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       # taz.de -- Haushaltsverhandlungen der Regierung: Sparen an der Demokratie
       
       > Die AfD ist stark, und die Ampel will sparen – ausgerechnet dort, wo es
       > um den Zusammenhalt in der Demokratie geht. Drei Beispiele.
       
   IMG Bild: Einige Abgeordnete waren bestimmt auch auf einer der Unteilbar-Demos, hier im Juni 2020 in Berlin
       
       ## Integration
       
       Ob nun Unterstützung im Asylverfahren, beim Ankommen in Deutschland, auf
       dem Weg in den Arbeitsmarkt und an die Uni oder bei der Versorgung
       traumatisierter Kriegsflüchtlinge: Die Bundesregierung will Projekte für
       eingewanderte oder [1][geflüchtete Menschen] drastisch zusammenkürzen.
       
       Dabei geht es um Kürzungen, die das Aus für viele Projekte bedeuten und
       erfolgreiche Integration auf Jahre erschweren könnte. Die
       Mi-grationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) etwa berät bei Fragen
       zu Spracherwerb, Wohnungssuche oder bei der Anerkennung von Abschlüssen.
       Weil der Bedarf so hoch ist, bekam die MBE 2023 eine Rekordsumme von 81,5
       Millionen Euro. Jetzt soll diese Aufstockung nicht nur rückgängig gemacht
       werden, die Summe soll deutlich geringer werden: Nur noch 57,5 Millionen
       Euro soll es 2024 geben, ein Minus von 30 Prozent.
       
       Ähnliches droht den 47 psychosozialen Zentren, eine Anlaufstelle für
       kriegstraumatisierte Geflüchtete. Deren Mittel wollte die Ampel laut
       Koalitionsvertrag verstetigen. Nun sollen sie gekürzt werden: von 17 auf 7
       Millionen Euro. Dabei können die Zentren schon heute nach eigenen Angaben
       nur etwa 4 Prozent der potenziell Behandlungsbedürftigen helfen, und die
       Wartelisten sind lang: Mehr als sieben Monate warten Geflüchtete auf einen
       Therapieplatz. „Die Kürzung würde den Abbruch vieler Therapien für
       Folterüberlebende bedeuten“, warnt Sabrina Hackmann von der
       [2][Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum].
       
       Die Liste lässt sich fortsetzen. Für die Erstorientierungskurse etwa, die
       für das Ankommen Geflüchteter eine fundamentale Rolle spielen, soll es fast
       40 Prozent weniger Geld geben. [3][Komplett gestrichen werden soll die
       „Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule“] (GFH), die junge
       Migrant*innen auf dem Weg in die akademische Bildung begleitet. Schon
       seit August werden keine Geflüchteten mehr in die Förderung aufgenommen, zu
       Ende des Jahres soll das Programm eingestellt werden.
       
       Die Aufzählung ist nicht abschließend. Die [4][Spitzenverbände der Freien
       Wohlfahrtspflege üben scharfe Kritik]: Durch die Kürzungen sehe man die
       „Versorgung und Teilhabe von geflüchteten sowie anderen zugewanderten
       Menschen massiv gestört und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt
       in Gefahr“.
       
       ## Politische Bildung
       
       Eigentlich hatte die Bundesregierung versprochen, Projekte gegen
       Extremismus und für Toleranz zu stärken. Doch anstatt das
       Demokratiefördergesetz wie angekündigt vor dem Sommer zu verabschieden, und
       damit eine langfristige Finanzierung entsprechender Programme, hat die
       Ampel bei der politischen Bildung [5][gekürzt].
       
       Betroffen sind unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, die
       freie Jugendhilfe sowie Freiwilligendienste, die jeweils auf rund ein
       Fünftel ihres Budgets verzichten sollen. Andere Posten sind im
       Haushaltsentwurf ganz gestrichen. Darunter das Programm „Respekt Coaches“,
       das seit 2018 bundesweit an rund 600 Schulen läuft und das das
       Familienministerium in diesem Jahr noch mit 30 Millionen Euro fördert.
       
       Respekt Coaches organisieren Workshops zu Themen wie Diskriminierung oder
       Vielfalt und beraten Schüler:innen und Lehrkräfte bei Konflikten. Das
       Familienministerium selbst stellt ihnen ein gutes Zeugnis aus. „Die
       positiven Bewertungen und die beobachteten Wirkungen sprechen für eine
       Fortführung des Präventionsprogramms“, heißt es [6][in einem Gutachten].
       Nach den Silvesterkrawallen wies Familienministerin Lisa Paus die Respekt
       Coaches im Bundestag noch als „Erfolgsstory“ aus. Eigentlich sollte das
       Programm noch bis mindestens Ende 2024 laufen – nun soll der Bund die
       Finanzierung im Januar komplett einstellen. Die zuständige Staatssekretärin
       Margit Gottstein verweist auf die Möglichkeit, die gewonnene „Expertise“ in
       das geplante „Startchancenprogramm“ für Brennpunktschulen einzubringen.
       
