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       # taz.de -- „Panther Challenge“ in Deggendorf: Das Abenteuercamp der Bundespolizei
       
       > Die Bundespolizei biete das „härteste Schülercamp Deutschlands“ an. Das
       > sei aber keine Werbemaßnahme, sondern es gehe um Aufklärung.
       
   IMG Bild: In Deggendorf ist Polizist:in sein nur ein großes Spiel
       
       Deggendorf taz | Stramm stehen 99 Teenager in der Sporthalle der
       [1][Bundespolizei] in Deggendorf, Niederbayern. Sie tragen schwarze
       T-Shirts und dunkelblaue [2][Uniform]-Cargohosen der Polizei. Schweiß rinnt
       ihnen die Stirn herunter. Ziemlich aus der Puste und in Socken formieren
       sie sich in Hufeisenkonstellation um Polizeidirektor Mario Konjević herum:
       außergewöhnlich gehorsam für Menschen in ihrem Alter.
       
       Es ist der letzte Abend der „Panther Challenge“, des „härtesten
       Schülercamps Deutschlands“, wie die Bundespolizei die drei Tage auf ihrem
       Gelände selbst bewirbt. „Wie weit gehst du für deinen Traumjob?“, fragt sie
       und lädt den Sommer über an fünf verschiedenen Standorten deutschlandweit
       Schüler:innen zwischen 14 und 19 Jahren ein, [3][den Job
       kennenzulernen]. Die Challenge ist etwas zwischen Sommerferiencamp,
       Sportfreizeit und Berufsorientierungspraktikum. Einer der Standorte ist die
       Stadt Deggendorf in Bayern, wo das Praktikum – benannt nach dem
       Deggendorfer Funkrufnamen „Panther“ – 2014 das erste Mal stattfand.
       
       In Gruppen treten die Teilnehmenden des Camps gegeneinander an, spielen an
       verschiedenen Stationen die Aufgabenbereiche der Bundespolizei nach:
       Tatortsicherung, Festnahme in einem Übungsbahnwaggon, Lkws ziehen.
       
       Die letzte Challenge des Tages ist vielleicht 15 Minuten her: Auf einer
       Rasenfläche zwischen Bürogebäuden und geparkten Einsatzfahrzeugen sind die
       Gruppen auf einer Art Viererholzski um die Wette gelaufen. Es fängt an zu
       nieseln an diesem Mittwochabend. Die Übernachtung wurde bereits offiziell
       von den Zelten in die Turnhalle verlegt. Dort spricht Mario Konjević zum
       potenziellen Polizeinachwuchs.
       
       ## Es geht angeblich auch um Spaß
       
       „Die letzte Übung war das absolute Highlight, warum?“, fragt er in die
       Runde. Als Reaktion auf die Frage gibt es ein paar brave Meldungen: Die
       Übung stärke die Kommunikation untereinander, den Teamgeist, die Disziplin,
       die Ausdauer. Erst zum Schluss sagt dann doch jemand: „Und sie hat Spaß
       gemacht.“ Der Polizeidirektor wirkt fast erleichtert darüber: „Genau, und
       Spaß ist immer eine Frage der inneren Einstellung, auch im Berufsleben.“ Er
       bedankt sich für die Teilnahme. Ob es noch Fragen gebe? Wann denn
       Abendessen sei, fragt jemand.
       
       Miterfinderin der Panther Challenge ist Assanassia Konjević,
       Einstellungsberaterin der Polizeistation Deggendorf – Anfang 40, sportlich
       und sehr engagiert, drei silberne Sterne auf den blauen Schulterklappen
       ihres kurzärmligen Uniformhemds. Sie kümmert sich darum, dass das Camp
       reibungslos abläuft, und ist dabei sehr bemüht darum, ein gutes Bild vom
       Projekt und der Polizei abzugeben.
       
       Sie wird nicht die Einzige an dem Tag sein, die ungefragt auf den
       Social-Media-Film der Bundesbereitschaftspolizei zur Panther Challenge in
       Bad Bergzabern, Rheinland-Pfalz, zu sprechen kommt, der im Juni für
       negative Reaktionen sorgte. Hier laufen die Schüler:innen bei einer
       Demonstrationssituation neben Wasserwerfern her. Diese werden bei der Übung
       gegen Demonstranten eingesetzt, die Ähnlichkeiten mit vermummten Antifa-
       und straßenblockierenden Klimaaktivisten haben. Das sei nicht parteiisch
       gemeint gewesen, sondern eben gerade ein für die Bundespolizei aktuelles
       Thema, versucht später ein anderer Polizist zu erklären.
       
