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       # taz.de -- Die AfD und die Identitären: Ein Feigenblatt
       
       > Ein AfD-Bundestagsabgeordneter stellt einen langjährigen Identitären ein.
       > In der Partei scheint das niemanden zu stören. Trotz
       > Unvereinbarkeitsliste.
       
   IMG Bild: Unter seinem Einfluss immer radikaler: AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, hier Ende Juli in Magdeburg
       
       Berlin taz | Angesichts der Radikalisierung der AfD ist die
       Unvereinbarkeitsliste zu rechtsextremen Organisationen schon länger wenig
       mehr als ein Papiertiger. Das jüngste Beispiel: Björn Höcke huldigte
       öffentlich Frank Haußner, der in Thüringen häufig Demos organisiert und
       bekennender Bewunderer des mutmaßlichen [1][Reichsbürger-Putschisten Prinz
       Reuß] ist. Zur Erinnerung: Dessen Gruppe plante mutmaßlich, unter anderem
       mit einem KSK-Soldaten und Waffengewalt den Bundestag zu stürmen und hatte
       bereits mithilfe einer ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten den Bundestag
       und das Regierungsviertel besichtigt und dabei Videos gedreht.
       
       Dass zivilgesellschaftliche Recherche-Initiativen ausdauernd auf Kontakte
       der Thüringer AfD zu Reichsbürger*innen aus [2][exakt diesem Umfeld
       hinweisen], scheint Höcke aber im Gegenteil geradezu Ansporn zu sein.
       Demonstrativ erneuerte er bei einem Auftritt in Heiligenstadt Ende August
       [3][den Schulterschluss mit Haußner] auf einer Demo: „Wir sind gemeinsam
       die Volksopposition für Deutschland! Deswegen war es mir wichtig, den Frank
       Haußner mitzubringen.“ Höcke bedankte sich für sein „Engagement bei den
       Freiheitskämpfern auf der Straße“.
       
       Ähnliches gilt aber auch für die Personalpolitik von AfD-Abgeordneten, etwa
       bei Personen, die sich in extrem rechten Gruppierungen organisieren, etwa
       der Identitären Bewegung: So befindet sich der Name der Organisation zwar
       weiter offiziell auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD, trotzdem
       beschäftigt der Bundestagsabgeordnete René Springer nach taz-Informationen
       Jonas Schick, der aus der Identitären Bewegung stammt. Mittlerweile
       inszeniert sich der rechtsextreme Aktivist als rechtsintellektueller
       Nachwuchs der neuen Rechten. Er gibt beispielsweise die neurechte
       Zeitschrift [4][D][5][ie Kehre] heraus und schreibt reaktionäre Aufsätze
       für die Zeitschrift Sezession des rechtsextremen Strategen Götz Kubitschek.
       
       Seine Zeitung, die Ökologie als Thema von rechts besetzen will, bekommt
       [6][höchste Weihen auch aus der AfD]. Ein Interview mit Höcke findet sich
       dort neben Beiträgen des ehemaligen Brandenburger AfD-Pressesprechers Jörg
       Dittus. Unterstützung bekommt Schick für sein Magazin von Götz Kubitschek
       und seinem rechtsextremen Institut für Staatspolitik in Schnellroda. In
       gemeinsamen Talkformaten diskutieren Schick, Kubitschek und Co. etwa die
       Thesen des finnischen Ökofaschisten Pentti Linkola, der „Überbevölkerung“,
       also das „Übermaß an Leben“ durch ein „Übermaß an Tod“ ausgleichen wollte
       und auch Völkermord für den Naturschutz befürwortete. Schick immerhin
       findet es zu radikal, die Weltbevölkerung mit einem großen Sprung auf zwei
       Milliarden zu dezimieren.
       
       ## „Natur- und Heimatschutz“
       
       Ansonsten verknüpft das [7][von Schick herausgegebene Magazin] auch in
       historischer rechter Tradition „Natur- und Heimatschutz“ mit völkischer
       Romantik. Man will die Klimakrise im Umfeld von Identitärer Bewegung,
       AfD-Jugend und Schnellroda für sich nutzbar machen und problematisiert
       dabei „Überbevölkerung“ statt Klimagase. Der Name „Die Kehre“ bezieht sich
       auf den antisemitischen Philosophen Martin Heidegger und dessen Essay „Die
       Technik und die Kehre“ – er lehnte die Moderne ab und sah im
       Nationalsozialismus die Möglichkeit einer Umkehr.
       
