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       # taz.de -- Ausschreitungen in Israel: Netanjahu will Eritreer abschieben
       
       > Israels Premier Netanjahu droht mit Maßnahmen gegen Einwanderer. Am
       > Wochenende kam es zu Gewalt zwischen Asylbewerbern und der Polizei.
       
   IMG Bild: Gegner und Unterstützer des Regimes in Eritrea am Samstag in Tel Aviv
       
       Jerusalem taz | Die israelische Regierung hat nach den [1][Ausschreitungen
       zwischen Sicherheitskräften sowie Gegnern und Unterstützern des Regimes in
       Eritrea] mit drastischen Maßnahmen gegen Einwanderer aus afrikanischen
       Ländern gedroht. Bei einer Sondersitzung des Kabinetts am Sonntag forderte
       Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die sofortige Abschiebung der
       Beteiligten. Damit flammt ein alter Konflikt über den Umgang des Landes mit
       Asylbewerbern wieder auf. [2][Auch der Streit um die Justizreform], der das
       Land seit Monaten spaltet, dürfte angeheizt werden.
       
       Wegen einer Veranstaltung der eritreischen Botschaft anlässlich des
       eritreischen Unabhängigkeitskrieges waren am Samstag im Süden Tel Avivs
       Gegner und Unterstützer des Regimes in Asmara aneinandergeraten.
       Demonstrierende hatten Polizei und Regierung kritisiert, sie würden dem
       Regime, vor dem sie geflohen seien, eine Bühne bieten.
       
       Die Sicherheitskräfte gingen mit Blendgranaten und Schlagstöcken vor. Laut
       Polizei gaben Beamte aufgrund der unmittelbaren Gefahr für sie selbst auch
       Schüsse ab. Die Bilanz: Mindestens 150 Verletzte, darunter mehrere Dutzend
       Polizisten. In dem einkommensschwachen Bezirk nahe dem Zentralen
       Busbahnhof: zerstörte Fensterscheiben, Autos und Ladeneinrichtungen. 50
       Eritreer wurden in Gewahrsam genommen.
       
       ## Duldung ohne langfristige Perspektiven
       
       Der Streit über afrikanische Einwanderer schwelt seit Jahren. Unterstützer
       sehen Israel in der Pflicht, als von jüdischen Flüchtlingen errichteter
       Staat Geflüchteten zu helfen. Viele rechtsgerichtete Israelis erkennen
       hingegen die Asylgesuche nicht an und sprechen schlicht von
       „Eindringlingen“.
       
       Israelischen Medien zufolge leben rund 18.000 Asylbewerber aus Eritrea in
       Israel und stellen die Mehrzahl der afrikanischen Asylsuchenden. Nur rund
       50 Personen haben seit 2000, als die ersten Schutzsuchenden eintrafen,
       einen Flüchtlingsstatus erhalten. Die meisten leben geduldet: Sie können
       arbeiten, bekommen eine medizinische Grundversorgung und können ihre Kinder
       zur Schule schicken. Eine langfristige Perspektive ohne mögliche
       Abschiebung haben sie jedoch nicht.
       
       „Wir wollen harte Maßnahmen gegen die Randalierer“, sagte Netanjahu bei der
       Sondersitzung am Sonntag. Sein Kabinett solle zudem einen Plan zur
       Ausweisung „aller anderen illegalen Eindringlinge“ ausarbeiten. [3][Israels
       rechtsextremer Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir],
       besuchte den Ort der Ausschreitungen am Sonntag selbst und ging noch
       weiter: Verantwortliche der Ausschreitungen sollten bis zu ihrer
       Abschiebung in Gewahrsam genommen werden. Dem Sender Kanal 12 zufolge
       schlug er auch Zwangsumsiedlungen vor.
       
       Kritik am Obersten Gericht 
       
       Völkerrechtlich kann Israel Menschen, deren Leben oder Freiheit in ihrem
       Herkunftsland bedroht sind, nicht gewaltsam abschieben. In Eritrea herrscht
       seit 1993 Präsident Isayas Afwerki. Das Land hat eine der schlimmsten
       Menschenrechtsbilanzen der Welt – keine freien Medien, keine freien Wahlen.
       
       Netanjahu nutzte die Ausschreitungen zudem für Kritik am Obersten
       Gerichtshof, dessen Kompetenzen seine Koalition massiv einschränken will.
       Das Gericht habe in der Vergangenheit wiederholt „Vorschläge“ der
       Regierung, Migranten zur Ausreise zu bewegen, blockiert.
       
       Der Gerichtshof verhinderte beispielsweise, dass Menschen ohne
       Aufenthaltsstatus für längere Zeit ohne Gerichtsverfahren inhaftiert werden
       können oder dass ein Teil ihres Lohns eingezogen wird. Der Plan von
       Netanjahus Regierung, den Obersten Gerichtshof einzuschränken, spaltet die
       israelische Bevölkerung seit Monaten. Am Samstag protestierten
       Zehntausenden gegen die Justizreform die 35. Woche in Folge.
       
       4 Sep 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Wellisch
       
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