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       # taz.de -- Belästigung bei der Wohnungssuche: Dickpic statt WG-Zimmer
       
       > Männer nutzen die Wohnungsknappheit aus und belästigen online Frauen auf
       > Zimmer-Suche. Das geht von Drohungen bis hin zu Masturbations-Videos.
       
   IMG Bild: Es hilft, bei der WG-Suche persönliche Daten zu teilen. Doch geraten sie oft in falsche Hände
       
       Berlin taz | „Er wollte einfach nicht verstehen, dass ich kein Interesse
       habe“, sagt Celine Vogt über einen Mann, mit dem sie eigentlich nur wegen
       eines [1][freien WG-Zimmers] in Kontakt stand. Sie heißt anders, möchte
       hier aber anonym bleiben, um sich vor möglichen weiteren unangenehmen
       Erfahrungen zu schützen.
       
       Sie und weitere Frauen berichten der taz von übergriffigen Männern bei der
       Plattform WG-Gesucht. Einige der Handlungen sind strafbar, andere nicht.
       Sie alle zeigen: Männer nutzen ihre Macht und [2][den angespannten
       Wohnungsmarkt] aus, um Frauen zu belästigen.
       
       Drei Jahre ist es nun schon her, dass Vogt als Studentin nach [3][einem
       bezahlbaren Zimmer] suchte. In Berlin ist das bekanntlich ein
       Mammutprojekt. Bei WG-Gesucht stößt sie auf ein Inserat von Flávio Haas.
       Auch er heißt eigentlich anders. Die beiden tauschen Handynummern aus, zu
       einer Besichtigung kommt es trotzdem nicht, weil Vogt kurz darauf ins
       Ausland geht.
       
       Ein Dreivierteljahr später: Haas meldet sich bei Vogt via WhatsApp. Er
       macht ihr Komplimente zu ihrem Profilfoto und fragt nach einem Date. Da sie
       den Chatverlauf und seine Nummer gelöscht hat, erkennt sie ihn nicht
       wieder. Vogt lehnt ab. Haas ist beleidigt, „,einfach so' ist kein
       intelligenter Beweggrund“, schreibt er und will wissen, wieso sie kein
       Interesse hat. Ihr wiederholtes „Nein“ reicht ihm nicht. Screenshots dieser
       WhatsApp-Nachrichten liegen der taz vor.
       
       ## Drohungen nach Abfuhr
       
       Ein Jahr später ist Vogt wieder auf der Suche nach einem WG-Zimmer. Haas’
       Zimmerangebot ist zu dem Zeitpunkt wieder oder noch immer online. Vogt
       schreibt ihn wieder an, nicht wissend allerdings, dass es sich um Haas
       handelt. Sie tauschen Nummern aus – woraufhin beide feststellen, dass sie
       sich „kennen“. Haas schreibt ihr, dass sie keine guten Karten für das
       Zimmer habe. Sie habe damals ja kein Interesse an ihm gezeigt: „naja Körbe
       ohne grund, ist mittlerweile vlt leider normal aber nett ist es trotzdem
       nicht.“
       
       Später droht er ihr, dass sie ihren Mund nicht zu weit aufmachen solle. Er
       sei schließlich der Einzige, der sie „vom obdachlos sein retten kann“. Auf
       Nachfrage der taz sagt Haas am Telefon dazu lediglich, dass er es in
       Ordnung fände, nach den Gründen zu fragen, wenn eine Frau ihn ablehne.
       
       Vogts Fall ist nur ein Beispiel dafür, was für unangenehme Erfahrungen
       Frauen bei der WG-Suche machen. Ihre Nummern werden für Dating-Anfragen
       missbraucht, ihr Aussehen und ihre Gesuche werden (sexistisch) kommentiert,
       andere bekommen ungefragt Dickpics zugeschickt.
       
       Bei WG-Gesucht ist das Problem bekannt. „Manche Menschen nutzen leider die
       Anonymität des Internets, um unangemessene Nachrichten zu senden“, sagt
       Annegret Mülbaier von dem Portal. Solche Nachrichten können von Betroffenen
       gemeldet werden, im Extremfall wird der Nutzer von der Plattform blockiert
       oder gar gelöscht. An einem Tag können gut 200 Accounts von der
       Qualitätssicherung gelöscht werden, die meisten davon werden wegen
       versuchten Kautionsbetrugs entfernt. Bei Anrufen tun sich
       Vermittlungsplattformen hingegen schwer einzugreifen, da es außerhalb ihres
       kontrollierbaren Raums stattfindet.
       
       ## Unangemessene Fragen
       
       Auch Katharina Mayer hat bei WG-Gesucht schlechte Erfahrungen gemacht. Als
       Erstsemesterin suchte sie ein WG-Zimmer in Berlin und stellte ein Gesuch
       online. Für gewöhnlich besteht ein Gesuch aus Fotos, Kontaktdaten und einer
       Personenbeschreibung, inklusive Hobbys und Putzverhalten.
       