       In einem Besprechungsraum, gefühlt seit den 1960er Jahren nicht neu
       eingerichtet, erzählt Konjević, dass auch die Bundespolizei unter
       Fachkräftemangel leidet, und wie sie die junge Generation wahrnimmt: „Sie
       sind zielstrebiger, wissen, was sie wollen. Da jeder Nachwuchs sucht, haben
       sie die Wahl. Das merkt man. Aber auch die Abbrecherquote ist höher als
       früher.“ Umso wichtiger scheint es also, die potenziellen Auszubildenden
       früh zu informieren, was sie erwartet, und sie nachhaltig auszuwählen. Für
       die Panther Challenge seien dieses Jahr etwa 400 Bewerbungen in Deggendorf
       eingegangen. Die meisten von ihnen aus Bayern, einer sei extra aus Mallorca
       eingeflogen.
       
       ## Ausreichende Deutschkenntnisse und Willensstärke
       
       Die Anforderungen für das Praktikum sind ähnliche wie die für die
       Ausbildung zum mittleren Dienst: Mittlere Reife (zumindest in Aussicht),
       ausreichende Deutschkenntnisse, Teamfähigkeit und Willensstärke sowie
       „kerngesund und fit“ sein. Wie Konjević es ausdrückt, „aufnahmefähig“ sein,
       denn: „Es wäre ja schade, wenn sie sich danach nicht bewerben könnten.“ Von
       den Teilnehmenden in Deggendorf sagen tatsächlich die meisten, dass sie
       sich nach dem Praktikum für eine Ausbildung im mittleren Dienst bewerben
       möchten.
       
       Trotz Internet und mehr Aufklärung blieben die Gründe der jungen Generation
       für die Berufswahl ähnlich wie bei ihr selbst damals, sagt die
       Polizeihauptkommissarin. Es sei ein Traumberuf, viele möchten „etwas Gutes
       tun, helfen“. „Oder suchen einen Beruf, den man mit Sport verbinden kann.
       Hier ist Aufklärung sehr wichtig. Die meisten erwarten nur Action. In
       Wirklichkeit bedeutet Bundespolizist zu sein auch viel Warten, sich in
       Bereitschaft befinden, juristische Texte lesen. Es ist nicht wie bei ‚Alarm
       für Cobra 11‘.“
       
       Fragt man die Challenge-Jugendlichen, warum sie zur Bundespolizei möchten,
       kommen Antworten, die fast wie von einem Werbeflyer der Polizei klingen:
       sicherer Arbeitgeber, abwechslungsreicher Beruf, draußen aktiv sein können.
       Die eine träumt von der Hundestaffel, ein anderer davon, einen Helikopter
       zu fliegen. Und viele möchten eben einen Beruf, den man mit Sport verbinden
       kann. Körperlich fit sind sie hier alle.
       
       Eine Gruppe, Jungs und Mädchen gleichermaßen vertreten, ruht sich zwischen
       den Stationen am Wasserkanister aus. Ob sie sich denn für Politik
       interessierten? Kurzes kollektives Schweigen, dann betretenes Lachen. „Bei
       Politik wissen wir noch nicht wirklich Bescheid, da ist es besser, wenn man
       jetzt noch nichts sagt“, sagt ein Mädchen mit blauen Augen in bayerischem
       Dialekt. Und eine andere: „Ich habe noch keinen Politikunterricht in der
       Schule.“ Sie sei erst 14, die untere Altersgrenze für das Praktikum. Erst
       mit 15 könnte sie sich für die Ausbildung zum mittleren Dienst bewerben.
       Offiziell gehört „Demokratieverständnis“ zu den Voraussetzungen, die man
       für eine solche Bewerbung erfüllen muss.
       