       Die Inhalte sind entsprechend reaktionär und illiberal: Es gehe um „einen
       Weg vom Ende der europäischen Geschichte zurück zu ihrem Anfang“, wie
       Schick in seinem ersten Vorwort schrieb. Das „antifaschistische
       pressearchiv und bildungszentrum berlin“ apabiz, [8][das eine Broschüre zum
       Thema] herausgegeben hat, beschrieb Die Kehre in der Tradition des
       NPD-nahen Ökomagazins Umwelt & Aktiv – eine Reihe von Kehre-Autoren
       spielten auch in der NPD-Publikation schon eine Rolle. Das Magazin weise
       eine gewisse Nähe zu klassischer Blut-und-Boden-Ideologie und
       neonazistischen Konzepten von der ethnopluralisitischen Imagination von
       „Lebensraum“ als eine Art von Biotop für jede „Ethnie“ auf – ideologisch
       ein nahtloser Übergang zur Identitären Bewegung.
       
       Der Fall zeigt einmal mehr, wie extrem rechte Gruppierungen an Einfluss auf
       die AfD gewinnen. Der neurechte Thinktank des Ideologen Götz Kubitschek
       bleibt zwar eine prätentiöse Bubble von mehr oder weniger verkappten
       Rechtsintellektuellen, aber mittlerweile sitzen dessen Demagogen eben durch
       die AfD an Schaltstellen in Bundestagsbüros und versuchen, von dort aus auf
       den Diskurs zu wirken.
       
       ## Ausweichende Antworten
       
       Der Bundestagsabgeordnete René Springer will auf Anfrage der taz nicht
       beantworten, ob er vor der Einstellung von Schick von dessen Engagement bei
       der Identitären Bewegung gewusst hat. Ebenso wenig wie seine
       Personalpolitik zur Unvereinbarkeitsliste der eigenen Partei passe.
       Eingestellt habe er Schick, gerade weil ihn das Magazin Die Kehre
       beeindruckt habe, sagt Springer der taz. Er schätze Schicks
       „Intellektualität und seine Haltung in politischen Fragen“. Die Kehre
       beziehe Springer selbst im Abo – „um das Vorfeld zu stärken“, wie er sagt.
       Also jene extreme Gruppierungen, die der AfD ideologisch nahestehen.Ob es
       innerparteiliche Kritik an der Einstellung gegeben habe, will Springer
       ebenfalls nicht beantworten. Schick selbst antwortete nicht auf
       taz-Anfrage.
       
       Bereits kürzlich ist öffentlich geworden, dass der [9][Thüringer
       Abgeordnete Jürgen Pohl] den völkisch-nationalistischen Nachwuchsideologen
       Benedikt Kaiser eingestellt hat, der den auch von Höcke propagierten
       „solidarischen Patriotismus“ proklamiert und ebenfalls Stammautor bei der
       Kehre ist. Kaiser stammt aus der Kameradschaftsszene in Sachsen und war
       unter anderem auch in Neonazi-Strukturen aktiv – unter anderem bei den
       „Nationalen Sozialisten Chemnitz“. Auch Pohl pries daraufhin demonstrativ
       dessen Intellektualität, direkte Kritik an dessen Einstellung habe es nicht
       gegeben.
       
       Kritiker dieser Grenzverwischung innerhalb der AfD äußern sich kaum mehr
       öffentlich. Vermutlich haben einige noch im Hinterkopf, was zuletzt
       passierte, als es [10][eine innerparteiliche Auseinandersetzung um Jonas
       Schick] gab. Erika Steinbach, AfD-Mitglied seit Anfang 2022 und Vorsitzende
       der Erasmus-Stiftung, distanzierte sich deutlich von einer Veranstaltung
       von der nur gleichnamigen Erasmus-Stiftung Schleswig-Holstein – eben weil
       jener Schick als Redner auftreten sollte, dessen Positionen sie
       „indiskutabel“ nannte. Ebenso kritisierte sie das Institut für
       Staatspolitik, weil dort NPD-Kader ein und aus gingen, wie Steinbach sagte.
       Sie erntete dafür einen rechten Shitstorm, sogar ein Mitglied des
       Bundesvorstand ergriff Partei für den langjährigen Identitären Schick.
       