       Von einer „gravierenden Fehlentscheidung“ spricht die Präsidentin des
       Internationalen Bundes (IB), Petra Merkel. Der Bund verliere „fahrlässig“
       ein wesentliches Instrument zur Demokratiebildung. Die Diakonie-Direktorin
       für Berlin und Brandenburg, Ursula Schoen, warnt vor einem
       „Vertrauensbruch“ gegenüber Schüler:innen und Lehrkräften. Mehrere
       Petitionen fordern die Regierung auf, die Respekt Coaches zu erhalten.
       
       Kritik dürfte die Koalition kommende Woche auch im Bundestag hören, wenn
       ihr Haushaltsentwurf beraten wird. Auch viele Parlamentarier:innen
       halten es für ein gefährliches Signal, in Zeiten von AfD-Umfragehochs und
       vermehrten rechtsextremen Vorfällen an Schulen [7][an der Demokratiebildung
       zu sparen].
       
       ## Fake News
       
       Seit Beginn der Pandemie haben sie Konjunktur: falsche Nachrichten über
       Impfschäden, Desinformationskampagnen von Putinversteher:innen, ausgedachte
       Geschichten über die angebliche Strippenzieherei von Politiker:innen. Das
       Ganze gespickt mit einer ordentlichen Ladung Hass in sozialen Medien.
       
       Die Bundesregierung hat die Gefahr aus dem digitalen Raum erkannt,
       eigentlich. Bei ihrer im Juni vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie
       benannte sie Fake News als potenzielle Bedrohung und bezeichnete den Kampf
       gegen Desinformation und Hate Speech als wichtige Instrumente der
       Demokratieförderung. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
       bekräftigt immer wieder diesen Kurs – vor allem im Zusammenhang mit dem
       Ukraine-Krieg. Seit Kriegsbeginn hätten auch Desinformationskampagnen von
       russischer Seite zugenommen.
       
       Trotzdem sollen relevante Initiativen, die Aufklärungs- und Präventivarbeit
       leisten, künftig weniger Geld bekommen oder ganz gestrichen werden. Ein
       Beispiel ist das vom Bundesjustizministerium geförderte Projekt „Firewall“
       der Amadeu-Antonio-Stiftung. Vor allem Expert:innen aus der Sozialarbeit
       wurden darüber gecoacht und ausgebildet, um sich Wissen darüber anzueignen,
       wie man nicht auf Fake News hereinfällt, wie man sich gegen Hass im Netz
       stellt, wie Desinformation begegnet werden kann. Ihre Zielgruppe: Junge
       Menschen bis Mitte zwanzig. Also genau der Personenkreis, der sich laut
       Umfragen am meisten im digitalen Raum aufhält. Weit über die Hälfte gibt
       laut Amadeu-Antonio-Stiftung an, regelmäßig auf Falschinformationen zu
       stoßen. „Firewall“ wird im kommenden Jahr nicht weiter vom Ministerium
       gefördert.
       
       Mit deutlichen finanziellen Einbußen muss auch die Organisation Hate Aid
       rechnen. Sie berät und unterstützt Personen, die von digitaler Gewalt
       betroffen sind. Bereits 2023 musste die Initiative um ihre Förderung aus
       dem Bundesjustizministerium bangen und die finanzielle Unterstützung wurde
       in Frage gestellt. Nur dank eines Beschlusses des Haushaltsausschusses des
       Bundestags konnte die Kürzung noch abgewendet werden. Für 2024 und auch
       2025 sieht es allerdings schlecht aus. Laut Hate Aid handelt es sich um
       Einbußen von rund 600.000 Euro. Ohne die staatliche Förderung können beide
       Projekte nur sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr weitergeführt werden.
       
       2 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gefluechtete-im-deutschen-Arbeitsmarkt/!5946606
   DIR [2] https://www.baff-zentren.org/aktuelles/bundesregierung-will-psychosoziale-unterstuetzung-fuer-traumatisierte-gefluechtete-um-fast-60-kuerzen/
   DIR [3] https://weact.campact.de/petitions/rettung-der-bildungsberatung-garantiefonds-hochschule-gf-h?share=21222e7e-7e3f-426d-8f71-a3a1afc7a322&source=copy_email&utm_source=copy_email%2F%3Futm_id%3Dwa-recaif
   DIR [4] https://www.bagfw.de/veroeffentlichungen/pressemitteilungen/detail/scharfe-kritik-an-kuerzungsplaenen-der-bundesregierung
   DIR [5] /Kritik-am-Bundeshaushalt/!5943138
   DIR [6] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/182692/0678edd3d9f9f4fa0ac2c939420032da/respekt-coaches-endbericht-wissenschaftliche-begleitung-data.pdf
   DIR [7] /Politologin-ueber-Bildungskuerzungen/!5949312
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
   DIR Dinah Riese
   DIR Tanja Tricarico
       
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