       „Als Polizist darf man sich sowieso nicht politisch äußern“, antwortet ein
       etwas älterer Junge fast verteidigend. „Ist doch egal, ob man eine
       politische Entscheidung gut findet, wir müssen unsere Aufgaben ausführen
       für den Staat. Unser Job ist es trotzdem zum Beispiel, die Politiker zu
       beschützen, egal wie wir die finden. Olaf Scholz – um ein Beispiel zu
       nennen – ist auch ein Mensch.“ Die anderen nicken alle. Jemand sagt: „Ich
       hätte kein Problem damit, für andere Menschen mein Leben aufs Spiel zu
       setzen.“
       
       ## Kritische Fragen erlaubt
       
       Dann geht es für die Gruppe zu einer Art polizeilichem Escape Room. Der
       Gruppenführer – jede Gruppe bekommt zu Beginn einen zugeteilt, der immer in
       der Nähe ist – liest mit ernster Stimme die Aufgabe vor: Das Team soll
       unter Zeitdruck Spuren sammeln und ein Rätsel lösen. Schnell übernimmt ein
       Mädchen das Kommando. Die anderen folgen, räumen vorsichtig Mappen zur
       Seite, stellen sie wieder zurück. Um sie herum überwachen Polizisten die
       Übung und analysieren zugleich das Profil der Jugendlichen. Ein Polizist
       erklärt, dass auch solche Anführertypen wie das Mädchen gesucht würden. Die
       jungen Leute aber zum großen Teil viel braver und digitaler unterwegs seien
       als ihre Vorgänger. Auch das sei zu berücksichtigen.
       
       „Natürlich sind die Stationen adressatengerecht“, erklärt Assanassia
       Konjević, die mir beim Herumführen auf dem Gelände kaum von der Seite
       weicht. Aber: „Uns ist wichtig zu betonen, dass das hier keine
       Werbemaßnahmen sind. Wir möchten die 99 Schüler nicht für uns gewinnen,
       sondern aufklären.“ Dafür lasse man die Schüler:innen auch die
       Körperschutzausrüstung bei Hitze tragen oder erkläre ihnen, dass
       Bundespolizist:innen deutschlandweit eingesetzt werden, auch
       Grenzschutz und polizeiliche Schutzaufgaben im Ausland gehören zu deren
       Aufgabenbereichen.
       
       Auch für die Eltern – die 70 Euro pro Kind für die zwei Übernachtungen im
       Zelt oder in der Turnhalle zahlen – habe es einen Infoabend gegeben. Im
       letzten Jahr hätten sich letzten Endes „nur“ 65 Prozent der Teilnehmenden
       für einen mittleren Dienst bei der Bundespolizei beworben, sagt Konjević.
       Dass der Job das ganze Leben eines Bundespolizisten bestimmt, spürt man
       spätestens, als sie am Abend während der letzten Übung ihre Kleinkinder im
       Arm hält.
       
       Für die kritischen Fragen – und die dürften alle gestellt werden, betont
       Konjević – seien die Gruppenführer da. Ob viele kritische Fragen kommen,
       ist fraglich. Der Ruf der Polizei unter den Schüler:innen ist gut. Die
       Bundespolizei stehe für Sicherheit und Gerechtigkeit, bestätigen sie, „ein
       guter Helfer in brenzligen Situationen“. Auch in ihren Freundeskreisen
       scheint es kaum jemanden zu geben, der ihren Berufswunsch kritisiert, wenn
       dann als „zu gefährlich“ oder „spießig“. Zu den Anforderungen der
       Bundespolizei gehören auch keine Tätowierungen auf Händen, Hals oder im
       Gesicht, keine Vorstrafen, keine hohen Schulden.
       
       Persönliche Erfahrungen mit der Polizei hat von den Befragten kaum jemand
       gemacht, wenn überhaupt bei großen Menschenansammlungen im Stadion. Die
       Polizei sei dafür da, angemessen zu reagieren, wenn es zum Beispiel zu
       Ausschreitungen kommt, sagt ein Schüler. Was denn angemessen sei? „Na ja,
       wenn jemand nur beleidigend ist, wäre den zusammenzuschlagen nicht
       angemessen. Aber ich glaube nicht, dass die Polizei so was macht“,
       antwortet er. Kein Widerspruch aus der Gruppe.
       
       7 Sep 2023
       
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