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       # taz.de -- Isa Genzken in der Neuen Nationalgalerie: Der Wind hat gedreht
       
       > Die Neue Nationalgalerie Berlin widmet Isa Genzken eine Einzelschau. Der
       > Reformstau bei der Preußenstiftung hat mit ihrer Oberflächlichkeit zu
       > tun.
       
   IMG Bild: Die Plastik „Nofretete – Das Original“ (2012) von Isa Genzken in der Neuen Nationalgalerie
       
       Es war eine überfällige Entscheidung, Isa Genzken für diesen Berliner
       Sommer die Geburtstagsschau „75/75“ in der Neuen Nationalgalerie zu widmen.
       Zu lange war das Programm der Neuen Nationalgalerie auf alte, malende
       Männer gebucht, blind für die Realitäten von globaler und vielfältig
       gewordener Gegenwartskunst. Bevor sie für Jahre wegen Sanierung geschlossen
       war, gaben darin Deutschkunstklassiker von anno dazumal den Ton an: Otto
       Piene, Karl Otto Götz und, natürlich, [1][Gerhard Richter].
       
       Mit Klaus Biesenbach, [2][seit 2022 Direktor der Neuen Nationalgalerie],
       hat sich der Wind gedreht. Und die nun zu sehende, umfassende Retrospektive
       zu Genzkens skulpturalem Werk ist ein echter Hingucker. Mit ihrer
       wiederaufgelegten Riesen-„Rose“ von 1993 vor Mies van der Rohes strengem
       Stahl-und-Glas-Tempel kommt die Schau ohne installativen Budenzauber aus.
       
       Trotz der kuratorisch sinnfreien Idee, die im November passgenau zum
       Ausstellungsende erreichten 75 Lebensjahre der Künstlerin mit ebenso vielen
       Arbeiten zu verrechnen, ist „Isa Genzken. 75/75“ schlüssig. Denn in der
       gläsernen Halle der Nationalgalerie wird besonders deutlich, wie sehr
       Architektur ein Beispiel für das Lebensthema der 1948 in Bad Oldesloe
       geborenen Künstlerin ist: das dauerproblematische Verhältnis zwischen
       Mensch, Maß und Unmaß. Ihre teils vertrackt gesockelten, teils nackt auf
       dem Boden ausliegenden Objekte funktionieren konsequent nach ihren eigenen
       Maßstäben.
       
       ## Funde aus der Konsumwelt
       
       In den letzten zwei Jahrzehnten ist Genzkens Werk einerseits bunter,
       verspielter, zum anderen aber auch prekär, ja morbide geworden. Funde aus
       der Waren- und Konsumwelt dominieren. Mit kalkulierter Grobheit behandelt
       Genzken ihre Sonnenschirme, Gips-Nofreteten, Flugzeugfenster, Rollstühle
       und Schaufensterpuppen.
       
       Wie die mit Schutzmaske und Sonnenbrille angetanen „Schauspieler“ von
       2014/2015, mit Klebeband oder Neonfarbe. Sie knüpft das Spektakel an einen
       Realismus, der im besten Sinne „asozial“ zu nennen wäre. Damit kontrastiert
       die einst mit Hilfe eines Computerfachmanns perfektionierte Abstraktion
       ihrer frühen „Ellipsoide“ und „Hyperboloide“. Ihre in Beton abgegossenen
       Radiogeräte der 1980er Jahre sind wiederum eine Synthese aus US-Minimal-Art
       und Düsseldorfer Post-Wirtschaftswunder-Punk.
       
       ## Über Spannweite scrollen
       
       In der Halle der Neuen Nationalgalerie reihen sich jetzt die 75 Arbeiten
       chronologisch von den 1970ern bis in jüngste Zeit auf. Man kann so über die
       Spannweite von Genzkens Skulpturen, Objekten und Modellen hinwegscrollen.
       Doch begradigt der Rundgang das Œuvre zu einer linearen
       Entwicklungserzählung im Genre „Skulptur“. Was aber haben die beunruhigend
       coolen „Ellipsoiden“ von 1977 mit einem unbetitelten, am Boden abgelegten
       Haufen Zeitschriften von 2018 zu tun?
       