       Die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung
       umfasste laut Jahresbericht 2022 bundesweit rund 500 Mitglieder. Ihre
       politischen Ziele sind ein ethnisch und kulturell homogener Staat, in dem
       allein die ethnische Herkunft über die Zugehörigkeit zum deutschen Volk
       entscheidet, Minderheiten werden entsprechend abgewertet, die
       Kernprinzipien des Grundgesetzes wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde
       entsprechend abgelehnt.
       
       ## Kaum verhohlene Umsturzfantasien
       
       Das in der AfD immer häufiger benutzte Schlagwort „Remigration“ ist ein
       Buzzword der Identitären Bewegung, das nicht zuletzt gerne von
       AfD-Politikern wie Höcke benutzt wird und letztlich realpolitisch wohl
       nichts anderes als gewaltsame Deportationen bedeuten würde. Zuletzt wurde
       es laut von der Parteitagsbühne der Europakandidatin Irmhild Boßdorf
       gerufen, deren Tochter ebenfalls in der Identitären Bewegung aktiv war,
       dort mittlerweile die antifeministische Splittergruppe „Lukreta“ gegründet
       hat.
       
       Öffentlichkeitswirksame Aktionen der Identitären Bewegung wurden in den
       letzten Jahren allerdings seltener – dafür rückten viele zahlreiche Akteure
       der Bewegung noch näher an die AfD heran – oder wie Schick direkt in ein
       AfD-Bundestagsbüro. Identitäre kamen zuletzt auch bei rechtsextreme Medien
       oder anderen rechtsextremen Organisationen wie Ein Prozent unter. Derzeit
       sammelt die Identitäre Bewegung gerade Spenden für ihr Konto bei der
       Sparkasse Paderborn-Detmold, nachdem es Hausdurchsuchungen wegen
       Volksverhetzung und Nötigung nach einer Aktion vor einer
       Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Peutenhausen mit einem rassistischen
       Banner und Pyrotechnik gegeben hat.
       
       Im deutschsprachigen Raum gilt der Österreicher Martin Sellner als Kopf der
       Identitären. Der hat sich zwar zuletzt offiziell von aktivistischen
       Aktionen losgesagt, fokussiert sich mittlerweile auf propagandistische
       Publikationen. Seine kaum verhohlenen Umsturzabsichten veröffentlichte er
       mittlerweile auch in Buchform in Schnellroda – zuletzt etwa mit der
       Publikation „Regime Change von rechts“.
       
       4 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiM7tnBoo6BAxXM_qQKHVd_Dg0QFnoECBcQAQ&url=https%3A%2F%2Ftaz.de%2FRazzia-bei-Reichsbuergern%2F!5901865%2F&usg=AOvVaw2_D0VGrOrhHetTM4J7zbnw&opi=89978449
   DIR [2] https://twitter.com/ostdivan/status/1696488958862262376
   DIR [3] /Verhaeltnis-von-AfD-zu-Reichsbuergern/!5900281
   DIR [4] /Rechtes-Oeko-Magazin-Die-Kehre/!5690299
   DIR [5] /Rechtes-Oeko-Magazin-Die-Kehre/!5690299
   DIR [6] /Rechte-Oeko-Zeitung-Die-Kehre/!5797511
   DIR [7] https://www.apabiz.de/2022/oekologie-von-rechts-das-magazin-die-kehre-teil-2/
   DIR [8] https://www.apabiz.de/wp-content/uploads/2022/10/magazine_9_web.pdf
   DIR [9] https://www.welt.de/politik/deutschland/plus245569766/AfD-Abgeordneter-Pohl-beschaeftigt-langjaehrigen-Neonazi-Benedikt-Kaiser.html
   DIR [10] /Politische-Stiftung-der-AfD/!5900074
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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