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       # taz.de -- Kanzler Scholz in Österreich: Streitpunkt russisches Gas
       
       > Trotz guter Laune gibt es politische Differenzen mit Österreich, darunter
       > das Schengen-Nein zu Rumänien und Bulgarien sowie russische
       > Gaslieferungen.
       
   IMG Bild: Trotz Differenzen wird für das Foto gelächelt: Die Kanzler Scholz und Nehammer am 18. August
       
       Wien taz | „Österreich ist nicht nur unser Nachbar, sondern unser Freund
       und Partner. Der kulturelle und gesellschaftliche Austausch so intensiv und
       vielfältig wie mit kaum einem Land“, sagte Kanzler Olaf Scholz bei seinem
       heutigen Österreich-Besuch in Salzburg. Er und sein österreichischer
       Kollegen Karl Nehammer waren sichtlich bemüht, vor der Presse gute Stimmung
       zu verbreiten. Dass es jedoch mehrere strittige Punkte im
       nachbarschaftlichen Verhältnis gibt, konnten die beiden nicht verbergen.
       
       Österreich hatte sich zuletzt mit seinem [1][Nein zum Schengen-Beitritt
       Rumäniens und Bulgariens innerhalb der EU] isoliert. Scholz machte heute
       keinen Hehl daraus, dass Deutschland für einen schnellstmöglich Beitritt
       ist. Nehammer blieb hingegen bei seinem kategorischen Nein, ohne dieses
       präzise zu begründen. Er sprach vom Außengrenzschutz, der dies erfordere
       und verwies auf die „besondere Herausforderung“, die Österreich in puncto
       Migration habe. Überhaupt war Zuwanderung ein Hauptthema. Der Vorwahlkampf
       in Österreich hat unverkennbar und sehr verfrüht begonnen – gewählt wird
       planmäßig im Herbst 2024.
       
       Dem österreichischen Kanzler sei nicht entgangen, dass in Deutschland die
       Zahl der Asylanträge wieder steigen, während sie in Österreich – auch dank
       der „guten Zusammenarbeit mit Ungarn“ – derzeit fielen. „Wir sind eine
       solidarische Gemeinschaft, darum ist uns das nicht gleichgültig, ganz im
       Gegenteil. Deutschland kann sich auf Österreich verlassen“, stellte
       Nehammer in Aussicht. Scholz hatte allerdings nicht den Eindruck erweckt,
       diesbezüglich Hilfe aus Österreich zu wünschen.
       
       ## Haltung gegenüber Russland
       
       Ein für Deutschland viel schwerwiegenderes Thema dürfte Österreichs Haltung
       gegenüber Russland sein. Scholz spielte darauf unmissverständlich an. „Der
       Krieg fordert uns auf, unser Selbstverständnis zu prüfen und zu unbequemen
       Entscheidungen bereit zu sein“, sagte er. Und weiter: „Russland gefährdet
       die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur. Wir müssen uns letztlich
       alle darauf einstellen und die nötigen Konsequenzen ziehen.“
       
       Damit meinte er wohl ein Ende der [2][russischen Gaslieferungen], die immer
       noch rund drei Viertel aller österreichischen Gasimporte ausmachte. Allein
       im Vorjahr zahlte Wien mehr als sieben Milliarden Euro für russisches Gas,
       errechnete das „Neos Lab“, der Thinktank der österreichischen Neoliberalen,
       im Frühjahr. „Und das, obwohl die Mengen wegen der gedrosselten
       Gazprom-Lieferungen deutlich geringer ausgefallen sind“, heißt es.
       
       Nehammer verteidigte die Gasimporte. Österreich sei noch immer von Russland
       abhängig, was die Gazprom etwa durch willkürliche Drosselungen im Vorjahr
       spüren ließ. Das günstige Gas fließt aber wieder in großer Menge,
       mittlerweile seien die Gasspeicher – die den gesamten Jahresbedarf
       Österreichs umfassen – zu 90 Prozent gefüllt, wie Nehammer bei jeder
       Gelegenheit betont.
       
       ## Sicherheitspolitik – kein großes Thema
       
       Doch auch anderthalb Jahre nach dem [3][russischen Angriffskrieg] lässt
       Österreich keine Eile erkennen. Bis 2027 soll Österreich unabhängig von
       russischem Gas werden. Tatsächlich bestehen aber Energielieferverträge bis
       2040, abgeschlossen unter Sebastian Kurz, die die Regierung weder offenlegt
       noch zu kündigen bereit ist.
       
       Die fehlende Diversifizierung begründete Nehammer mit geographisch bedingt
       fehlenden Häfen für LNG-Anlandungen in Österreich. Diesbezüglich hegt er
       aber Hoffnungen auf LNG-Importe aus Deutschland. Derzeit arbeite die
       österreichische Regierung an einer Verbesserung der Konnektivität im
       Pipeline- und Speichersystem. Auch grünen Wasserstoff will Österreich
       künftig aus Deutschland importieren, dies ist aber noch Zukunftsmusik.
       
       Dass Österreich, das sich traditionell auf seine Neutralität bezieht und
       eine Sicherheitsdebatte bis heute vermeidet, dem deutschen „Sky Shield“
       beitritt, begrüßte Scholz ausdrücklich. Ansonsten wurde die
       Sicherheitspolitik nicht thematisiert. Die Grenzkontrollen zwischen
       Deutschland und Österreich spielte Scholz herunter, diese seien aktuell
       eben notwendig. Näher begründet hat er dies nicht.
       
       Überschattet wurde die Pressekonferenz von der [4][Anklage gegen Sebastian
       Kurz], die während des Pressertermins am Vormittag bekannt wurde. Dem
       früheren Kanzler wurde Falschaussage vor dem parlamentarischen
       Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgeworfen. Auf die Anklage gegen seinen
       Vorgänger angesprochen, sagte Nehammer, dass sich damit „endlich die
       Möglichkeit der Aufklärung“ böte. Im Falle einer Verurteilung – es gilt die
       Unschuldsvermutung – drohen Kurz bis zu drei Jahre Haft.
       
       18 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Florian Bayer
       
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