       Wo das Begleitheft angibt, dass Genzken „weithin für ihren bedeutenden und
       richtungsweisenden Beitrag zur Skulptur bekannt“ ist, weiß es auch, dass
       „Fotografie, Malerei, Collage, Film“ eine ebenso wichtige Rolle spielen.
       Warum ist davon nichts in der von Biesenbach und seiner Assistentin Lisa
       Botti kuratierten Schau zu finden? Und auch nicht davon, welch wichtige
       Rolle für Genzken „Ausstellung“ selbst als künstlerisches Medium gespielt
       hat, in dem sie die widerstreitenden Stränge ihrer Arbeit miteinander
       verflocht?
       
       Zu Recht gilt sie als Künstlerin von Weltformat: Das New Yorker MoMA gab
       ihr zu Ehren schon 2013 eine amtliche Retrospektive. Wo aber bleibt der
       Hinweis auf die Hindernisse, auf die auch [3][Genzken gerade als Frau im
       Kunstbetrieb] stieß?
       
       Nun ist Biesenbach nicht gerade für kuratorische Thesenstärke bekannt. Er
       gilt als internationaler Netzwerker und Machertyp. Einem Museum auf
       Sinnsuche tut das aktuell gut. Doch obwohl es unter ihm in der frisch
       sanierten Neuen Nationalgalerie und auch beim [4][umstrittenen
       Museumsneubau nebenan], dem nunmehr „berlin modern“, vorangeht: Das Haus
       untersteht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK).
       
       ## Kern des Problems
       
       Und deren überfällige Reform, von Kulturstaatsministerin Monika Grütters
       (CDU) einst angestoßen und von ihrer Nachfolgerin Claudia Roth (Grüne)
       übernommen, tritt auf der Stelle. Trotz der Missstände, [5][in der
       Gemäldegalerie musste jüngst ein Rembrandt-Bild bei laufendem Betrieb mit
       Plastikfolie verhängt werden]. Es regnet rein. Das Pergamonmuseum wird
       sanierungsbedingt voraussichtlich bis 2037 (!) geschlossen sein. Die vielen
       Wehs verdecken dabei den Kern des Problems.
       
       Denn die Preußenstiftung ist fehlkonstruiert, überverwaltet und
       unterfinanziert. Vom Tisch ist die Empfehlung der einst von Grütters
       eingesetzten Wissenschaftsrat-Experten, den Museums-, Bibliotheks- und
       Archivgiganten in Fachabteilungen aufzuspalten.
       
       Intern herrscht offenbar Reformschwung. Klaus Biesenbach bestätigt auf
       taz-Anfrage, „dass die einzelnen Museen sich mit Pilotprojekten, aber auch
       mit mehr Autonomie in Personal- und Budgethoheit autonomer entwickeln“.
       Wenn es seitens der Stiftung „einen schlüssigen, detaillierten und in die
       Zukunft gerichteten Vorschlag gibt“, ist er überzeugt, „dass aus der
       Politik auch die nötige Unterstützung kommt.“ Am Drücker ist hier die
       Politik – allen voran die Beauftragte für Kunst und Medien, Claudia Roth.
       Sie sitzt dem Stiftungsrat der SPK vor.
       
       ## Abgeschlossene Reform in 2025
       
       Seit dem Grundsatzbeschluss der [6][SPK-Reformkommission vom Dezember
       letzten Jahres] hat sich jedoch nicht viel getan. SPK-Präsident Hermann
       Parzinger betont zwar auf taz-Anfrage die „sehr guten Gespräche“ zwischen
       Stiftung, Bund und Ländern, er nennt sogar ein Zieldatum: Die Reform solle
       2025 „weitgehend“ abgeschlossen sein. Aber das letzte Treffen einer von
       Vertretern aus Politik und Stiftung besetzten „Ad-hoc-AG“ fand, laut einem
       BKM-Sprecher, letztmals Mitte April statt – offenbar ohne Resultate.
       
       Dass sich nach einer Stiftungsratssitzung im Juli „sämtliche Bundesländer
       weiterhin an der Finanzierung der Stiftung beteiligen wollen“, klingt gut,
       aber nicht neu. So wirkt es zu gleichen Teilen heroisch und verloren, wenn
       Klaus Biesenbach jetzt den Ball bei den einzelnen Museen sieht: „Wir müssen
       mit den Innovationen anfangen.“
       
       18 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Hans-Jürgen Hafner
       
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