       Auf Mayers Gesuch meldet sich ein Mann telefonisch bei ihr – dass die
       Kosten für das Zimmer über Mayers Budget liegen, interessiert ihn nicht.
       „250 Euro, das kriegen wir schon irgendwie hin“, sagte er. Mayer wurde
       misstrauisch und der Mann fragte weiter: wie sie zu Massagen stehe. „Ich
       fand die Frage komisch, aber war sehr naiv. ‚Mein Freund und ich massieren
       uns schon gern‘, hab ich dann gesagt.“ Daraufhin fragt der Mann sie nach
       ihrer Körpergröße und dem Gewicht. Mayers Antwort befriedigte ihn. Diese
       seien schließlich „Wie bei der anderen Mitbewohnerin.“ 
       
       Später bekam auch Mayer im Zuge ihrer Zimmersuche einen unangenehmen Anruf.
       Mitten in der Nacht habe sie ein Mann angerufen. Er soll gesagt haben:
       „Meine Mitbewohnerin bläst mir gerade einen. Und ich gucke mir dabei dein
       Bild an.“ Mayer legte sofort auf. Wer der Anrufer war, weiß sie bis heute
       nicht. „Es ist schon nicht so cool, was man mitmachen muss, vor allem als
       unter 20-Jährige.“ Zur Polizei sei sie damals nicht gegangen, erklärt
       Mayer: „Ich habe daraus nachträglich einen Witz gemacht.“ Heute würde sie
       anders damit umgehen.
       
       ## Betroffene wehren sich
       
       Ähnlich erging es der 25-jährigen Melanie H., die in München nach einer WG
       suchte. Sie habe abends über Facetime einen Anruf bekommen. Die Kamera sei
       zunächst schwarz gewesen, dann habe der Anrufer nach H.s Namen gefragt.
       „Dann habe ich gesehen, wie ein Mann masturbiert. Ohne Gesicht, einfach nur
       das Geschlechtsteil.“
       
       Sie legt auf, blockiert die Nummer. Im Nachhinein empfindet H. ihr Handeln
       als voreilig, da sie den Mann hätte anzeigen können. Dass der Anrufer die
       Nummer über WG-Gesuch hatte, hält H. für sehr wahrscheinlich. „Ich hatte
       kurz vorher ein Gesuch erstellt, mit meiner Nummer drinnen, das macht es
       Leuten einfacher, wenn sie Interesse haben, Kontakt mit mir aufzunehmen“,
       sagt sie. Sonst habe sie ihre Nummer nirgendwo veröffentlicht. 
       
       Nach einer solchen Tat sind viele Menschen ratlos und wissen nicht, wie
       sie damit umgehen sollen, erklärt Wanda Valenta von HateAid, einer
       Plattform, die sich gegen digitale Gewalt einsetzt. Valenta sagt, dass man
       ein solches Telefonat auch zur Anzeige bringen kann. Dies könne für
       Betroffene empowernd wirken, denn auch bei unterdrückten Nummern kann
       Anzeige gegen Unbekannt erstattet werden. Zudem wird jede angezeigte
       digitale Gewalt in der Statistik aufgegriffen. Das Problem bei WG-Suchen
       sei die Abhängigkeit, in der man sich befindet, sagt Valenta: „Menschen tun
       Dinge, die sie nicht gern tun – angefangen beim Zahlen von zu hohen
       Mieten.“
       
       Auch die Veröffentlichung der privaten Handynummer gehört dazu, die
       übergriffige Telefonate erst ermöglicht. „Bei Anrufen zu späten Zeiten
       würde ich mir überlegen, ob ich da wirklich rangehen muss“, rät Valenta. Um
       ungewollte Anrufe zu vermeiden, schlägt sie vor, sich für die WG-Suche eine
       zweite Handynummer anzulegen. Wenn trotzdem Übergriffe am Telefon
       passieren, sollen Betroffene ihrem Bauchgefühl folgen und zum Beispiel
       auflegen, sagt sie und ergänzt: „Ich würde niemals rumdiskutieren. Jemand,
       der sexualisierte Gewalt ausübt, ist nicht daran interessiert, in einen
       sachlichen Austausch zu gehen oder sein Verhalten in dem Moment infrage zu
       stellen.“
       
       Laut WG-Gesucht wehren sich immer mehr Betroffene gegen unangemessene
       Angebote und Kommentare. Dass das missbräuchliche Verhalten jedoch einfach
       aufhört, ist unwahrscheinlich. In Zeiten von Wohnungsnot und teuren Mieten
       wird die Abhängigkeit nur noch größer.
       
       2 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Shoko Bethke
       
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