waren.
       
       ## Prozess beginnt wohl im Januar
       
       Im März 2022 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger
       Tötung. Doch im Februar 2023 lehnte das Landgericht Mönchengladbach die
       Anklage ab. Die Lehrkräfte hätten als medizinische Laiinnen auch bei
       Kenntnis von Emilys Diabetes nicht erkennen müssen, dass eine
       Krankenhausbehandlung des Mädchens erforderlich ist. Auf Fehler bei der
       Vorbereitung der Reise komme es deshalb gar nicht an.
       
       Eine neue Wende nahm der Fall Ende Juni. Nun ließ das Oberlandesgericht
       Düsseldorf die Anklage gegen die Lehrerinnen doch zu. Eine Verurteilung
       wegen fahrlässiger Tötung sei wahrscheinlich. Inzwischen ist die
       Entscheidung des OLG veröffentlicht (Az.: 4 WS 73/23). Aus ihr ergeben sich
       Maßstäbe, die für Schulen und Lehrkräfte auch jenseits des Einzelfalls
       relevant sind. Danach muss die Schule dafür sorgen, dass die
       aufsichtsführenden Lehrer:innen auf einer Studienfahrt mit den nötigen
       Informationen versorgt werden.
       
       Wenn die Organisation der Fahrt auf einzelne Lehrer:innen delegiert
       wird, müssen sich diese die Informationen aktiv besorgen. Am sichersten
       wäre es nach Ansicht des OLG gewesen, wenn die Eltern schriftlich nach
       gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Kinder gefragt worden wären.
       
       Es war nicht ausreichend, so das OLG, die Schüler:innen bei einer
       Infoveranstaltung zur Klassenfahrt nach gesundheitlichen Problemen zu
       fragen. Zum einen war die Teilnahme an der Veranstaltung freiwillig, zum
       anderen konnte nicht erwartet werden, dass Schüler:innen dort vor
       anderen über gesundheitliche Probleme sprechen.
       
       Die Kausalität der Pflichtverletzung für Emilys Tod sah das Gericht
       jedenfalls gegeben. Hätten die Lehrerinnen rechtzeitig von Emilys Diabetes
       gewusst, hätten sie sich mit der Krankheit beschäftigen und die
       Krankheitszeichen deuten können. Wenn Emily spätestens am Abend des zweiten
       Tages von einem Arzt untersucht worden wäre, hätte sie mit „mit an
       Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ gerettet werden können.
       
       Das OLG räumt ein, dass es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände
       handelt. Dies müsse dann das Landgericht Mönchengladbach bei der Höhe der
       Strafe berücksichtigen. Der Strafrahmen bei fahrlässiger Tötung reicht von
       einer Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Der Prozess
       beginnt am 17. Januar nächsten Jahres.
       
       8 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Leben-mit-Diabetes-Typ-1/!5815482
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
       ## TAGS
       
   DIR Gerichtsentscheid
   DIR Klassenfahrt
   DIR fahrlässige Tötung
   DIR Nancy Faeser
   DIR Indymedia
   DIR Carsten Linnemann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Faesers Pläne gegen sogenannte Clans: Verurteilung nicht erforderlich
       
       Innenministerin Faeser will die Ausweisung sogenannter Clan-Krimineller
       erleichtern. Anders als Medien berichten, genügt Verwandtschaft dafür
       nicht.
       
   DIR Durchsuchungen bei Aktivist*innen: Archiv soll strafbar sein
       
       Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat neue Ermittlungen wegen der verbotenen
       Plattform Linksunten.indymedia eingeleitet.
       
   DIR Schnellverfahren nach dem Freibad: Lektion in Gewaltenteilung
       
       CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fiel diese Woche mit der Forderung
       auf, Freibad-Randalier noch am Tag der Randale zu verurteilen. Geht das?