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       # taz.de -- Ausstellung zu US-Künstler Oscar Tuazon: Aktivismus als Vorschlag
       
       > Der Künstler Oscar Tuazon nimmt Rundkuppelbauten einer
       > US-Aussteigerstätte als Vorbilder für polygonale Pavillons. Sie sind in
       > Bielefeld zu sehen.
       
   IMG Bild: Oscar Tuazons aus Karton gefertigte „Cedar Spring Water School“, 2023
       
       Die Drop City und ihre „hand-built houses“: Um 1960 begann dieses utopische
       Aussteigerprojekt in Colorado, dem Südwesten der USA. Künstler:innen
       erprobten alternative Formen des Zusammenlebens, aber auch neue Bauformen,
       die sich mit vorgefundenem Material oder Ausgemustertem zu behelfen
       wussten.
       
       Das ist recht lang her, bevor Maximen nachhaltigen Bauens, der Achtsamkeit
       gegenüber der Umwelt oder das Re- und Upcycling in Mode kamen.
       Pilgerscharen besuchten den Ort, Kunstkolleg:innen, Hippies, die Medien.
       
       Nach rund zehn Jahren war Schluss, Drop City nur noch eine Geisterstadt aus
       verlassenen Rundkuppelbauten, sogenannten Domes. Diese, im Fachterminus,
       „geodätischen Kuppeln“ waren das Markenzeichen der Drop City, durchaus ein
       starkes Sinnbild ihrer Gemeinschaftsambitionen, aber explizit keine formale
       Attitüde. Sie waren vielmehr kluge statische Minimalkonstruktionen, nutzten
       die auch im militärischen Bauen erprobte Stabilität zweiachsig gekrümmter,
       leichter Stab- oder Flächentragwerke.
       
       Die Drop City inspirierte Nachfolgegemeinschaften, Experimente
       kalifornischer Hochschulen oder eine alternativ bewegte Publikation wie
       „Shelter“, die in den 1970er Jahren eine historische wie globale Genealogie
       vernakulären Selbstbauens lieferte.
       
       ## Anregende Kraft in den Genen
       
       Die anregende Kraft solch einer Lebens- und Baugemeinschaft kann
       offensichtlich auch in die Gene einer nachfolgenden Generation überfließen
       – bestes Beispiel: der Künstler Oscar Tuazon aus Los Angeles. 1975 geboren,
       hat er prägende Kindheitserfahrungen in einem elterlichen Kuppelbau erlebt.
       Fotos dieser mittlerweile heruntergekommenen Experimentalbehausung bilden
       nun die stille Referenzgröße in einer Ausstellung der Kunsthalle Bielefeld,
       die einen Auszug der multiplen Praxis Tuazons aus Bauen, Minimal Art und
       politischem Aktivismus zeigt.
       
       Dieses Finale ist der dritte Teil eines gemeinsamen Vorhabens mit der
       Bergen-Kunsthall und dem Kunstmuseum Winterthur und will unter dem Titel
       „Was wir brauchen“ den Blick auf grundlegende gesellschaftliche wie
       materielle Belange richten.
       
       Seit langen Jahren die erste Einzelausstellung Tuazons in Deutschland, ist
       der Künstler hier dennoch nie aus der öffentlichen Wahrnehmung
       verschwunden: Für [1][die letzte Ausgabe der Skulptur Projekte in Münster]
       schuf er 2017 eine noch existente kreisrunde Feuerstätte als Treffpunkt im
       Niemandsland des Stadthafens.
       
       ## Prozessuales, Raues, Provisorisches
       
       So „monumentalisierte“ er, in seinen Worten, das für ihn neuartige,
       hierzulande omnipräsente sommerliche Grillen im öffentlichen Raum. Unter
       der Aufforderung „Burn the Formwork“ lieferte Tuazon auch gleich das
       initiale Brennmaterial mit: die Schalung der Betonplastik. Stufen,
       Sitzflächen, ein Ausguck und die umschließende Wand animierten schnell die
       örtlichen Sprayer: eine handfeste Inbesitznahme durchaus im Sinne des
       Künstlers, ebenso die Vergänglichkeit, hat diese Stätte doch über kurz oder
       lang einer Überplanung des Areals zu weichen.
       
       Prozessuales, Raues, Provisorisches, die einfach verständliche und zur
       Interaktion auffordernde Form: Das sind die Kernqualitäten der Arbeiten
       Tuazons. Am intensivsten und überzeugendsten kommen sie in neueren
       Projekten zum Tragen – dann, wenn sie die engen Konventionen der Kunst
       verlassen und mehr zu bieten haben als architektonische Skulpturen im Raum.
       
       Tuazons Serie der „Water Schools“ etwa ist mit zwei Exemplaren in Bielefeld
       vertreten, je auf ein Drittel der Originalgröße verkleinert und aus Karton
       statt stabilem Sperrholz gefertigt. Diese Pavillons in polygonaler, in der
       Dimension variabler Zellenstruktur dienen als pädagogische Zentren,
       anwachsende Themenbibliotheken und Versammlungsstätten, selbst in ihrer
       musealen Modellversion.
       
       ## Vorschläge, die misslingen dürfen
       
       Sie wollen vermitteln, welch lebenswichtiges und wertvolles Gut das Wasser
       darstellt, dass es der Allgemeinheit gehört und nicht kommerziellen
       Ausbeutungsinteressen unterworfen werden darf. Indigene Gruppen in den USA
       sehen im Wasser und seinen Quellen gar etwas Heiliges.
       
       Für das „Cedar Spring Project“ stellte sich Tuazon in die Dienste der
       politischen und kulturellen Forderungen des Goshute-Reservats, mit Erfolg:
       Eine geplante Wasserleitung nach Las Vegas scheiterte vor Gericht, wohl
       erstmals floss indigenes Verständnis ökologischer Zusammenhänge in die
       Rechtsprechung ein.
       
       Die Bielefelder Kunsthalle setzt Tuazons Arbeiten, von ihm stets als
       „Proposals“ aufgefasst, also als Vorschläge, die durchaus misslingen
       dürfen, in den Dialog mit Werken ihrer exquisiten Sammlung. Ein Mobile von
       Alexander Calder, ein Table Piece von Anthony Caro, eine monochrome
       Seminole von Richard Serra oder die leuchtend gelbe, mehrteilige Arbeit von
       Charlotte Posenenske: So gelingt ein befeuernder künstlerischer
       Assoziationsraum zu den teils skizzenhaften, grob gefügten Artefakten
       Tuazons. Aber erreicht man so sein tieferes Anliegen?
       
       24 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Skulptur-Projekte-Muenster-2017/!5418304
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Maria Brosowsky
       
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